Mein Vater ist diesen Sommer 73 Jahre alt geworden. Er ist nicht krank oder gebrechlich, ganz im Gegenteil. Er arbeitet Vollzeit. Ein jugendlicher Typ mit Turnschuhen und Hemden, die lässig über die Hose hängen. Umso überraschter bin ich, als er mich kurz nach seinem Geburtstag bei einem Glas Wein auf der Terrasse fragt: „Wie viele dieser schönen Sommer werde ich wohl noch erleben?" Eigentlich sollte ich jetzt etwas Tröstliches sagen, stattdessen murmle ich nur „Ach, Papa" und wechsle das Thema. Mehr bringe ich nicht heraus.
Später frage ich mich, ob das falsch war. Wieso kann ich mit meinem Vater über fast alles sprechen, aber nicht über den Tod? Wahrscheinlich weil ich mir ein Leben ohne meine Eltern nicht vorstellen kann. Meine Mutter eines Tages nicht mehr anrufen zu können, um ihr von meinem Tag zu erzählen, oder mit meinem Vater Samstagmorgens nicht mehr am Frühstückstisch in der Zeitung blättern, das zu akzeptieren fällt schwer.
Obwohl wir ständig in den Nachrichten oder Filmen mit dem Tod konfrontiert werden, setzen wir uns mit der eigenen Sterblichkeit oder der unserer Verwandten nur ungern auseinander. Das überlassen wir lieber den Profis: Ärzt*innen, Pfleger*innen, Sterbebegleiter*innen. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2015 stirbt heute fast jeder zweite Mensch im Krankenhaus und jeder dritte im Pflegeheim. So können wir dem Thema leichter aus dem Weg gehen. . . .