Ihr Vater wollte das Transsein aus ihr rausprügeln
Bis zu ihrem 25. Geburtstag lebte Janka Kluge – schlanke Statur, graue, lange Haare, runde Lesebrille – für ihr Umfeld als Mann. Mit einem anderen Namen und Aussehen als heute. „Ich konnte nie beantworten, woher ich weiß, dass ich Frau bin. Ich wusste es einfach“, sagt sie. Sie erinnert sich noch daran, wie sie in dem Jugendmagazin „Bravo“ ein großes Porträt über eine Transfrau las und dachte: „Okay, immerhin sind wir zu zweit.“ Damals, in den 1980er Jahren, war Transsein ein Tabuthema. Ihr Vater versuchte es aus ihr „rauszuprügeln“, später erklärte er ihr, dass ihr Leben nicht lebenswert sei. Janka Kluge hatte Suizidgedanken. Heute ist sie eine Vordenkerin für Transpersonen, spricht auf Bühnen und leitet Selbsthilfegruppen.
Doch zurzeit geht viel Zeit für Gespräche mit ihrem Anwalt drauf. Denn sie ist wegen eines fehlerhaften Tweets zur Zielscheibe für Leute geworden, die etwas gegen Transmenschen haben. Auf dem Portal „Pleiteticker“ des ehemaligen „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt wurde sie als „Mann“ bezeichnet – was für Transfrauen eine Beleidigung ist. Das wirft die Frage auf: Wo fängt Feindlichkeit gegen Transpersonen an? Und darf man Transfrauen verbieten, Toiletten oder Umkleidekabinen für Frauen aufzusuchen?
Sauna für Transpersonen? „Aufgebauschte Diskussion“, sagt Kluge
Janka Kluge hat diese Diskussion schon oft geführt. Dennoch antwortet sie beim Gesprächstermin in einem Stuttgarter Café auf alle Fragen, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Die meisten Toiletten, die ich kenne, haben Kabinen“, sagt sie. Damit meint Janka Kluge: Niemand werde in seiner Intimsphäre gestört. „Und es gibt gemischte Saunen.“ Die meisten Transmenschen würden sich sowieso niemals ins Schwimmbad trauen, geschweige denn in die Sauna. „Das ist eine aufgebauschte Diskussion.“
„Der Wind wird rauer“ , sagt Alex Häfner
Dass diese Diskussion geführt wird, liegt vor allem am Selbstbestimmungsgesetz, das die Bundesregierung geplant hat. Mitte vergangenen Jahres wurde ein erstes Eckpunktepapier vorgestellt, Ende März der Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, jedes Mal schlug das hohe Wellen. Das Gesetz sei überfällig, sagt Alex Häfner, 40 Jahre alt. Aber: „Die große Aufmerksamkeit um das Selbstbestimmungsgesetz hat uns Transmenschen nicht geholfen“, sagt Häfner. „Der Wind da draußen wird rauer.“
Alex Häfner, blonde Haare, leichter Bart, Drahtgestellbrille, ist Vorstand des Vereins Mission Trans* in der Region Stuttgart. Mehr als 30 Jahre lang hatte er versucht, die Frau zu sein, die sein Umfeld in ihm gesehen hat. Jeden Tag eine Fassade hochfahren, das kostet viel Kraft, in seinem Fall hat das beinahe zum Burn-out geführt. Er ließ 2019 seinen Geschlechtseintrag von weiblich auf männlich ändern, da hatte er schon mehrere Jahre damit gerungen.
Geschlechtseintrag ändern, das bleibt kompliziert
Insgesamt gab es von 1. Januar 2019 bis 30. September 2020 laut Bundesinnenministerium 1585 Personenstandsänderungen, viel ist das nicht. Auch deswegen sagt Alex Häfner: „Wenn Männer in Schutzräume von Frauen eindringen wollen, gibt es einfachere Mittel, als den Geschlechtseintrag zu ändern.“
Das Selbstbestimmungsgesetz sieht vor, dass man den Geschlechtseintrag einfach beim Standesamt ändern kann. Bisher braucht man dafür psychologische Gutachten. Manche befürchten künftig folgendes Szenario: Männer lassen ihren Geschlechtseintrag ändern, um so in Frauensaunen oder Frauenhäuser zu gelangen. „Das können Männer auch jetzt schon“, sagt Alex Häfner. Sie könnten sich auch einfach so eine Perücke aufsetzen oder gewaltsam eindringen. Dazu sieht das Selbstbestimmungsgesetz ohnehin vor, dass etwa Saunen das Hausrecht geltend machen und Personen den Zutritt verweigern können – worüber viele Transpersonen sich bereits ärgern, weil es Diskriminierung ermöglicht.
Wer alle Operationen macht, ist viel im Krankenhaus
Was in der Debatte übersehen werde, ist, dass auch die vorgesehene einfachere Personenstandsveränderung einen Rattenschwanz an weiterer Bürokratie nach sich ziehe: Sozialversicherung, Arbeitszeugnisse, Konto, alles müsse angepasst werden. Und: „Es wird ständig der rechtliche und der medizinische Weg vermischt.“ Das Selbstbestimmungsgesetz regelt mit dem Geschlechtseintrag nur ein kleines Stück Bürokratie neu, ein „männlich“ oder „weiblich“ auf einem amtlichen Blatt Papier.
Wer geschlechtsangleichende Maßnahmen will – Hormone, Operationen an Brüsten oder Geschlechtsteilen – brauche weiterhin Gutachten und eine psychologische Begleittherapie, erklärt Alex Häfner. Das Selbstbestimmungsgesetz ändert daran nichts. „Am Anfang dachte ich: Ich mache alle OPs. Aber das ist ein Marathon“, sagt Häfner, mindestens vier bis fünf große Operationen seinen nötig. Wer das durchziehe, verbringe viel Zeit im Krankenhaus. Häfners Botschaft: Niemand macht das aus einer Laune heraus.
Für die meisten ein Mann, für die Kinder Mama
Das sehen auch andere Transmenschen so. Bart, schwarzer Pulli und Funktionsjacke – die meisten Menschen, die Jj auf den ersten Blick im Café sitzen sehen, sehen wohl einen Mann. Vor dem Staat ist die 41 Jahre alte Person aus Stuttgart eine Frau. Doch Jj ist nicht binär, also weder Mann noch Frau.
„Meine Kinder sagen Mama zu mir. Aber das ist okay, schließlich habe ich sie zur Welt gebracht und gestillt“, sagt die Mutter zweier Kinder. Die Pronomen „sie“ oder „er“ findet Jj für sich nicht passend. Jj steht für Jasmin und Janosch. „Janosch hätte ich geheißen, wenn ich als Junge zur Welt gekommen wäre“, erklärt Jj. In der Mailadresse, die Jj am Arbeitsplatz in einem Forschungsinstitut nutzt, steht noch der weibliche Vorname. „Er gehört zu mir.“ Einige Transmenschen empfänden es als beleidigend, den alten Namen zu nennen und bezeichnen dies als sogenanntes Deadnaming (auf Deutsch: toter Name). Jj empfindet es bei sich selbst anders: „Es sind die ersten 35 Jahre meines Lebens. Ich war da nicht tot, jetzt will ich Jasmin auch nicht verbannen.“
Es ist ein klassisches schwäbisches Restaurant, in dem das Gespräch mit Jj stattfindet, es gibt ein Herren- und ein Damenklo. Wo geht Jj hin? „Man verunsichert Menschen, wenn man nicht klar zugeordnet werden kann“, sagt Jj. Seit einigen Jahren geht Jj bei der Arbeit oder in Restaurants auf das Herrenklo. Damit sich alle wohlfühlen können, wären aber Unisex-Toiletten besser, findet Jj. „Eigentlich sind sie nichts Besonderes, etwa wenn man ans Bahnfahren denkt.“ Doch wo fängt eigentlich Diskriminierung an? „Manche denken Transpersonen einfach nicht mit, andere diskriminieren sie bewusst.“ Das mache einen großen Unterschied.
Das Aussehen ist eher männlich, Mimik und Gestik eher weiblich
Aber wer definiert nun das Geschlecht? Darauf hat Jj eine klare Antwort: „Nur die Person selbst. Es gibt ein inneres Wissen über das eigene Geschlecht, das kann man nicht von außen beurteilen.“ Im Diskurs werde oft alles miteinander vermischt. Wer ist Mann und wer Frau? Geht es um Biologie, um soziale Rollen, um Bärte, Röcke oder was ist nun entscheidend? Im Zweifel könnten dies unterschiedliche Antworten sein. Es ist auch der Grund, warum Jj von „männlich gelesenen Menschen“ und „weiblich gelesenen Menschen“ spricht.
Auch wenn Jj auf den ersten Blick, wie Jj selbst sagt, eher männlich wirkt. Am Ende eines Satzes lacht Jj immer wieder, legt den Kopf zur Seite, Mimik und Gestik tragen weibliche Züge. Dessen ist sich Jj bewusst, spricht das von sich aus an. Sagt aber auch: „Als nicht binäre Person schulde ich dir nicht, dass ich binär aussehe.“
Ist J. K. Rowling transfeindlich?
Meinung
Der Autorin der „Harry Potter“-Bücher, J. K. Rowling, wurde in den vergangenen Jahren mehrfach Transfeindlichkeit vorgeworfen, weil sie sich auf Twitter oder in anderswo veröffentlichten Statements entsprechend geäußert hatte. Die Stuttgarter Transfrau Janka Kluge hält die Autorin nicht für transfeindlich, aber für „transexkludierend“. Denn Rowling setze sich für Positionen des Feminismus ein, der Transfrauen bewusst außen vor lasse. Und sie spende Geld für Projekte, die als transfeindlich gelten können. Dafür werde sie in der Szene gefeiert – und distanziere sich nicht davon. Janka Kluge hat den Eindruck, dass die Frage, ob man noch Produkte aus der „Harry Potter“-Welt nutzen dürfe, vor allem eine Debatte der Generation sei, die mit „Harry Potter“ aufgewachsen sei und die nun „tiefe Enttäuschung empfindet“.
Statements
Mehrere Schauspielerinnen und Schauspieler aus den „Harry Potter“-Filmen haben nach den Äußerungen von J. K. Rowling öffentlich Transpersonen ihre Unterstützung zugesichert. Dazu gehören die Hauptdarsteller Daniel Radcliffe, Emma Watson, Rupert Grint und Bonny Wright (in den Rollen von: Harry Potter, Hermine Granger, Ron und Ginny Weasley). Daniel Radcliffe hatte beispielsweise geschrieben: „Transfrauen sind Frauen. Jede gegenteilige Behauptung untergräbt die Identität und die Würde von Transpersonen und steht im Widerspruch zu allen Ratschlägen von Fachverbänden des Gesundheitswesens, die über weit mehr Fachwissen zu diesem Thema verfügen als [J. K. Rowling] und ich.“