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Bestattung statt Marketing: "Das hier ist das echte Leben, nicht irgendwas im Internet"

Lebensläufe müssen nicht geradlinig sein, Biografien haben Brüche - das macht sie so spannend. In der Serie "Und jetzt?" erzählen Menschen von Wendepunkten in ihrem Leben, von Momenten, in denen sie Entscheidungen getroffen und etwas Neues gemacht haben. Dieses Mal: Julia, 23, hat ihr Studium abgebrochen, um Bestatterin zu werden.

"Lange Zeit dachte ich, es gibt einfach keinen Beruf für mich. Als Jugendliche wollte ich eine Handwerksausbildung machen. Mein Vater ist Zimmermeister, das wäre bestimmt auch etwas für mich gewesen. Ich bewege mich gern, kann nicht lange still sitzen. Doch als ich mit der Schule fertig war, sagten alle in meinem Umfeld: ›Julia, mit so einem guten Abitur gehst du studieren!‹ Sonst würde ich mein Potenzial verschwenden.

Damals habe ich das noch geglaubt. Heute denke ich anders. Nur weil ich das Zeug zum Studium habe, heißt das nicht, dass es mich glücklich macht.

Bei einer Informationsveranstaltung der Hochschule Neu-Ulm entdeckte ich den Bachelor Informationsmanagement und Unternehmenskommunikation. Der Studiengang ist sehr vielfältig, Informatik und BWL sind dabei, aber auch Werbung, Grafikdesign und Marketing. Ich dachte mir: Mit BWL kannst du nichts falsch machen, Informatik kriegst du hin und Marketing macht bestimmt Spaß.

Stressige Studienzeit

Der Spaß hielt sich dann allerdings in Grenzen. Wir waren anfangs viel zu viele Leute, irgendjemand saß immer auf dem Boden oder wir quetschten uns zu sechst an einen Tisch. Es war schwierig, sich zu konzentrieren. Ich nahm mein Studium trotz allem sehr ernst, meine Noten waren gut. Aber welcher konkrete Job daraus für mich folgen sollte, wusste ich nicht.

Vom ersten Semester an war ich Stipendiatin des Cusanuswerks, der Begabtenförderung der katholischen Kirche. Ich bin gläubig, mir ist wichtig, nach christlichen Grundwerten wie Nächstenliebe zu leben. Neben dem Studium arbeitete ich ehrenamtlich bei der Kirche, trieb viel Sport, nahm Musikunterricht, spielte in mehreren Orchestern. Einen Nebenjob hatte ich auch.

Heute weiß ich gar nicht mehr, wie ich das alles gepackt habe. Rückblickend denke ich, das war pures Davonlaufen vor der Erkenntnis, dass ich irgendetwas würde verändern müssen.

Praxissemester bringt keine Besserung

Das vierte Semester war mein Praxissemester. Ich verbrachte es in Wien, im Medienhaus der Erzdiözese, machte Station bei der zugehörigen Kirchenzeitung und dem Radiosender. Die Arbeit gefiel mir anfangs sehr gut. Vielleicht, so hoffte ich, könnte ich mit meinem Studium doch einen Job finden, der mir etwas bedeutet.

Doch zum Ende hin ließ meine Begeisterung wieder nach. Es strengte mich an, den ganzen Tag vor dem Computer zu sitzen. Ich arbeitete wochenlang auf Projekte hin, bloß damit wir einen Platz weiter vorn in der Google-Suche landeten. Ich empfand die Arbeit als sinnlos und irrelevant. Als ich zum Wintersemester zurück nach Ulm kam, war auch die letzte Motivation für mein Studium futsch.

Ein Zufall brachte mich schließlich auf einen neuen Weg. Das neue Semester, mein fünftes, hatte denkbar schlecht begonnen: In der ersten Woche kamen mir ständig die Tränen. Der Stoff interessierte mich überhaupt nicht mehr. Schließlich setzte ich mich mit meinen Eltern zusammen und sagte ihnen, dass ich abbrechen würde. Sie waren nicht begeistert, aber akzeptierten es.

Eine inspirierende Tagung

Das Cusanuswerk veranstaltete in jenem Herbst eine Tagung zum Thema ›Alter, Sterben und Tod in der industrialisierten Gesellschaft‹. Einer der Dozenten war ein gelernter Schreiner, der heute als Bestatter arbeitet. Er erzählte mit großer Begeisterung von seinem Beruf. Ihm sei besonders wichtig, auf die Bedürfnisse der Angehörigen einzugehen, ihnen Zeit zum Verabschieden zu geben. Das hat mich sehr beeindruckt.

Die Arbeit hörte sich abwechslungsreich und sinnvoll an, alles, was mir in meinem Studium fehlte. Nach der Tagung fuhr ich mit einem - damals noch völlig verrückten - Plan im Kopf nach Hause: Ich wollte Bestatterin werden.

Ab da ging es mir viel besser. Für den Rest des Semesters belegte ich noch ein paar wenige Kurse, informierte mich über Handwerksausbildungen und machte Praktika. Irgendwann sah ich in der Lokalzeitung eine Anzeige: Ausbildung zur Bestattungsfachkraft in der Abteilung Friedhofs- und Bestattungswesen der Stadt Ulm. In dem Moment wusste ich, das ist meine Stelle.

Ausbildung zur Bestattungsfachkraft

Ende Mai vergangenen Jahres habe ich mich exmatrikuliert, drei Monate später startete die Ausbildung. Normalerweise dauert die drei Jahre. Weil ich Abitur habe, kann ich aber verkürzen und werde bereits im nächsten Sommer fertig. Während der Ausbildung lernt man das gesamte Friedhofs- und Bestattungswesen kennen, also alles rund um den Verstorbenen, die Bestattungen, das Krematorium und natürlich auch die Büroarbeit - Grabanträge, Todesbescheinigungen, Abrechnungen.

Ich arbeite viel draußen, hebe Gräber aus oder bereite Beisetzungen vor. Außerdem kann ich für andere Menschen da sein. Wenn jemand stirbt, stellt das für Angehörige die Welt auf den Kopf. Dann ist es wichtig, wenn jemand da ist, der sich auskennt und kümmert. Dass ich dabei Wertschätzung und Mitgefühl vermitteln kann, passt zu meinen christlichen Werten. Ich bin jetzt sehr glücklich: Das hier ist das echte Leben, nicht irgendwas im Internet." (Mehr auf der Webseite)

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