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Wollnashorn „Sasha": Auf den Zahn gefühlt

Als die beiden Russen Alexander Banderow und Semen Iwanow im September 2014 den mumifizierten Kadaver mit dem hellbraunen Fell am Ufer des sibirischen Flusses Semjuljach entdeckten, dachten sie zunächst, sie hätten die Überreste eines Rentiers vor sich. Doch dann wurden sie stutzig. Auf dem Oberkiefer fanden sie zwei noch sehr kleine Hörner. Den beiden wurde klar: Die Überreste müssen älter sein - sehr viel älter. Sie informierten die Akademie der Wissenschaften der russischen Teilrepublik Jakutien.

Schnell bestätigte sich dort der Verdacht, dass es sich bei „Sasha", wie die russischen Forscher den Fund schon bald tauften, um ein junges Wollnashorn handelte, das rund 45 000 Jahre im sibirischen Permafrostboden gelegen hatte. Man schätzte damals, dass das Tier bei seinem Tod etwa ein Jahr alt war. Stolz präsentierte die Akademie der Wissenschaften der Republik Jakutien ihren Fund vor einem Jahr, der inzwischen zum Forschungsobjekt für ein internationales Wissenschaftlerteam wurde.

„Ein spektakulärer Fund", sagt der Hildesheimer Biologe Horst Kierdorf dieser Zeitung. Zwar finde man immer wieder skelettierte Überreste von Wollnashörnern aus dem Pleistozän, „doch Sasha ist mit Abstand das am besten erhaltene und jüngste mumifizierte Exemplar". Der Kadaver des eiszeitlichen Rhinozerosses ist ungefähr zur Hälfte erhalten: Entdeckt wurden sein Kopf, ein Auge, ein Ohr, Teile der Beine, viel braunes Fell - und die Milchzähne des Nashorns.

Mit diesen beschäftigen sich nun Horst Kierdorf und seine Kollegen von der Universität Hildesheim, Zwillingsbruder Uwe Kierdorf und der Zoologe Carsten Witzel. Sie sind Fachleute für Zähne und Knochen - anhand dieser so genannten Hartsubstanzen haben sie beispielsweise bereits Aussagen über die Umweltbelastungen von Beuteltieren in Australien getroffen.

Bei der vorläufigen Untersuchung der zwei etwa sechs Zentimeter hohen Backenzähne stellten sie fest, „dass das Tier bei seinem Tod etwa sechs Monate alt gewesen sein muss, die Schätzungen der russischen Forscher also nicht zutreffen", wie Horst Kierdorf sagt. Das habe die mikroskopische Analyse sogenannter Dünnschliff- und Anschliffpräparate der Zähne ergeben. „Dadurch kann man recht exakt zwischen vorgeburtlichem und nachgeburtlichem Zahnanteil differenzieren." Abrieb und Nahrungsreste an den Zähnen legen überdies nahe, dass sich der kleine Sasha schon von Gras und Kräutern ernährte.

© dpa 45.000 Jahre konserviert: Der Wollnashorn-Kadaver ist wegen des Permafrostbodens gut erhalten, das Jungtier starb aber schon nach wenigen Monaten.

Von seiner Lebensweise sei er damit dem Breitmaulnashorn am ähnlichsten, meint Kierdorf, aber auch beim Körperbau komme das Wollnashorn der größten noch lebenden Nashornart nahe. Das Tier konnte wohl ebenfalls zwei Tonnen schwer und bis zu 40 Jahre alt werden. „Mit seinem tiefhängenden Kopf und den hochkronigen Backenzähnen konnte es das harte Gras der Mammutsteppen problemlos zerkleinern."

Unklar ist hingegen noch, ob Sasha ein Junge oder ein Mädchen war. „Eine DNA-Analyse könnte darüber Aufschluss geben und ist geplant", sagt Kierdorf. In England soll auch eine Isotopenanalyse der Haare vorgenommen werden, um rekonstruieren zu können, in welchen Gebieten sich das Tier aufgehalten hat. „Noch sind viele Fragen offen", sagt Kierdorf.

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Der Fund der tierischen Eismumie beflügelte erneut Spekulationen über das Klonen von Mammuts oder Dinosauriern. Ließe sich die eiszeitliche Tierart mit Hilfe von „Sashas" Überresten wieder zum Leben erwecken? „Dies wird vermutlich eines Tages möglich sein, aber wozu wollen Sie eine Art wiederbeleben, deren Lebensraum es nicht mehr gibt?", sagt Uwe Kierdorf. „Viel sinnvoller wäre es, sich um den nächsten lebenden Verwandten, das vom Aussterben bedrohte Sumatra-Nashorn, zu kümmern." Außerdem sei das Klonen ethisch bedenklich.

Nach Abschluss der Untersuchungen werden „Sashas" Zähne zurück nach Russland gebracht. Ob das Wollnashorn dort in einem Museum zu sehen sein wird, ist unklar. Nach Einschätzung der Hildesheimer Biologen sind weitere Funde von Frostmumien eiszeitlicher Großsäuger in Sibirien zu erwarten. Uwe Kierdorf sagt: „Durch den Klimawandel wird der Permafrost zurückgedrängt. Nach und nach kommen dort Dinge zum Vorschein, die Tausende von Jahren gefroren waren."

Mit Material der Agenturen
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