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Cradle to Cradle: Ein Schwabe will eine Welt ohne Müll

Ein Vordenker, der provoziert: Michael Braungart, der in Schwäbisch Gmünd aufgewachsen ist und in Konstanz studiert hat. Foto: privat

Ein T-Shirt, das kompostiert werden kann. Eine Waschmaschine, bei der nicht das Gerät selbst, sondern 10 000 Waschgänge verkauft werden - und die Maschine danach sogar von der Firma zurückgenommen wird, die solche Materialien weiterverwendet. Das ist, grob umrissen, die Idee von Cradle to Cradle, kurz C2C (auf Deutsch: „Wiege zu Wiege") und steht für eine konsequente Kreislaufwirtschaft. Produkte sollen so hergestellt werden, dass alle Materialien endlos weiterverarbeitet werden können und es keinen Müll gibt.

Bis heute wurden weltweit mehr als 16 000 Produkte nach diesen Kriterien hergestellt. „Wenn es in dem Tempo weitergeht, könnten bis 2040 alle Produkte nach Cradle-to-Cradle-Richtlinien hergestellt werden“, sagt Michael Braungart, einer der Erfinder hinter der Idee. „Das hätte ich selbst nicht erwartet.“

Mensch als Nützling betrachten

Vor rund 35 Jahren entwickelte der Chemiker und Verfahrenstechniker Braungart mit dem amerikanischen Architekten und Designer William McDonough das Cradle-to-Cradle-Prinzip. Die wichtigste Botschaft: Man sollte erst gar nicht versuchen, das Bestehende weniger schädlich zu machen, sondern ganz am Anfang ansetzen und unvoreingenommen fragen, was wir wirklich brauchen – wobei der Mensch immer als Nützling, nicht als Schädling angesehen wird. Speziell in Baden-Württemberg müssten die Firmen umdenken, findet Braungart: „Die müssen ihre Geschäftsmodelle ändern, sonst ist der Maschinenbau in zehn Jahren tot.“ Niemand brauche wirklich eine Maschine, „sondern nur das, was hinten rauskommt“. Auch Kläranlagen solle man nicht weiter optimieren, findet er. Vielmehr sollte es Ziel sein, überhaupt keine mehr zu benötigen – indem man Ausscheidungen für Äcker und Wiesen nutze.

Veganer, Aktivisten: Braungart provoziert alle

Michael Braungart ist ein Mensch, der gerne provoziert. Er sagt Sätze wie: „Die Nachhaltigkeitsabteilungen in den Firmen sind meine größten Feinde.“ Die Mitarbeitenden dort wollten keine echte Veränderung, sondern würden maximal ein Insektenhotel aufhängen, mehr E-Autos anschaffen oder den Plastikgehalt in Flaschen reduzieren, behauptet er. Eine weitere Provokation: „Niemand ist moralisch besser, bloß weil er vegan oder vegetarisch lebt.“ Die Aktivisten der Letzten Generation bezeichnet Braungart als „Kinder“. Für ihn zeigten die „fantasielosen“ Klebeaktionen, wie verzweifelt die jungen Menschen wegen des Klimas seien.

Braungart sieht in der jüngeren Generation aber eine Chance – wenngleich auch dies mit Häme verbunden ist: „Ich bin noch mit Moral und Strafen groß geworden, die heutige Jugend hat Selbstwert im Übermaß.“ Das sei fürs Klima jedoch gut, denn die „Moral ist schnell weg, wenn man sie braucht“. Jüngere Menschen heute strebten nach Anerkennung in sozialen Netzwerken, weniger nach Geld – und das sei eine Chance, dass diese wirklich etwas veränderten.

Auch Ehrenamtliche verbreiten die Idee

Mit seinen Ideen hat Braungart, der aus Schwäbisch Gmünd stammt und mit der SPD-Politikerin Monika Griefahn verheiratet ist, weltweit Tausende Menschen überzeugt. Einerseits Firmen wie Drees & Sommer, Trigema, Puma oder Lidl, die nach seinen Kriterien Produkte herstellen sowie andere beraten, andererseits viele Menschen, die sich ehrenamtlich für Cradle to Cradle einsetzen.

Die Tochter von Michael Braungart, Nora Griefahn, gründete im Jahre 2012 einen Verein, die C2C NGO. Inzwischen arbeiten dort 32 Menschen hauptamtlich, berichtet Isabel Gomez, eine Sprecherin des Vereins. Zu den 32 Hauptamtlichen kämen zudem Praktikanten und Studierende. Zusätzlich haben sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz 25 Regionalgruppen mit Ehrenamtlichen gebildet. Die Freiwilligen verbreiten die Idee von C2C in ihren Städten und Regionen, beraten auch Kommunal- und Regionalpolitiker.

Knappes Dutzend Freiwillige in Stuttgart

Auch in Stuttgart gibt es eine solche Regionalgruppe. Deren Sprecher, Tim Rembold, stieß während seines Umwelt- und Energietechnikstudiums in Bayern auf C2C. Als er nach Stuttgart zog und keine direkten Ansprechpartner fand, baute er die damals brachliegende Gruppe Mitte 2022 mit Paula Ohm, ebenfalls Sprecherin, und anderen wieder auf. Inzwischen ist knapp ein Dutzend Mitglieder dort aktiv, auch wieder einige aus der Anfangszeit. Sie sind zwischen 19 und Mitte 50, arbeiten in den unterschiedlichsten Bereichen.

Inzwischen trifft sich die Gruppe regelmäßig, plant Veranstaltungen und Projekte, hält Vorträge an Schulen oder für Erwachsene, kooperiert mit Institutionen und ist präsent bei Anlässen wie der Messe namens Green World Tour. „Es gibt keinen umfassenderen Nachhaltigkeitsansatz als Cradle to Cradle“, findet Tim Rembold.

Klimaneutralität von Kommunen findet Braungart falsch

Dass C2C derzeit so einen Schub erhält, lässt sich auch auf Entscheidungen der EU zurückführen: Im März 2020 hatte die EU-Kommission einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft beschlossen – als Teil des sogenannten Green Deals. Michael Braungart nennt die britische Seglerin Ellen MacArthur zudem als Treiberin. Sie hat eine Stiftung gegründet mit dem Ziel, Politikern zu erklären, was C2C ist. Außerdem trage die Stuttgarter Baufirma Drees & Sommer einen großen Anteil am Erfolg, betont er: In all deren Projekten werde C2C als Option angeboten. „So bekommen wir PS auf die Straße.“

Falsch findet der Pionier es, wenn Städte wie Stuttgart, Ludwigsburg, Mannheim, Heidelberg oder Freiburg sich vornehmen, bis 2030, 2035 oder 2050 klimaneutral zu sein. Michael Braungart: „Das setzt immer voraus, dass die Menschen böse sind. Und es geht nicht darum neutral, sondern gut für andere Lebewesen zu sein.“

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