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Erinnerung an eine halbe Million ermordeter Sinti:zze und Rom:nja

Weitaus unbekannter als die Vernichtung von 6 Millionen jüdischen Menschen durch die nationalsozialistische Mordpolitik, sind die 500.000 toten Sinti:zze und Rom:nja. Um die traumatischen Erlebnisse der Überlebenden des Völkermords und die Erinnerung durch die Nachfahren geht es in der Ausstellung „Rassendiagnose: Zigeuner: Der Völkermord an den Sinti:zze und Rom:nja und der lange Kampf um Anerkennung" im Zentrum für Erinnerungskultur (ZfE) in Duisburg.

„...Ich hoffe und bete, dass es kein Auschwitz mehr geben wird." Mitten Im Satz schallt die Stimme eines Mannes aus dem Raum, noch bevor man ihn betreten hat. Eine Wendeltreppe führt in den ersten Stock des ZfE. Ein kurzer Gang durch einen Vorraum befördert die Besuchenden in die Ausstellung. Im ganzen Raum verteilt stehen große Aufsteller mit Texten und Bildern sowie mehrere Tische mit abfotografierten Dokumenten, Familienportraits und erklärenden Begleitschreiben. Durch die Fensterfront auf der rechten Seite ist der Raum lichtdurchflutet. Rote Plüschsofas bieten Platz zum Ausruhen.


Vernichtung einer Minderheit


Wer sich die Ausstellung „Rassendiagnose: Zigeuner: Der Völkermord an den Sinti:zze und Rom:nja und der lange Kampf um Anerkennung" anschauen möchte, sollte Lust zum Lesen mitbringen. Auch wenn die Texte immer kurz und prägnant sind, dauert es zirka anderthalb Stunden, bis man alle gelesen hat. Ein aufmerksamer Blick auf die Texte lohnt sich aber. Dargestellt werden nicht nur die Vorurteile, denen die Minderheit seit jeher ausgesetzt ist. Der Schwerpunkt liegt klar auf den Verbrechen des Nationalsozialismus. Ähnlich wie jüdische Menschen wurde auch diese Gruppe entmenschlicht, entrechtet, verfolgt und systematisch vernichtet.


Diskriminiert wurden Sinti:zze und Rom:nja auch schon vor dem Nationalsozialismus. Als Beweis zeigt unter anderem eine Tafel eine vergrößerte Aufnahme von einem vergilbten „Sonderausweis" von 1922, der handschriftliche Angaben sowie Fingerabdrücke festhält. Schauerlich sind aber vor allem die Dokumentationen der Kriegsverbrechen an dem Volk. Bilder und Texte zeugen von den medizinischen Experimenten und Zwangssterilisationen, die Josef Mengele als Lagerarzt im KZ Auschwitz unter anderem an Sinti:zze und Rom:nja, besonders an Zwillingen, durchführte. Die Bilder von toten Häftlingen und noch lebenden, nackten und ausgemergelten Kindern jagen einem einen Schauer nach dem nächsten über den Rücken. Europaweit wurden zirka 500.000 Sinti:zze und Rom:nja Opfer des Nationalsozialismus.


Ein Duisburger Sinto erzählt


Am plastischsten wird der Völkermord durch einen filmischen Beitrag, der auf einem kleinen Bildschirm gezeigt wird. Die Männerstimme vom Anfang erweist sich als die von Duisburger Sinto Mario Reinhardt, der in einem Interview über die Erinnerungen seiner Vorfahren, vor allem die seines Großvaters Franz Lehmann spricht. „Er war mein Ziehvater, ‚Papa' habe ich ihn in unserer Sprache genannt", erzählt Reinhardt. Seine Worte sind stark vom Duisburger Ruhrgebietsdialekt gefärbt. „Mit 16 brachte er mich noch zur Schule", erinnert er sich und lacht herzlich.


Er berichtet nicht nur von den Erlebnissen seines Großvaters, sondern auch von eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung. In der Schule habe er eher türkische, marokkanische und italienische Freunde gehabt. „Deutsche Freunde hatte ich eher nicht. Ein Thorsten oder ein Peter, der mied uns." Seine Frau und seine Schwiegertochter hätten schon oft in der Öffentlichkeit, zum Beispiel in Straßenbahnen, Ausgrenzung erfahren. Seine Sicht auf die Zukunft beschreibt er so: „Dadurch was ich und mein Volk erlebt haben, sehe ich die Zukunft zwiegespalten". Mit Sorge betrachte er den Rechtsruck in der Gesellschaft. Die meisten Menschen seien gut und vernünftig, aber „ich hoffe und bete, dass es kein Auschwitz mehr geben wird."

Die Ausstellung läuft noch bis zum 06. September. Eintritt: Erwachsene: 4,50 Euro, ermäßigt: 2,00 Euro. Donnerstags ist „pay what you want".
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