Ein konsequent im Halbdunkel gehaltenes Büro im Souterrain eines roten Backsteinbaus, irgendwo im Nichts des Berliner Nordens. Ein etwa 30-jähriger Designer hockt vor zwei großen Bildschirmen. An der Wand hinter ihm hängen gezeichnete Storyboards und Fotos einer sich nackt räkelnden Frau. Mit seinem Mausrädchen scrollt der Mann auf und ab und spult eine kleine, halb fertig animierte Sequenz vor und zurück. Die Umrisse des Gesichts der Frau von den Storyboards bewegen sich, noch etwas kantig. Vor und zurück, vor und zurück. Die Grafiker stoppt: Die farbliche Schattierung ihrer Zunge passt noch nicht, wenn sie sich im halb geöffneten Mund bewegt. Der Zungenkuss, den die Sequenz zeigen soll, sieht einfach noch nicht echt aus.
Auf den Bildschirmen der anderen Arbeitsplätze läuft im Grunde das gleiche Schauspiel ab, nur mit anderen Körperteilen. Hände, Knie, Brüste. Vor und zurück, vor und zurück.
Diese Details, sagt Tobias Platte, der hinter seinem Mitarbeiter steht, sie stellten die größte Herausforderung bei der Animation von nackten Körpern dar. Extreme Nahaufnahmen von Mündern, Brüsten, überhaupt: Geschlechtsteilen. 16 Mitarbeiter arbeiten derzeit fest bei seinem 3D-Sex-Startup Memento, nochmals 23 weitere als freie Mitarbeiter, sagt Platte. Bislang verdient seine Firma ihr Geld mit dem Druck detailgenauer 3D-Figuren von Pornostars. Über 600 000 Euro habe Memento damit bislang umgesetzt. Ganz ordentlich, aber viel zu wenig, um in die Welt des VR-Porno einzusteigen. Also zog er los und beschaffte sich bei privaten Investoren 3,5 Mio. Euro. Geld, das nun in den Aufbau eines komplexen VR-Erotikparks fließt, über dessen Erfolg oder Scheitern letztlich die Beantwortung einer Frage entscheiden wird: Wie animiert man möglichst realitätsnah eine Vulva, einen Penis beim Sex im virtuellen Raum? Wie also stellt man sicher, dass die Kunden so geil werden, dass sie Platte für seine Dienstleistung Geld bezahlen - und nicht wie bei den meisten heutigen VR-Porno-Anbietern über ruckelig animierte Genitalien bald die Lust verlieren?
„GTA" mit viel, viel SexComputer und Sex, das ist ein altes Thema. Seit Jahrzehnten gilt Cybersex als das große, schmutzige Versprechen der Digitalisierung aller Lebensbereiche. Doch bislang erschöpfte es sich, zumindest im Mainstream-Gaming-Bereich, in eher harmlosen Andeutungen: von „Leisure Suit Larry" in den 80ern über die Barbiebrüste von „Lara Croft" in den 90ern bis zu den versteckten Puffs in „Grand Theft Auto". Überall dort war Sex eine eher lustige als lustvolle Option innerhalb des eigentlichen Spiels. Genau das will Platte umkehren.
Also plant er groß: Das Team von Memento arbeitet an einem Sexgame bislang unbekannter Dimension, einer virtuellen Reeperbahn, „vrXcity" soll sie heißen und bevölkert werden von Sex-Avataren. Die sind digitale Kopien echter Pornodarstellerinnen und -darsteller. In „vrXcity" werden sie zu Prostituierten, Callboys und Stripperinnen, die den Spielerinnen und Spielern in Sexshops, Stripclubs, Stundenhotels und Erotikkinos zur Verfügung stehen. Auf Plattes Sündenmeile soll man sich wie in „GTA" ungehindert bewegen können. Nur mit VR-Brille, in 3D und viel, viel mehr Sex. Damit sind Memento zwar nicht die Ersten, die sich an dieser Verbindung versuchen - auch Apps wie VRtitties, La Douche oder SinVR bieten animierten Sex per VR-Brille. Doch insgesamt handelt es sich bei diesen Apps um sehr pixelige und wenig interaktive Angelegenheiten.
Platte ist groß, schlank und tritt betont lässig auf: im Karohemd mit seinem haarlosen Hund Gypsy auf dem Arm. Er hat Bankkaufmann gelernt, landete Ende der 90er in der Marketingbranche, bevor er COO eines großen 3D-Druck-Unternehmens wurde. Deren Geschäftsmodell: lizenzierte Fanfiguren von echten Stars und Comicfiguren als 3D-Modelle zu produzieren. Aber Platte sah in dem 3D-Druck von Körpern noch ein anderes Geschäft: Sex. Also gründete er 2014 Memento und verlegte sich auf Plastikfigurinen von Pornostars.
Punk-Pornogöre Bonnie Rotten, die Grande Dame des deutschen Hardcore Vivian Schmitt, die amerikanische Analqueen Asa Akira - alle sind dabei. Eine Figur von 13 Zentimetern Größe kostet um die 70 Euro. Für die 3D-Vorlagen der Pornostars wurde damals eigens ein Scanner entwickelt: ein Rondell, das mit knapp 150 Spiegelreflexkameras und 4 500 LED-Lichtern ausgestattet ist, um alle möglichen Winkel eines Körpers auszuleuchten und sämtliche Körperflächen abzubilden. Der ganze Prozess, simpel erklärt: Model rein, sexy Pose, Scan, 3D-Druck, Finishing und Bemalung in Handarbeit.