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Was macht wirklich glücklich: Unabhängigkeit oder Zweisamkeit?

Um ehrlich zu sein war ich nie ein richtiger Beziehungstyp. Ich habe mich einfach nie danach gesehnt. Natürlich fände ich es schön, meinen Alltag mit jemand besonderem zu teilen, abends neben dieser Person einzuschlafen und morgens neben ihr aufzuwachen. Aber das würde auch bedeuten, dass ich mein Leben ändern müsste. Ich müsste mich für eine längere Zeit nicht nur auf einen Menschen, sondern auch auf einen Ort festlegen. Ich müsste Kompromisse eingehen und Absprachen führen, wie ich mein nächstes Wochenende gestalten möchte. Stelle ich diese zwei Lebensstile gegenüber, muss ich nicht lange überlegen.

Jung, frei und unabhängig.

„Findest du nicht, dass du daran mal etwas ändern solltest?", fragt mich mein guter Freund Carsten, als ich ihm erkläre, dass ich kein Interesse an einer festen Beziehung habe. Seine Frage macht mich wütend. Wieso muss ich mich denn eigentlich immer dafür rechtfertigen, wie ich mein Leben lebe?

Ich brauche regelmäßig einen Tapetenwechsel. Möchte zwischen hohen Gebäuden auf belebten Straßen laufen, wo mich niemand erkennt. Wenn mir danach ist, einfach in die nächste Bahn zu springen und ein paar Stationen weiter in einer völlig anderen Stadt den herzhaften Straßenduft nachzuempfinden. Was für einige einschüchternd und anstrengend klingen mag, ist für mich genau das Gegenteil. Zu wissen, dass noch etwas Anderes da draußen ist als die immer gleichen Backsteinhäuschen, ist für mich das Größte, um mich lebendig zu fühlen.

Unabhängige Selbstbestimmung

Nach einer längeren Diskussion kommen Carsten und ich zu dem Entschluss, dass wir uns gegenseitig einfach nicht verstehen. Ihm gehe es besser, wenn er sein Leben mit jemandem teilen kann. Ich brauche meinen Freiraum. Wir respektieren unsere Einstellungen, würden aber nicht miteinander tauschen. So habe ich auch nie verstanden, warum Kommilitonen ihr Auslandssemester oder ein Praktikum in einer anderen Stadt von ihrem Partner abhängig machen. Es ist schließlich ihr Leben. Ihre Zeit, in der sie dieses Leben so richtig ausnutzen können. Es gibt diese eine Chance.

Ich habe nie verstanden, warum Kommilitonen ihr Auslandssemester oder ein Praktikum in einer anderen Stadt von ihrem Partner abhängig machen. Es ist schließlich ihr Leben.

Dieser „Gypsy Lifestyle", den Menschen wie ich bevorzugen, bedeutet ja nicht, dass man sich für ein einsames Leben in der Blüte seiner Jahre entscheidet. Im Gegenteil. Es bedeutet, dass man sich nicht festlegen muss. Alles ist möglich. Man ist offen für jeden Einfluss. Man lernt sich selbst besser kennen und versucht herauszufinden, was und wen man will und was und wer zu einem passt. Man fliegt auch mal auf die Schnauze. Und oh ja, Liebeskummer gibt es auch.

Das vierte Jahr

„Ich habe keine Lust mehr auf belanglose Bekanntschaften", sagt meine Freundin Anna in einer Kneipe zu mir. Anna ist seit vier Jahren Single. Sie erzählt mir, wie sie letztens in einem Club angetanzt wurde. Ein Knaller sei der Typ nicht gewesen, aber besser als nichts. Ohne nur ein Wort miteinander zu reden, machten sie miteinander rum und tauschten Nummern aus. Mühe machte sich keiner. Standard Small-Talk war das Programm. Alles, nur keine Verpflichtungen. „Wie krank ist das?", sagt sie kopfschüttelnd.

Auch ich lebte die letzten vier Jahre so. Und beklagte mich nie. Ich habe es mir ja so ausgesucht. Doch dann merkte ich, wie ich mich langsam nach einer Konstante in meinem Leben sehnte. Nach einem Zuhause, nach einem Partner. Ich wollte das Großstadt-Nomaden-Leben an den Nagel hängen und erwachsen werden. Ich hatte immerhin schon vieles erlebt. Länder bereist. In Zweier-, Dreier-, Vierer- und Siebener-WGs gewohnt. Gearbeitet und studiert. Gedatet und getindert. Wie lange geht das noch so weiter? Auf ewig will ich das nicht.

Ich kann verstehen, wie schön es in unserem Alter ist, ernste Beziehungen zu führen. Entscheidungen nicht nur alleine fällen zu müssen, sondern teilen zu können.

Ich fing an Carstens Frage langsam nachzuvollziehen. Ich kann verstehen, wie schön es in unserem Alter ist, ernste Beziehungen zu führen. Entscheidungen nicht nur alleine fällen zu müssen, sondern teilen zu können. Aber ich weiß auch, dass man dafür bereit sein muss. Bei mir spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. Das Timing stimmte, das Fenster war offen, das Licht brannte. All diese Floskeln beschreiben meinen Geistes- und Gefühlsumschwung ziemlich genau, ohne einen handfesten Grund ausmachen zu können.

Alltag mit Beigeschmack

So fing ich in einer meiner Boxenstopps eine Beziehung an. Alles war gut - bis mein Chaos-Leben wieder in den Weg kam. Ich wollte nicht wieder 500 Kilometer weit wegziehen. Ich wollte nicht wieder Kartons packen und sie in den 5. Stock einer neuen Altbauwohnung schleppen. Ich wollte einfach, dass alles so blieb, wie es war. Zum ersten Mal in meinem Leben sehnte ich mich danach. Den Schritt zu einer normalen Beziehung übersprang ich und fing direkt mit einer Fernbeziehung an. Wow, denke ich selbstironisch, alles andere wäre zu langweilig gewesen.

Jetzt sitze ich hier. Plane meine Wochenenden Monate im Voraus. Gehe Kompromisse ein und halte Absprachen. Alles für drei Tage in Folge, die ich neben dieser einen Person einschlafen und aufwachen kann. Diese langen Wochenenden der Zweisamkeit sind so echt, doch nur eine Woche später zerplatzen sie in meinem eigenen Alltag wie eine Blase. Ich fühle mich einsamer in meiner Freiheit als zuvor. Zwischen zwei Wirklichkeiten. Ich beginne zu zweifeln, ob sich dieses rastlose Leben für mich noch lohnt. Wie absehbar ist es und warum suche ich auf einmal ein Ende?

Diese drei Tage Zweisamkeit sind es wert. Denn ich bin so glücklich wie lange nicht mehr. Obwohl ich mich auf einen Menschen festgelegt habe, fühle ich mich nicht eingeengt. Ich lebe meinen chaotischen Alltag weiter. Ich bin mir bewusst, dass das nicht für jedermann ist und ich sehr viel Glück habe, dass ich jemanden gefunden habe, der es mitmacht. Wer weiß, vielleicht verschlägt mich mein nächster Umzug näher an einen ganz bestimmten Ort.

Ich fühle mich einsamer in meiner Freiheit als zuvor.
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