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Feinfühligkeiten: Julia Schönborn - Online-Kommunikation

Weshalb Online-Kommunikation "leisen" Menschen mehr Respekt verschafft und warum "Unsinn" im Netz alles andere als sinnloser Quatsch ist - das bringt uns heute Online-Kommunikations-Profi Julia Schönborn nahe. Denn online sein ist mehr als nur "netz-werken"....

Online-Kommunikation wird von außen oft als Dauerempörung, als „Durcheinanderschreien" vieler Stimmen wahrgenommen. Häufig wird betont, wie lückenhaft die Formen der Kommunikation in sozialen Netzen doch seien. So vieles scheint den Gesprächen zu fehlen: Gesten, Mimik, Tonfall ... Respekt und Bedacht.

Die auf diese Weise identifizierten Lücken in der Kommunikation füllen wir mit Hilfsmitteln wie zum Beispiel Emoticons - und stehen doch ständig vor Missverständnissen, die wir wieder ausräumen müssen. Unzählige Beiträge kritisieren die Eskalationen in Social Media. Viel zu selten dagegen sprechen wir darüber, dass die Online-Kommunikation gegenüber einer Offline-Gesprächssituation auch deutliche Vorteile hat.

Gleich-Wertigkeit statt Lautstärke

Denn die Kommunikation via Twitter, Facebook und Co. leistet etwas, das im persönlichen Gespräch oft fehlt: Sie egalisiert die einzelnen Redebeiträge. So erscheinen alle Posts, Kommentare und Antworten der Gesprächsteilnehmenden gleichberechtigt nebeneinander. Durch die Abwesenheit von Körper und Stimme kommen plötzlich auch die „leisen" Gesprächsteilnehmer zu Wort. Die, die in der Alltagskommunikation häufig untergehen. Plötzlich ist alles gleich laut. Das Leise und das Laute existieren nebeneinander. Ohne dass das Schreien imstande wäre, das Flüstern zu unterdrücken. Erst in einem zweiten Schritt entscheiden Frequenz, Bewertungen oder das eigene Netzwerk über das „Gehört-Werden".

Intro versus Extro

Ich zähle mich eher zu den lauten Menschen - also den so genannten Extrovertierten. Die Teilnahme der leiseren Stimmen - der Introvertierten - an der Online-Kommunikation ist für mich wahrscheinlich auch daher einer der schönsten Aspekte dieser Kanäle. Vor kurzem durfte ich einmal mehr erleben, wie viele Facetten einer Persönlichkeit, die im Alltag aufgrund ihrer Zurückhaltung weniger auffällt, in der Online-Kommunikation greifbar werden.

Weniger ist manchmal mehr

Bei einem Netzwerk wie Twitter hilft dabei zusätzlich die Zeichenbegrenzung. Du hast 140 Zeichen für eine Äußerung, dann ist erst einmal Schluss. Die lauten Stimmen werden gezwungen, sich kurz zu fassen. Und den Leisen wird zunächst einmal der gleiche Platz eingeräumt. Ein Zeichen von Respekt für jeden einzelnen Redebeitrag.

Für viele ist die öffentliche Äußerung ein Akt der Überwindung. Introvertierten Menschen fällt eine Teilnahme an der Massenkommunikation in sozialen Medien oft schwerer als Menschen, die sich auch im Alltag verbal behaupten. Denn das www - soviel ist dran am Vorwurf des Dauergeschreis - antwortet häufig anders als der Sender es beabsichtigte. Da wird eine auf den ersten Blick gar nicht kontroverse Äußerung auf die schlechtmöglichste Art und Weise interpretiert und zurückgeworfen. So etwas kostet Nerven und Gesprächsteilnehmer, denn viele leisen Stimmen verabschieden sich von der gemeinsamen Kommunikation. Oder greifen auf möglichst unverfängliche kommunikative Hilfsmittel zurück.

Catcontent - als Strategie

In einem kleinen Einschub möchte ich berichten, wie ich die Respektspezialistin kennen lernte: Auf dem Content Strategy Camp 2014 sprachen wir gemeinsam über respektvollen Umgang im Netz, speziell beim Bloggen. Und tags darauf redeten wir über „Unsinn". Schnell stellten wir fest, dass diese beiden so gar nicht miteinander verwandten Themen online doch eng zusammenhängen. Etwa 95% der Kommunikation in sozialen Medien besteht aus Unsinn. Da tummeln sich Meme, Katzenbilder, Witze, Essensfotos und Karikaturen. Genug, um die Kanäle der sozialen Medien zu unterhalten, auch wenn in der Welt gerade einmal wenig passiert. Für uns war schnell war klar: Unsinn zu verbreiten kann durchaus ein Akt des Respekts und sogar eine wertvolle Strategie sein. Dann nämlich, wenn es der Erhaltung des Kontaktfadens dient.

Unsinn? Macht Sinn!

Wir haben alle - die lauten wie die leisen Stimmen - häufig nicht allzu viel Weltbewegendes zu erzählen. Internetmeme und Katzenbilder helfen uns bei der Überbrückung solcher kommunikativer „Durststrecken". Sie sind allgemein anerkannte Kommunikationsinhalte. Sie sagen so viel wie „Hier bin ich. Ich möchte mit Dir reden, doch ich weiß gerade nicht so genau, worüber". Sie sind der kleinste gemeinsame Nenner. Das Allgemeine, Unverfängliche, auf das sich Gesprächsteilnehmer verständigen können.

Essensfoto als Einladung

Es ist eine Herausforderung, solche Aspekte der Online-Kommunikation richtig einzuordnen. Die Aufgabe besteht darin zu verstehen, dass reiner Unsinn manchmal als Gesprächskatalysator verwendet wird. Anzunehmen, dass es sich dabei um ein Angebot handelt - auch mal in einem seriösen Kontext „Unsinn" zuzulassen. Weil wir manchmal unseren Gesprächspartner erst dann richtig ernst nehmen, wenn wir ihn nicht so ernst nehmen.

Sobald wir diese Hilfsmittel der Online-Kommunikation richtig zu verstehen lernen, bringen wir gerade den eher leisen Stimmen einen Respekt entgegen, der Gesprächsräume öffnen kann. Das Zulassen von Unsinn auch in seriöseren Kontexten schafft Möglichkeiten - und es hält den Kontakt zu Menschen. Eben in auch mal „leiseren" Zeiten.

Meine Sketchnote der „Unsinn"-Session von Julia Schönborn beim Content-Strategy Camp in Darmstadt 2014 - Impulsgeber für diese Feinfühligkeiten.

Über die Autorin

Julia Schönborn ist Literaturwissenschaftlerin - und bloggt als "Juna im Netz". Sie hat vor kurzem ihre Dissertation über literarische Online-Massenkommunikation eingereicht. Derzeit arbeitet sie als Texterin in der Onlinespiele-Branche. In der verbleibenden Zeit schreibt sie Artikel - sowohl ins als auch über das Internet und hält begeisternde Vorträge. Julia Schönborn lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Heidelberg.

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