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Instagram: Cyber-Mobbing gegen LGBTIQ-Accounts

Im Sommer 2020 beginnt die erste Welle, seit November nehmen die Zahlen gesperrter LGBTIQ-Instagram-Accounts wieder zu. Vermutlich ist eine organisierte Gruppe von homophoben Instagram-Nutzer:innen dafür verantwortlich. Die Hamburger Schauspielerinnen Sarah und Kokebnesh berichten, wie sich die Betroffenen gegenseitig helfen. Außerdem erklärt LGBTIQ-Aktivistin Tash Thomas, welche Strategien die Mobber:innen anwenden, um möglichst viele Profile zu melden.


Beim Kochen lädt Kokebnesh nebenbei eine Instagram-Story hoch. Als sie später ihre Story ansehen möchte, kann sie das Pärchen-Profil, das sie mit Sarah führt, plötzlich nicht mehr aufrufen. „Dein Konto wurde wegen einer Verletzung unserer Nutzungsbedingungen gesperrt" prangt auf dem Bildschirm. Angeblich gibt ihr Account vor, jemand anderes zu sein. Die erste Reaktion ist Verwunderung. Auf dem gemeinsamen Instagram-Account sind vor allem Pärchen-Fotos zu sehen. In ihren Storys lassen die beiden ihre Follower:innen an ihrem Alltag teilhaben. Von Fake-Inhalten also keine Spur.


„Uns war direkt klar, was passiert ist", erinnert sich Kokebnesh. Das Schauspielerinnen-Paar ist in der LGBTIQ-Community gut vernetzt. Nur deshalb wissen sie sofort, dass auch ihr Instagram-Konto - wie das vieler homosexueller, vor allem lesbischer, Pärchen in den letzten Monaten - fälschlicherweise deaktiviert wurde. Bei einer Deaktivierung bleiben Inhalte sowie Followerzahlen erhalten, die Nutzer:innen können aber nicht mehr auf ihren Account zugreifen. Für andere ist das Profil unsichtbar.


Mit Bots gegen LGBTIQ-Profile

Offenbar steckt hinter den massenhaften Deaktivierungen eine organisierte Gruppe, die homophob motiviert handelt. Unklar ist, wer diese Menschen sind und wie sie sich organisieren. Tash Thomas, LGBTIQ-Aktivistin und Content-Creator, vermutet, dass es sich um IT-versierte Angreifer:innen handelt, denn „das Niveau ihrer Arbeit legt das nahe." Es sei unmöglich zurückzuverfolgen, welche Personen genau dahinter stecken, lediglich Muster ließen sich feststellen. Hinweise ergeben sich aus dem Austausch innerhalb der Community. Viele Mobber:innen arbeiten nicht versteckt, sondern zeigen in öffentlichen Storys wie sie vorgehen. Ein Video, das der Redaktion vorliegt, zeigt eine von einem Angreifer aufgenommene Bildschirmaufnahme. Zu sehen ist, wie er das Profil von Tash und ihrer Partnerin innerhalb kürzester Zeit sperren lässt.


Öffentlich ist nicht nur dieser Vorgang, sondern auch, wie Täter:innen sich zelebrieren. „Die rühmen sich in ihren Storys damit, wenn sie es wieder geschafft haben, einen Account zu kicken. ‚Who's next?' und ‚The game is on' steht dann da", erzählt Kokebnesh. Teilweise würden sie das Ganze als eine Art Spiel organisieren, in dem Teams gegeneinander antreten und um die Wette LGBTIQ-Profile deaktivieren lassen. „Kurz bevor unser Account weg war, haben wir eine Nachricht von einem dieser Accounts bekommen. Und da stand nur ‚bye'", ergänzt Sarah.


Tashs Pärchenaccount wurde schon mehrfach Opfer dieser Mobbing-Angriffe. Wie die Täter:innen vorgehen, beschreibt sie so: „Wenn sie ein Konto auf Instagram melden, nutzen sie meist die Option ‚Selbstmord' oder ‚Selbstverletzung' als Grund, was zu einer sehr schnellen Deaktivierung zu führen scheint." Sie vermutet, dass der Instagram-Algorithmus darauf besonders sensibel reagiert. Damit es schnell geht, setzen sie Bots ein, die einen Account hundertfach melden. Mittlerweile kennt sie einige Tricks der Mobber:innen.

Eine weitere Strategie sei, Fake-Accounts zu kreieren. Wie genau das funktioniert, kann Tash aus eigener Erfahrung berichten: „Diese Leute haben Profile mit fast dem gleichen Namen wie unseren erstellt. Sie benutzten unser Bild, unsere Bio, alles identisch. Und dann melden sie unseren Account als Fake." Die Täter:innen wiederum sperren zu lassen, sei schwierig. Schon mehrfach habe sie es versucht, jedes Mal erfolglos. Der Grund: angeblich zu wenig Beweise. Das bestärkt Tash in ihrer Vermutung, dass auch für die Reaktivierungen keine echten Menschen, sondern Algorithmen verantwortlich sind.


Französische E-Mails und ein ewiges Hin und Her

Wird ein Account fälschlicherweise deaktiviert, gibt es Möglichkeiten, Einspruch einzulegen. In einem komplizierten und langwierigen Verfahren mit französischen Mails und Aufforderungen, Fotos an Facebook zu schicken, sollen Sarah und Kokebnesh bestätigen, dass der deaktivierte Account tatsächlich ihnen gehört. Während des sich hin ziehenden Prüfprozesses fragen die Schauspielerinnen bei anderen Paaren nach, denn der Vorgang kommt den beiden zunächst alles andere als seriös vor. Genau für solche Momente gründete Tash vor einigen Wochen eine Facebook-Gruppe. Dort tauschen sich Betroffene aus und geben sich gegenseitig Tipps, wie man schnellstmöglich seinen Account wiederbekommt. „Außerdem haben wir eine Blockliste mit Personen erstellt, von denen wir wussten, dass sie in diese Sache verwickelt sind. Diese Liste ist etwa 300 Namen lang. Das erste, was wir den Leuten raten, wenn sie ihr Konto zurückbekommen, ist, diese Leute zu blockieren", sagt die Aktivistin.


Auch sie und ihre Partnerin traf es hart, als ihr Account innerhalb kurzer Zeit mehrfach gesperrt wurde. Das war Ende Oktober und Anfang November letzten Jahres. Damals erlitt das Paar auch finanziellen Schaden, als verschiedene Sponsoren-Deals durch den deaktivierten Account platzten. „Es hat uns klar gemacht, dass wir uns bei unseren Deals nicht nur auf Instagram verlassen können. Wir können es uns nicht leisten, der Gnade einiger hasserfüllter Menschen auf der anderen Seite des Planeten ausgeliefert zu sein", macht Tash deutlich. Um andere vor den Angriffen zu bewahren, rät sie in der Facebook-Gruppe, nicht zu öffentlich zu feiern, wenn ein Account wieder aktiviert wurde. Zu groß sei die Gefahr, von den Angreifer:innen erneut gemeldet zu werden. Auch mit dem Markieren anderer LGBTIQ-Accounts müsse man manchmal sparsam umgehen. „In weniger als einem Tag kommen sie und deaktivierten neue Konten", warnt sie.


„Wir haben nicht das Gefühl, dass Facebook uns hört"

Die Frustration sei in der ganzen Community spürbar, meint Tash. „Wir haben alle positive Accounts, die meist nur Alltägliches teilen. Das Wichtigste ist, dass wir Sichtbarkeit für die Menschen zu schaffen, die ihre Sexualität und Identität in Frage stellen", betont Tash. Auch Sarah ist sich sicher: „Wenn du irgendwo lebst, wo du niemanden hast, der dir als LGBT-Kamerad zur Seite steht, fühlst du dich allein. So viele Leute finden durch ihren Instagram-Account diesen Zusammenhalt."


Seitens Instagram oder Facebook kommt wenig Hilfe. „Wir sind eine Gemeinschaft von 126 Influencer:innen. Wir müssen gehört und gesehen werden und im Moment haben wir nicht das Gefühl, dass Facebook uns hört", beschwert sich die Aktivistin. Auf Anfrage der akduell liefert ein Facebook Company Sprecher folgendes Statement: „Wir erlauben weder Mobbing noch Belästigung auf Instagram, auch nicht, wenn Menschen unser eigenes Meldesystem missbrauchen, um andere zu belästigen. Wir werden gegen alle Accounts vorgehen, die an dieser Art von Verhalten beteiligt sind, sobald wir diese finden."


Bis dahin wird sich die Community noch selbst helfen müssen. Immerhin sind die Vorfälle inzwischen zurückgegangen. Im Laufe des Novembers seien täglich sechs oder sieben Accounts betroffen gewesen, von denen sie wusste, meint Tash. Momentan zählt sie pro Woche ein bis zwei gesperrte Accounts. Zusätzlich habe sich der Prozess, bis die Leute ihr Profil zurückerhalten, beschleunigt. Aber auch wenn das Konto reaktiviert wird, enden die Probleme einiger Nutzer:innen nicht, sagt Tash. Denn die Algorithmen scheinen die Deaktivierung zu bestrafen: „Es dauert sechs bis acht Wochen, bis dein Konto sich erholt und wieder in den Feeds der Follower auftaucht. Für Partnerschaften mit Marken bedeutet das, dass man im Grunde fast zwei Monate vom Netz ist."


Sarah und Kokebnesh benutzen die Plattform seitdem vorsichtiger. „Sobald uns jemand folgt, dessen Profil verdächtig aussieht, überlege ich mir gut, ob ich die Person nicht sofort blockiere", meint Sarah. Kokebnesh betont: „Es gibt viele, die sich nicht mehr trauen, bestimmte Hashtags zu benutzen, weil sie Angst haben, dass das ‚zu LGBT' ist und sie gefunden werden." Verstecken wollen sich die beiden aber nicht. Sarah hat dazu eine klare Meinung: „Ist denen nicht bewusst, dass die uns nicht weg bekommen, nur weil die unsere Accounts löschen? Wir sind immer noch da!"

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