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Bruch mit ihrem engsten Vertrauten - was steckt dahinter?

© Getty Images / Anna Wintour und André Leon Talley

von Marcus Luft und Julia Seiffert


André Leon Talley packt plötzlich über seine ehemalige Chefin und Freundin Anna Wintour aus. Warum macht er das?


Erste Reihe, Mitte - da spielt die Musik! Drumherum wird der Rest platziert. Die Sitzordnung jeder Fashion-Show ist eine auf Stühlen oder Bänken manifestierte Hackordnung. In der Mitte thronen die Royals. Unangefochtene Königin ist US-"Vogue"-Chefin Anna Wintour. Direkt neben ihr wurde über Jahrzehnte ein Mann gesetzt, den man aufgrund seiner voluminösen Looks den "König der Capes" nennt: André Leon Talley. Doch dann verstieß Queen Anna im "Game Of Thrones" der Mode diesen Vertrauten, mit dem sie seit 1983 zusammengearbeitet hatte.


Anna Wintour: Warum brach sie mit André Leon Talley?

Die beiden schienen immer ein Herz und eine Seele. Ein Power-Paar, das gemeinsam über das Schicksal von Designern, Models und Stylisten entschied. Noch im Herbst vorigen Jahres nannte Talley seine Chefin "eine Freundin, die mich in ihre Familie aufgenommen hat". Nun wundert er sich, dass sie "keine Mails mehr beantwortet" und "mich auf der Straße nicht mehr grüßt".


Schuld am Bruch ist wohl Talleys Buch "The Chiffon Trenches: A Memoir" ("Die Chiffon-Schützengräben"). Es erscheint zwar erst im Herbst, doch einige Passagen gelangten nun bereits an die Öffentlichkeit. "Die Freundschaft mit Anna Wintour hat bei mir emotionale und psychologische Narben hinterlassen", schreibt Talley. Er behauptet: "Sie hat jene Menschen zu ihren besten Freunden gemacht, die auf ihrem jeweiligen Gebiet die höchsten Positionen einnehmen. Serena Williams, Roger Federer, Mr. und Mrs. George Clooney sind für sie Freunde. Ich bin für sie nicht länger von Wert." Auch wenn "Nuclear Wintour" nie mit ihm über seine Kündigung gesprochen habe, glaubt er den Grund doch zu kennen: "Zu alt, zu übergewichtig, zu uncool." Während seiner "Vogue"-Zeit soll sie ihn in eine Diätklinik geschickt haben - auf Kosten des Verlags.


Ihr Ruf eilt ihr voraus

Völlig überraschen werden solche Aussagen die Modebranche nicht. Sie bestätigen ja nur den Ruf, den Anna Wintour spätestens seit dem Kinohit "Der Teufel trägt Prada" auch bei der breiteren Bevölkerung hat. Es passt ins Bild der als extrem ungeduldig geltenden Chefin, wenn Talley beschreibt, dass bei ihr keine Konferenz länger als acht Minuten dauern dürfe. Beim ersten Treffen in einem Restaurant sei sie bereits gegangen, bevor die Vorspeise serviert wurde. Laut Talley verzichten viele Restaurant-Köche inzwischen darauf, eine von ihr bestellte Vorspeise überhaupt zuzubereiten.


Talleys Erfahrung als langjähriger Vertrauter lautet: "Manchmal behandelt sie dich wie deinen besten Freund, ein anderes mal wie das Personal beim Valet-Parking, dem sie den Autoschlüssel in die Hand drückt." An der Wahrheit solcher Geschichten zweifeln Insider nicht. Schuh-Designer Manolo Blahnik gibt süffisant zu Protokoll, das Buch gebe einen "ehrlichen Blick" auf 50 Jahre Mode-Business.


Auch über Karl Lagerfeld schreibt Talley

Der zwei-Meter-Mann Talley und die zierliche Anna Wintour: Bei ihnen mischte sich Berufliches und Privates. Er begleitete sie zur Beerdigung ihrer Mutter, und er war natürlich zur Hochzeit von Wintour-Tochter Bee Shaffer eingeladen. Dabei starteten sie unterschiedlich ins Leben. Anna Wintour ist die Tochter eines Zeitungsverlegers, André Leon Talley wuchs in einfachen Verhältnissen bei seiner Großmutter auf. "Als Kind kaufte ich mir immer die 'Vogue'. Sie war meine Art von Flucht, mein Traum." In seiner Zeit beim wichtigsten Mode-Magazin der Welt wurde der Traum Realität. "A. L. T.", wie ihn der Inner Circle nennt, residierte in den teuersten Luxushotels, wurde von den großen Designern hofiert. So lieh ihm Karl Lagerfeld eine Abendrobe für einen Event im Pariser "Maxim's". Auch über ihn schreibt Talley jetzt. Lagerfelds Mutter soll den kleinen Karl mit Lederfesseln ans Bett geschnürt haben, damit er nicht nascht.


Dass sein Buch für so viel Aufregung sorgt, könne er nicht verstehen, so Talley. "Ich denke nicht, dass es sich um ein rachsüchtiges, zickiges Buch handelt", sagte er dem Branchendienst WWD. "Anna war die Erste, der ich die Druckfahnen geschickt habe. Ich schrieb ihr: Wenn da irgendetwas steht, was du nicht lesen möchtest, sag mir Bescheid. Sie bat darum, einige private Passagen zu streichen und keine Details über die Hochzeit ihrer Tochter zu verraten." Mehr nicht. Nur: Als er sich jetzt bei ihr per Mail nach ihrem Sohn Charlie erkundigte, der am Corona-Virus erkrankt ist, gab es keine Antwort

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