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Tanzender Krieger

Milad "Rowdy Eyez" Samim während der EBS Krump Championship

Seine Beine rasen in die Luft und sein Fuß stampft auf den Boden. Die Arme reißt er weit in den Himmel, die Finger sind gespreizt. Es sieht aus, als stehe er unter Strom. Sein Körper zuckt, immer unter Spannung. Jede Bewegung findet ihren Platz. Sein Gesicht ist verzerrt – so, als würde er allen Schmerz, der sich in ihm angestaut hat, loslassen. Hart, aber auch befreit.


Milad Samim, alias „Rowdy Eyez", tanzt seit er sechs Jahre alt ist. Damals fing er mit Michael Jackson an. Verkleidet als „The King of Pop" begeisterte er das Publikum als Mini-Michael. Seitdem experimentierte er viel herum: Hip Hop, Breakdance und Choreografie waren seine nächsten Schritte. Bis er 2005 den Film „Rize" von David LaChapelle über Krump, dem Tanz aus den Ghettos von L.A., sah. „Das hat mich so geflasht, das wollte ich auf jeden Fall ausprobieren. Am Anfang war das nur just for fun. Dann habe ich gemerkt es wird ernster. Seit 10 Jahren tanze ich jetzt Krump", erinnert sich der Kommunikationsinformatik-Student mit leuchtenden Augen.

Vom Ghetto ins Saarland

Die Tanzrichtung Krump wurde von den US-Amerikanern Tight Eyez und Big Mijo vor 15 Jahren erfunden. Sie sehnten sich nach einer Ausdrucksform, die nicht nur unterhält, sondern echt ist. So entstand Krump, mitten in den Straßen von Los Angeles, wo täglich Kriminalität und Drogengeschäfte herrschen. Tight Eyez und Co. haben es erreicht mit dieser Art sich zu bewegen ein neues Lebensgefühl zu schaffen und Jugendliche von den Straßen zu holen. Durch die aggressive Art zu tanzen, finden sie ein Ventil, um mit dem Frust und der Ungerechtigkeit im Alltag umzugehen.

Um sich selber fit zu halten, gibt Milad jeden Donnerstag Krumping-Kurse im Six-Step Dancestudio Saarbrücken. Es ist gut besucht. Milad steht vor dem Spiegel und versucht seinen Schülern die Basics, wie zum Beispiel „Popps" beizubringen. Das sind kraftvolle Muskelanspannungen am Ende jeder einzelnen Bewegung, die von der Hip-Hop Tanzart „Popping" kommen. Er studiert keine Choreografien ein, sondern konzentriert sich auf die Technik. „Kannst du uns ein paar Tricks zeigen?", fragen ihn seine Schüler. Milad antwortet darauf: „Was bringt euch das? Basics! Das ist wie in Mathe, es hängt alles zusammen. Erst braucht man die Foundation."

Persisches Blut in der Battle-Szene

Beim Tanzen treffen viele unterschiedliche Kulturen aufeinander. Gerade das macht es so einzigartig, findet der Saarbrückener. „Es bringt Leute zusammen, es ist viel Liebe, es ist ein Exchange. Ich finde es super wichtig, dass es international ist, auch, damit wir miteinander auskommen. Es spielt keine Rolle, ob er schwarz, weiß oder Asiate ist." Milad ist im Iran geboren und kam im Alter von drei Jahren mit seiner Mutter, seiner Schwester und seinem Bruder nach Deutschland. Hier habe er angefangen zu leben, deswegen fühle er sich auch als Deutscher und nicht als Iraner. Seine Heimat jedoch – der Kriegerinstinkt und das persische Blut, wie er es nennt – spiegelt sich auf der Tanzfläche wieder, sagt er lachend.

Das Besondere an Krump, sagt Milad, sei die Explosivität. „Alle Gedanken sind frei und ich kann das ausdrücken, was ich fühle in dem Moment. Jedes Kind will ein Superheld werden. Wenn ich auf der Stage stehe, fühle ich mich echt mächtig, wie ein Superheld halt." Das steckt die Menschen anscheinend an, denn der Tanz ist in den letzten Jahren sehr groß geworden. „Wenn ich auf großen Battles bin und die Leute hören ,Let‘s start with Krump now’ sind sie direkt dabei. Weil es die meiste Energie hat. Es ist sehr explosiv, es ist real. Du benutzt richtig deinen Körper."

"Tanzen ist meine Religion"

Was viele nicht wissen: Krump ist sehr spirituell. Die Gründer sind strenggläubige Christen. Sie sehen ihre Talente als göttliche Gabe und als Verantwortung zugleich. Und Krump als Street-Version des Gebets. „Ich glaube an Gott aber habe keine Religion. Tanzen ist meine Religion. Es ist die beste Religion. Es zieht die Leute zusammen. Wie es sein sollte. Wir bekämpfen uns auf eine andere Art, ohne uns weh zu tun", sagt Milad.

Manchmal befinden sich die Tänzer in einer Art Trance während des Auftritts. Auch Milad war schon ein paar Mal in diesem Zustand. „Da sehen wir nur noch schwarz. Wir nennen diesen Moment ‚live‘, weil er echt ist", erzählt er und blickt in eine weite Ferne. Dabei die Kontrolle über seine Aktionen zu behalten, ist schwer. „Du bekommst Gänsehaut. Du siehst einfach gar nichts mehr, du hörst nur noch die lauten Schreie der Crowd und die Musik. Das ist schon ein krasses Feeling, unsere Droge halt."

Ritterschlag von Krump-Legende "Tight-Eyez"

Zehn Jahre nach seinem ersten Kontakt mit Krump, kann der gebürtige Iraner auf Erfolge blicken. Zahlreiche Contests, national und international, konnte er als „Rowdy Eyez" für sich entscheiden. Dreimal in Folge gewann Milad Samim die Krump Championship mit seiner Crew. Zusammenhalt und blindes Verständnis sind da sehr wichtig. Denn die Crew ist in ganz Deutschland verstreut. Drei von ihnen wohnen in Düsseldorf, einer in Kiel und Milad lebt in Saarbrücken. Da bleibt nicht viel Zeit zum Üben. „Letztes Jahr haben wir bis fünf Uhr morgens in einer U-Bahn Station mit einem kleinen Ghetto-Blaster trainiert, weil wir keine Halle hatten. Wir haben erst zwei Tage vor der Weltmeisterschaft angefangen." Auf Milads Talent wurde auch Krump-Erfinder Tight Eyez aufmerksam und berief den Deutsch-Iraner in seine Crew. „Das war das beste Feeling überhaupt. Er ist mein Idol - ,The Greatest of all Time’. Er hat viel für Krump getan."

Milad und seine „Homies" treffen sich manchmal in der Stadt und tanzen auf der Straße. Dafür braucht man Mut. Milad mag es nicht so gerne, wenn viele Leute stehen bleiben und zugucken. Dann kommt er leicht aus dem Konzept und kann den Moment nicht fühlen. Der Bass der lauten Musik dröhnt in den Köpfen der Passanten. Das Publikum ist vielseitig, Jung und Alt spüren die Energie, die von den Jungs aus geht. Sie werden von der dunklen, aggressiven Musik angezogen. Dann fängt es an zu regnen und die Street Session wird aufgelöst. Die Tänzer packen schnell ihre Sachen zusammen und laufen mit der Boombox davon, bevor sie krank werden. Das kann kein Tänzer gut gebrauchen.

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