1 subscription and 2 subscribers
Article

Wie Querdenker auf Telegram nun Putin unterstützen

Bei einer Demonstration von Querdenken 351 in Dresden am 20. März forderten Teilnehmer das Ende aller Coronamaßnahmen – und hielten Russlandfahnen hoch. Foto: dpa/Robert Michael

Vor Kurzem wurde in Querdenken-Gruppen aus Stuttgart und der Region noch gegen sämtliche Coronamaßnahmen protestiert. Nun wird dort russische Propaganda geteilt. Sind auch Impfgegner und Esoteriker plötzlich Putin-Fans?


Mitunter abenteuerlich sind die Überzeugungen, die manche Menschen in gewissen Telegram-Gruppen aus Stuttgart und der Region teilen. „Deutsche Marionettenpolitik hat alles in die Wege geleitet und unternommen, um Gas, Öl und Sprit im Auftrag Chinas und Russland s in den nächsten Tagen in Deutschland knapp und unbezahlbar zu machen!", schreibt eine Person mit dem Nutzernamen „Systemende", garniert mit jeder Menge Ausrufezeichen, in der Gruppe „Stuttgart - Widerstand". Mehr als 12 000 Menschen sind dort Mitglied, permanent laufen neue Nachrichten ein. In der Schorndorfer Querdenken-Gruppe werden Vergleiche zwischen heute und dem Holocaust gezogen. So schreibt der Nutzer Elvis P.: „So fing schon mal alles an, da war es der Jude, dann der Ungeimpfte, jetzt der Russe."

Kanal von Heinrich Fiechtner hat sich fast halbiert

Es gibt auf Telegram und Facebook mehrere solcher Gruppen aus Stuttgart und der Region. Bis vor Kurzem wurde dort gegen alle Coronamaßnahmen gewettert, nun wird prorussische Propaganda geteilt: Allein in der Schorndorfer Querdenken-Gruppe mit 430 Mitgliedern wurde schon knapp 150-mal Russia Today zitiert, das russische Staatsmedium, dessen deutscher Kanal RT DE kürzlich verboten wurde.

Doch manchen scheint dieser Kurswechsel zu missfallen, nicht alle Coronaskeptiker und Impfgegner sind auch getreue Putin-Fans. So hatte der Telegram-Kanal von Heinrich Fiechtner, dem ehemaligen AfD-Landtagsabgeordneten und früheren Stuttgarter Stadtrat, im März 2021 noch 46 000 Abonnenten. Damals rief er zur Teilnahme an Demos gegen die Coronapolitik auf, erzählte von „staatlicher Willkür“ und der „Terrorisierung der Menschen“.


Heute hat der parteilose Fiechtner nur noch gut 25 000 Fans, obwohl er immer noch in hoher Frequenz Beiträge, Fotos und Videos teilt. Nur sind seine Themen etwas andere. Vor wenigen Tagen schrieb er über den Krieg in der Ukraine: „Die Eskalation war gewollt!“ Sie (damit sind wohl deutsche Regierungsvertreter gemeint) hätten „nie ein Interesse gehabt zu deeskalieren, die Parteien an den Tisch zu bekommen, um eine langfristige, friedliche Lösung zu suchen“, behauptet er. „Sie wollten diesen Krieg!“

Auch bekannte Querdenker haben ihren Fokus verändert. Bodo Schiffmann, einer der Führungspersonen der Coronaleugner-Szene, ließ auf seinem Telegram-Kanal einen Livestream von RT DE laufen, bis Telegram den Sender sperrte. Auch der eng mit Querdenken vernetzte Chefredakteur des rechtsextremen Magazins „Compact“, Jürgen Elsässer, verbreitet russische Propaganda.

„Man ist halt wieder dagegen“, sagt Politologe

Ist es nicht merkwürdig, dass Querdenker so schnell ein neues Thema gefunden haben? Für Rolf Frankenberger, Politikwissenschaftler an der Uni Tübingen, kommt dies wenig überraschend. „Das ist eine Aktualisierung eines Themas, das in diesen Kreisen schon immer eine Rolle gespielt hat“, sagt er. Weil Corona nicht mehr den Fokus der Aufmerksamkeit habe, „nimmt man halt das neue Thema auf und ist wieder dagegen“.


Es bestehe eine große Schnittmenge zwischen Querdenkern und der „neuen Rechten“ sowie dem Umfeld der AfD, sagt Frankenberger. „In diesen Kreisen war man schon vor 15 bis 20 Jahren sehr russlandaffin, vor allem seit Putin und das russische Regime sich immer mehr zu einer geschlossenen Diktatur entwickelt haben.“ Diese Russlandaffinität habe auch mit der Sehnsucht nach einem „starken Mann“ zu tun: Unter Menschen, die rechts, völkisch, national orientiert seien, seien die „Wiederherstellung der Männlichkeit“ sowie Wehrhaftigkeit bei Männern gefragt. „Da passt Putin gut rein.“

Auf RT DE wurden Interessen der Querdenker befördert

Zudem machten sich sowohl Querdenker als auch das russische Regime gezielt Desinformation und Propaganda zunutze, sagt Frankenberger. So wurden auf RT DE in der Vergangenheit die Interessen der Querdenker „massiv befördert und die wildesten Verschwörungstheorien verbreitet“, sagt Frankenberger. Dort wurde behauptet, dass Menschen an Corona-Impfungen „massenweise“ sterben, dass eine gewisse Elite mit den Impfungen nur Geld verdiene und dass die Maßnahmen dazu dienten, die Freiheit zu unterdrücken. „Dementsprechend beliebt war RT DE in der Verschwörungsszene.“


Dass Menschen aus der Querdenkerszene nun zum Teil prorussische Propaganda verbreiten und auf entsprechende Demonstrationen gehen, führt Martin Groß, Soziologe an der Uni Tübingen, auch stark auf Identitätsbedrohungen zurück. Diese würden etwa durch Sorgen um den Mittelstand als Träger der Gesellschaft, aber auch durch gendergerechte Sprache oder die rechtliche Gleichstellung unterschiedlicher Lebensstile ausgelöst. Die Idee einer „starken Führung“, wie Putin sie zu demonstrieren versuche, helfe, solche Identitätsbedrohungen zu bewältigen, erläutert er. Und zur eigenen psychologischen und sozialen Stabilisierung trage sowohl das Finden von Gleichgesinnten auf Demonstrationen oder in Telegram- und Facebook-Gruppen bei wie auch das Erzählen von Verschwörungsideen, die eine „einfache Wahrheit“ suggerierten.

Querdenker suchen nach „starker Führung“

Nach einer starken Führung werde auch deshalb gesucht, weil man den Institutionen der deutschen Gesellschaft in hohem Maße misstraue – eine Sichtweise, die die sonst so heterogenen Querdenker gemeinsam hätten, ergänzt der Tübinger Soziologe Volker Lang. Aus der Sicht vieler Querdenker seien die liberal-demokratischen Institutionen an den empfundenen Identitätsbedrohungen schuld, und – ganz im Sinne der russischen Propaganda – auch für den Angriffskrieg auf die Ukraine verantwortlich. „Die Menschen, die aus populistischen Motiven bei Querdenken mitgemacht haben, sind für solche Ideen anfällig“, sagt Volker Lang. „Allerdings findet dies vermutlich weniger breiten Anschluss als Impfkritik.“


Auf Telegram jedenfalls versuchen einige Mitglieder der entsprechenden Gruppen mit aller Kraft, den Fokus wieder zurück zum ursprünglichen Zweck zu verlagern: „Nicht vom gesteuerten Ukraine-Krieg ablenken lassen! Stoppt die QR-Code-Versklavung und die Injektionspflicht ab April 2022“, steht in der Gruppe „Stuttgart – Widerstand“ derzeit unter fast jedem neuen Beitrag.

Original