Als die Richterin das Urteil spricht, reagiert Iztok Hartmut O. gefasst. Mit gesenktem Kopf, geschlossenen Augen und hängenden Schultern folgt der Angeklagte regungslos der Urteilsverkündung im Landgericht Siegen. Von 2007 bis 2015 sprengte der muskulöse Mann, der die dunkelblonden Haare kurz geschnitten und einen Dreitagebart trägt, mindestens zwölf Geldautomaten in fünf Bundesländern. Er erbeutete insgesamt rund 230.000 Euro. Dafür muss O., der als „Gasmann" bekannt wurde, nun sechs Jahre und zehn Monate in Haft.
Überraschend ist das Urteil der Ersten Großen Strafkammer am fünften Prozesstag für den gebürtigen Siegener nicht. Gericht, Verteidigung und Anklage hatten sich schon nach dem zweiten Verhandlungstag auf einen Strafrahmen zwischen sechs Jahren und acht Monaten und sieben Jahren und drei Monaten verständigt. Ein Geständnis war die Voraussetzung für den Deal, der O. vor der Höchststrafe von 15 Jahren Haft bewahrt.
Vom Architekten zum meistgesuchten Straftäter DeutschlandsAm dritten Prozesstag räumte er alle Vorwürfe ein und schilderte dabei detailreich seinen persönlichen Absturz: den Weg vom selbständigen Architekten zu einem der am meisten gesuchten Straftäter Deutschlands. O. war nach dem Tod seiner Mutter und nach Abschluss seines Studiums der Architektur und der Chemie Ende der neunziger Jahre von Siegen nach Hamburg gezogen. Dort habe er zunächst einige Jahre in einem Architekturbüro gearbeitet, berichtete der 46 Jahre alte Mann, bis ihn seine beiden Geschäftspartner abservierten.
© dpa Hatte sich isoliert: Der Angeklagte, hier zu Prozessbeginn im Landgericht Siegen, gestand alle Taten - und erklärte sie mit persönlichen Notlagen.
Plötzlich arbeitslos, konnte O. seine Miete nicht mehr zahlen und häufte Schulden an. Hinzu kamen Beziehungsprobleme. „Irgendwann kam ich auf die Schnapsidee, mein Wissen aus dem Chemiestudium anzuwenden", sagte O. Akribisch plante er seine Raubzüge, informierte sich im Internet über Funktionsweise und Aufbau von Geldautomaten, kundschaftete Fluchtwege aus. Auf Müllkippen brachte er Kühlschränke zur Detonation, um die richtige Dosierung von Sauerstoff und Acetylengas zu finden.
Im November 2007 beging O. dann seine erste Tat im rheinland-pfälzischen Ort Mudersbach. Doch erst bei der Sprengung eines Geldautomaten an der Universität Siegen habe er es „ordentlich krachen lassen". Seine Beute: mehr als 75.000 Euro. Die Summe sei „ein kleiner Ansporn" gewesen, weiterzumachen, gab er zu Protokoll. Gerade bei älteren Modellen sei es „so einfach" gewesen: „Das sind die reinsten Pappteile." Acht Jahre lang sprengte er Automaten in Rheinland-Pfalz, Hessen, Hamburg, Schleswig-Holstein - und immer wieder in seiner westfälischen Heimatregion Siegen-Wittgenstein.
Eine halbe Million Euro SchadenDabei ging er stets planvoll, stoisch und nach dem gleichen Muster vor: O. bohrte zunächst ein Loch in den Automaten, leitete dann eine explosive Luft-Gas-Mischung ein, legte mit Bremsenreiniger eine flüssige Lunte, zündete sie an und wartete vor der Tür der Filiale auf die Detonation. Danach packte er sich den Metallbehälter mit den Geldkassetten und flüchtete. Bei seinen explosiven Raubzügen richtete er Schäden in Höhe von einer halben Million Euro an.
Wie konnte der Angeklagte acht Jahre lang unerkannt seine Taten begehen? Sein Leben in Isolation habe wohl dazu beigetragen, sagte er vor Gericht. Iztok O. brach 2008 fast alle sozialen Kontakte ab, war meist obdachlos, schlief oft in seinem Auto und ernährte sich mitunter von angetauten Tiefkühlpizzen. „Mein Leben war im Eimer." Nur seiner Passion für hochmotorisierte Autos habe er nachgegeben. „Das waren Kombis, da konnte man im Sommer gut drin schlafen."
Nachdem zum dritten Mal in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst" nach ihm gefahndet worden war, endete sein Vagabundenleben Ende November 2015 in einer Hamburger Lagerhalle. Bei der Festnahme habe sein Mandant einen verwahrlosten Eindruck gemacht, sagte sein Verteidiger. Der Angeklagte bekräftigte, er sei erleichtert gewesen, als er gefasst wurde.
Zufall, dass niemand verletzt wurdeIn seinem Plädoyer sagte der Verteidiger, sein Mandant sei keineswegs stolz auf seine Taten und zeige Reue. Auch habe O. immer versucht, die Risiken für Menschen zu minimieren. Außerdem erspare sein ausführliches Geständnis dem Gericht einen langwierigen Prozess. Der Anwalt plädierte daher auf die vereinbarte Mindeststrafe von sechs Jahren und acht Monaten. Der Staatsanwalt forderte sieben Jahre Haft. Es sei Zufall gewesen, dass niemand verletzt wurde. Gasexplosionen ließen sich nie vollständig kontrollieren. „Es sind eben keine Tabletten, die man dosieren könnte", sagte der Anklagevertreter.
Die Kammer bleibt knapp unter der Forderung des Staatsanwalts. Strafmildernd wirke sich das detaillierte Geständnis des Angeklagten aus sowie seine Reue, "die wir ihm abkaufen", sagt die Vorsitzende Richterin. Außerdem habe er stets nur wenig Gas verwendet, um den Explosionsradius zu begrenzen. Die Verwüstungen, die hohe Beute und professionelle Planung, die auf kriminelle Energie hindeutet, werden jedoch zu Lasten des Angeklagten gewertet.
Den Ausführungen der Richterin folgt O. aufmerksam, mit auf dem Tisch verschränkten Armen, gelegentlich nickt er. Für die Zeit nach der Haft habe sein Mandant bereits ambitionierte Pläne, sagte sein Anwalt schon am dritten Prozesstag. Seinen technischen Sachverstand wolle er nur noch für legale Zwecke einsetzen. Er plane, in der Haft ein neues Triebwerk zu entwickeln und es patentieren zu lassen.