Annette Sandmann (49) engagiert sich beim Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) in Rheinberg für die inklusive Disco „Let's Dance". Jeden zweiten Freitag im Monat können Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam feiern.
Wie hat das mit Ihnen und dem CVJM überhaupt angefangen?
Annette Sandmann Ich bin von unserem Pfarrer Udo Otten und dem stellvertretenden Vorsitzenden des CVJM, Günther Schäfer, angesprochen worden, ob ich nicht Lust hätte mitzumachen. Da ich etwas Neues nach meiner ehrenamtlichen Tätigkeit in der Caritas-Werkstatt suchte, dachte ich mir, dass das eine gute Idee sein könnte. Und das war es!
Die inklusive Disco ist einzigartig in der Region. Wie wurde die Idee geboren?
Sandmann Es gab keinen besonderen Anlass. Der Bedarf war einfach da. Günther Schäfer wollte etwas für behinderte Menschen anbieten, weil er weiß, dass auch sie gerne feiern und tanzen. Der CVJM ist an die Organisation „Aktion Mensch" herangetreten und hat angefragt, ob die Disco bei der Spendenvergabe mit berücksichtigt werden könnte. Dadurch konnten wir in Scheinwerfer und Technik investieren. Das hat uns Vieles erleichtert und das Ganze erst möglich gemacht.
Wie wird diese besondere Art der Inklusion hier vor Ort angenommen?
Sandmann Es hat sich herumgesprochen, und wir verteilen jeden Monat Plakate, weil es ja eine Disco für jedermann sein soll. Aber wie es leider so ist, bleiben wir meist unter uns. Wir „Gesunde" vom CVJM und natürlich die Gäste aus den verschiedenen Einrichtungen. Was ich aber nicht genug betonen kann: Die Stimmung ist super. Es ist einfach toll, wie unsere Gäste feiern können, wie ausgelassen und fröhlich sie sind. Wenn sie tanzen, sind sie frei.
Wer kommt denn zum Tanzen her und von wo?
Sandmann Mein Part im Disco-Team ist der, dass ich regelmäßig die Einladung über den Disco-Verteiler an Wohneinrichtungen und Werkstätten für Behinderte im Radius von 50 Kilometern versende - aus Geldern, Neukirchen-Vluyn, Dorsten, Moers, Hamminkeln und Rheinberg. kommen unsere Gäste. Menschen von 16 Jahren an bis ins Rentenalter kommen ins Haus der Generationen. Die Jüngeren werden beispielsweise auch von ihren Eltern oder Geschwistern begleitet.
Vor einem Monat hat der CVJM das fünfjährige Disco-Bestehen gefeiert. Das bedeutet ja doch, dass die Disco trotz der schwachen Resonanz von Nicht-Behinderten sehr gut angenommen wird, oder?
Sandmann Ja total! Wir rechnen immer mit 70 bis 90 Gästen. Die 100 haben wir auch schon mal „geknackt". Die Termine sind wichtig für die Jahresplanung der Einrichtungen. Ich habe jetzt schon Anfragen für 2019 bekommen. Die Bewohner zählen die Tage und freuen sich riesig, wenn es dann endlich wieder soweit ist. Die Disco dauert drei Stunden, von 18 bis 21 Uhr. Aber einige kommen schon früher und gucken zu, bis es losgeht. Es ist ein tolles Gefühl für das Team, dass das so gut läuft.
Wie viel Arbeit steckt in den monatlichen Veranstaltungen?
Sandmann Der Aufwand ist überschaubar. Natürlich muss immer geplant werden. Die Getränke müssen zum Beipiel besorgt werden. Aber wenn man ein zuverlässiges Team hat, hält sich die Arbeit für den Einzelnen im Rahmen. Bei uns läuft alles ehrenamtlich und gemeinsam mit unserer Jugend. Es gibt ein Disco-Team bestehend aus etwa sechs Personen. Zwei bis drei Personen aus dem Vorstand des CVJM und einigen Jugendlichen. Das könnten andere auch gut nachmachen.
Müsste sich etwas ändern?
Sandmann Nein, ich finde es läuft alles super. Ich würde es nicht ändern, weil Änderungen nicht immer positiv sind. Wir sind zufrieden, und auch für unsere Gäste ist eine Veränderung nicht immer gut. Sie brauchen den Wiedererkennungseffekt, auch die Routine und Gleichförmigkeit. Als wir unser Plakat geändert haben, haben wir uns schon Gedanken gemacht, wie es ankommt.
Mit der Begegnung klappt es leider noch nicht so, wie Sie sich das vermutlich gewünscht haben. Austausch und Inklusion, wie sie sein sollen, finden nicht statt. Wie ließe sich das ändern?
Sandmann Wir sind froh, dass wir für diese eine Zielgruppe den Raum geschaffen haben. Auch über die Ortsgrenze hinaus. Manche kennen sich schon, weil sie zusammen arbeiten. Nach Feierabend treffen sie sich bei uns in der Disco und können quatschen. Wie wir es hinkriegen können, damit die Inklusion in der Form stattfindet, haben wir uns noch nicht überlegt. Ist für uns beim derzeitigen Erfolg auch nicht wirklich ein Thema. Zumal wir auch irgendwann nicht mehr stemmen können.
Wie sieht die Disco aus, wie kann man sich das vorstellen?
Sandmann Es gibt Snacks, Mini-Pizza, Getränke. Es wird Kicker gespielt und es gibt natürlich ganz viel Musik zu hören. Davon wirklich alles - rauf, runter, deutsche Schlager, Pop-Charts, und es wird gern mitgesungen. Alle sind begeistert von unserem DJ Patty. Am Liebsten möchten die Gäste mit an seinem Mischpult sitzen oder wünschen sich Lieder.
Wer ist DJ Patty und was macht ihn so besonders?
Sandmann „Unser Patty" heißt eigentlich Patrick Weggen, ist 33 Jahre alt, lebt in Kamp-Lintfort im Betreuten Wohnen. Er hat ein unfassbares Gespür für die Menschen und die Musik. Die Stimmung steigt noch mehr, wenn er auf die Tanzfläche geht. Dann wird der Piratentanz getanzt, und alle stehen um ihn herum und machen mit.
Haben Sie das Gefühl, dass die Musik Berührungsängste nimmt?
Sandmann Das kann man so nicht sagen. Ich habe das Gefühl, dass es gar keine Berührungsängste gibt. Es sind Stammgäste, die sich kennen und freuen, wenn sie sich treffen. Auch wenn Neue dazu kommen. Sie sind sehr frei und ohne große Hemmungen, kommen schnell ins Gespräch.
Ist die Disco ihrer Meinung nach ein pädagogischer Erfolg?
Sandmann Sehr. Bei uns kann man sich frei fühlen. Einfach mal loslassen, sich ausleben und miteinander tanzen. Auch die Rolli-Fahrer tanzen. Es ist ein echt tolles Erlebnis.
Sie sagten, aus der Bevölkerung kommen wenige vorbei. Aber trotzdem wird die Disco ja herausgetragen und kommuniziert. Haben Sie das Gefühl, dass dadurch Impulse in die Stadt getragen werden?
Sandmann Es wird positiv aufgenommen. Aber verankert scheint es noch nicht zu sein, wenn immer nur eine Zielgruppe kommt. Viele haben noch Berührungsängste. Denn es ist leider immer noch nicht so selbstverständlich, dass man gemischt und unvoreingenommen miteinander umgeht. Ich glaube, wer nichts mit Inklusion zu tun hat, beschäftigt sich auch nicht unbedingt damit.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Disco?
Sandmann Es wäre toll, wenn die Gesellschaft ein aktiverer Teil werden wollte. Wenn die Leute ihre Scheu ablegen und sich das wirklich mal angucken und nicht nur sagen, dass es eine tolle Idee sei. Dann sehen sie, wie es für eine klasse die Stimmung ist und was man für nette Gespräche führen kann. Es ist leider noch einseitig, aber trotzdem wunderschön. Die Menschen sind glücklich. Und unser Team auch.