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„Wir und die „Anderen“ - oder wie wir „Fremde“ erschaffen

Ob als Flüchtlinge aus kriegsgebeuteten Gebieten, Migranten, oder deutsche Staatsbürger „mit Migrationshintergrund“ - Menschen aus dem Ausland haben es in Deutschland schwer. Die deutsche Mehrheitsbevölkerung, so scheint es, hat Angst vor den „Fremden“. Warum eigentlich?


Wenn Menschen sich entscheiden, ihre Heimat zu verlassen, dann geschieht dies oft aus einer Not heraus. Was sie vertreibt, ist die lebensbedrohliche Situation im eigenen Land, was sie antreibt, ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.


Gastfreundliches Zielland: Utopie und Realität

Im Gastland angekommen wünschen sie sich, dass ihr Leiden ein Ende hat. Ein Dach über dem Kopf. Etwas zu essen. Frieden für die Seele. Und auch: Verständnis und Mitgefühl von den sie Umgebenden für ihr erlebtes Leid.

Doch die Realität sieht leider anders aus. Die Asylpolitik in Deutschland ist, wie in vielen europäischen Ländern, so restriktiv geregelt, dass jene, die es dennoch nach Deutschland schaffen, sich von Anfang an als Kriminelle fühlen müssten. So dürfen Flüchtlinge die ersten Monate nicht arbeiten und sich ohne Sondergenehmigung nicht frei in Deutschland reisen. Und bis vor Kurzem mussten Abschiebehäftlinge auf ihre Ausreise in Gefängnissen warten, zusammen mit Straftätern.

Das Gefühl, nicht willkommen zu sein, hört bei den Behörden jedoch nicht auf, sondern bleibt auch im Alltag bestehen. Als Bulgarien und Rumänien in die Europäische Union aufgenommen wurden und viele Sinti und Roma nach Deutschland kamen, beäugte man diese äußerst kritisch. Die Darstellung dieser ethnischen Gruppierungen in den Medien war oft negativ – sie erschienen im Kontext von „Bettelbanden“ und „Armutswanderung“. Man nannte sie „Wirtschaftsflüchtlinge“. Alte Ressentiments gegenüber „Zigeunern“- heute ist es ein Schimpfwort flammen auf.


Nicht nur Flüchtlinge haben hier ein „Fremdheits“-Problem

Ablehnung und Ausgrenzung aufgrund ihres „Andersseins“ erfahren aber nicht nur Flüchtlinge, auch Menschen, die hier geboren sind und die einen deutschen Pass besitzen - sich in ihrer Identität also in keiner Weise anders als „deutsch“ fühlen können, wie es der Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba formulierte – werden in im eigenen Land diskriminiert, aufgrund ihres „ausländischen“ Aussehens und ihres „exotisch“ klingenden Namens zu „Fremden“ gemacht.

So erzählen Betroffene in Lesebriefen, auf zahlreichen Internetplattformen, in Blogs oder im Bekanntenkreis von abgesagten Besichtigungsterminen, sobald der arabische Nachname ausgesprochen wurde, von verwehrtem Zutritt in Nachtclubs, weil man „ausländisch“ ausschaue oder von Personalkontrollen durch die Polizei, weil man ja als dunkelhäutiger junger Mann immer ins „Täterprofil“ passe.


Integriert euch!“ heißt eigentlich: „Werdet deutsch!“

In Debatten um Integration wird immer gefordert: Integriert euch! Und meinen damit doch eigentlich eine Assimilation, findet Wolfgang Kaschuba, diese „kategorische Aufforderung, endlich wirklich 'deutsch' zu sein.“

Diese Forderung ist allerdings paradox, führt Kaschuba in seiner Abhandlung über „Ethnische Parallelgesellschaften“ weiter aus. Die „deutsche Identität scheint etwas Besonderes“ zu sein, denn deutsch 'wird' man nicht, deutsch 'ist' man.“ Und zwar durch Abstammung, Sprache, Geist. So manche Politiker, verrät Kaschuba, teilen diese Meinung auch heute noch.


Mythos „Deutsch-Sein“

Es scheint, das Deutsche eine „fast neurotische“ Sehnsucht nach kultureller Einheitlichkeit haben und zugleich oder sogar eine „tiefe Furcht“ vor Verschiedenheit.

Woher kommen diese Gefühle? Darüber kann man spekulieren.

Vielleicht rührt es daher, weil Deutschland als „Nation“ im Laufe ihrer Geschichte vielfachen Brüchen ausgesetzt war und auf der Suche nach ihrer ethnischen und kulturellen Identität eine „völkische“ Vorstellung von Deutsch-Sein entwickelt hatte.

Vielleicht aber ist auch diese Sehnsucht auf einer falschen, allerdings im alltäglichen Gebrauch weit verbreiteten Auffassung gewachsen, dass „Kultur“ etwas ist, das statisch, beständig und unveränderlich ist.


Wem nützt das „Wir gegen die Anderen“- Denken?

Offensichtlich ist ein Zusammenschluss zu „Wir“-Gemeinschaften ein urmenschliches Bedürfnis, denn es lässt sich fast überall auf der Welt beobachten. Sie entstehen durch eine gemeinsame Verständigung darauf, was „uns“ verbindet und uns von den „anderen“ unterscheidet.

Die Konstruktion des „Eigenen“ erfolgt also stets durch die Konstruktion des „Fremden“. „Wir“, das sind die „Nicht-Anderen“. Auf diese Weise entstehen alle Gruppen – ob nationale, ethnische, religiöse oder politische.

Ein Zusammenschluss zu einer „Wir“-Gemeinschaft hat klare Vorteile. Auf diese Weise können bestimmte Ansprüche und Forderungen, z.B. auf ein Territorium, geltend gemacht werden. Problematisch wird es, wenn solche Zusammenschlüsse von politischen oder religiösen Akteuren dazu instrumentalisiert werden, um andere (aus politischen oder gesellschaftlichen Machkämpfen) abzulehnen und auszugrenzen, was oft auch geschieht.


Wenn aus nationalem Wir-Gefühl Rassismus wird

In Deutschland entstand eine recht „völkische“ Vorstellung von Deutsch-Sein, erklärt Kaschuba, und als solche enthält sie viele rassistische Denkmuster. Denn wenn „Deutsch“-sein als eine (angeblich!) ethnisch und kulturell homogene „Abstammungsgemeinschaft“ verstanden wird, dann ist der Zutritt von allen anderen, die eine „nicht-deutsche“ Abstammungsgeschichte haben, von vornherein ausgeschlossen. Auch Integration ist dann nicht möglich.

Wurden Menschen anderer kulturellen Herkunft früher aufgrund ihrer „biologischen Ungleichheit“ sprich „Rasse“ diskriminiert, ist heute an diese Stelle die „Kultur“ getreten. „Die werden sich nicht ändern. Das ist deren Kultur“ heißt es dann oft, wenn Ehrenmorde, Zwangsheirat oder kriminelle Taten von „Ausländern“ in den Nachrichten die Runde machen.


Kultur: „Einheit, die uneinheitlich ist“

Was jene Menschen, die rassistisch/kulturalistisch argumentieren oft vergessen - oder schlichtweg nicht wissen - ist: „Kultur“ ist eben nicht statisch.

Zwar wird „Kultur“ als „tradiertes Wissen und Verhalten eines sozialen Kollektivs“ verstanden, wie es die Ethnologin Bettina Beer in ihrer Auseinandersetzung mit „Kultur und Ethnizität“ definiert, und besteht aus bestimmten Verhaltensmustern, aus traditionellen, sprich historisch überlieferten Ideen und damit verbundenen Werten,

aber - und darin sind sich Kulturwissenschaftler einig – kulturelles Verhalten und Wissen ist erlernt! Das bedeutet: Auch eine Kultur kann sich ändern.

Und Menschen anderer Herkunft könnten die neue Kultur „neu“ oder umlernen.

Ein weiterer Konsens in den Kulturwissenschaften besteht auch darin: Kultur ist nicht völlig homogen. Es gibt Abweichungen von der kulturellen Norm auch innerhalb einer Kultur. Eine statische Vorstellung von Kultur ist viel zu einfach und entspricht nicht der gesellschaftlichen Realität.


Kultur“ neu denken und kritische Selbstreflexion

Kultur ist, das schlussfolgert Bettina Beer, eine „Einheit, die uneinheitlich ist“, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zwar empirisch erfasst werden kann, sich aber dennoch ständig verändert. Wenn Kultur also als ein Prozess des Um- und Neugestaltens von eigenen und fremden Ideen, Erfahrungen und Werten verstanden wird, dann müsste man das „Fremde“ gar nicht fürchten, weil es ein Teil des „Eigenen“ ist.

Wir müssen also umdenken und den Mythos von „Kultur“ als etwas Ganzem und Beständigem über Bord werfen. Denn er ist schlichtweg falsch.

Aber wie soll das erfolgen? Zunächst mal ist es unumgänglich, sich selbst, seine eigenen Vorannahmen und Vorurteile gegenüber den „Anderen“ zu hinterfragen.

Warum denke ich über diese ethnische Gruppe so? Woher habe ich mein Wissen?

Oft sind es auch die Medien, die uns ein relativ einseitiges und dazu noch oft negativ konnotiertes Bild von den „Anderen“ zeigen. Viele Kulturwissenschaftler, die sich mit der medialen Darstellung von „ethnischen“ Gruppen befassen, kritisieren diese.

Viel zu oft werden Flüchtlinge und Migranten in Verbindung mit „problematischen“ Themen wie Arbeitslosigkeit oder Kriminalität gezeigt. Erfolgsgeschichten hingegen bleiben eine Rarität.

Das bleibt nicht ohne Folgen. So kann es passieren, dass Betroffene sich schon allein aus Selbstschutz in „ihre Kultur“ zurückziehen. Im Hinblick auf die jüngeren muslimischen Generationen spricht man in den Kulturwissenschaften von „Selbstorientalisierung“. Aus dieser Perspektive scheint es kaum verwunderlich, wenn viele jungen deutschen Muslime sich den radikal-islamischen Kämpfern des Islamischen Staats anschließen.

Der beste Weg hingegen, die Angst vor dem „Fremden“ abzubauen ist es, aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden. Nur das Unbekannte macht Angst. Wenn wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und einander zuhören, erkennen wir dass auch „das Fremde“ nur ein Konstrukt ist, das sich auflöst und dahinter Menschen stehen wie du und ich.