In Sarah Kuttners neuem Roman "Kurt" stirbt ein kleiner Junge. Wie sein Vater und dessen Freundin damit umgehen und welche emotionalen Hürden die beiden in ihrem Trauerprozess nehmen müssen, davon erzählt die Moderatorin in ihrem Buch.
Der kleine Kurt wächst in einer Patchwork-Familie auf. Die Protagonisten der Geschichte sind sein Vater, der ebenfalls Kurt heißt, und dessen Freundin Lena. Die beiden sind erst vor Kurzem ins brandenburgische Oranienburg in ein Haus gezogen, um näher beim kleinen Kurt zu sein. Der lebt mit seiner Mutter schon länger dort. Als der Siebenjährige stirbt, müssen Lena und Kurt mit einer Situation zurechtkommen, die sie völlig überfordert.
Den Tod des Kindes beschreibt Sarah Kuttner sehr zurückhaltend. Es gibt keinen Autounfall, kein Streitpotenzial in der Schuldfrage, sondern schlicht einen Moment, der alles verändert. In dieser Einfachheit liegt eine große Dramatik, die nachhallt. Auch sonst bleiben die Charakterzüge des Kindes blass. Sein Aussehen wird kaum beschrieben. Dadurch schafft es Kuttner, dass der Fokus der Geschichte mehr bei dem Paar bleibt. Wie geht man damit um, wenn ein Kind stirbt? Wie sehr verändert ein Verlust einen Menschen? Und: Ist noch Platz für Liebe, wenn das Herz besetzt von Trauer ist? Das sind Fragen, die sich die Autorin in ihrem Roman gestellt hat. Nicht auf alle gibt es eine Antwort.
"Irgendwie-Stiefmutter"-Lena hat große Probleme, ihren Platz in dieser neuen Situation zu finden. Sie weiß nicht, ob sie überhaupt trauern darf und wie viel Raum ihre eigenen Empfindungen einnehmen dürfen, wenn doch ihr Partner Kurt seinen Sohn verloren hat. Sie spürt eine große Vorsicht ihrem Freund gegenüber und weiß irgendwann nicht mehr genau, was sie ihm noch sagen kann. In dieser Hilflosigkeit driften die beiden auseinander.
Das Oranienburger Haus ist für Lena schrecklich leer, denn ihr Freund Kurt fährt immer wieder zur Mutter seines toten Kindes, um mit ihr die Trauer zu teilen. Deshalb besucht Lena ihre Schwester in Berlin. Die hat einen völlig vertrockneten, halbtoten Rasen; Lena macht sich darüber her und ist froh, endlich etwas Sinnvolles tun zu können. Verschwitzt und dreckig liegt sie irgendwann neben dem umgegrabenen Rasenstück, körperlich und seelisch erschöpft. Als Leser spürt man die innere Zerrissenheit Lenas, die große Liebe für den einen und die große Trauer um den anderen Kurt.
Trotz des ernsten Themas des Romans lässt die Autorin immer wieder Humor mit einfließen und gibt dem Buch dadurch Leichtigkeit zurück. Sie beschreibt ein witziges Familienleben, das sehr realistisch erscheint. Seit dem Umzug in das neue Haus haben Lena und Kurt noch nicht alle Kartons ausgepackt. Irgendwo darin befinden sich noch immer die Handtücher, also trocknen sich die beiden wahlweise mit einem winzigen lappenähnlichen Tuch ab oder schlüpfen in den viel zu kleinen Bademantel des Kindes. Damit ziehen sie sich gegenseitig auf, lachen ausgelassen miteinander. Das sind zwei, die miteinander alt werden könnten.
Und dann ist da noch Brandenburg. Kuttner hat selbst ein Wochenendhäuschen im Norden des Bundeslands und fährt regelmäßig aus Berlin raus ins Grüne. Die Beschreibung Oranienburgs und der Umgebung machen Lust auf Brandenburg und geben dem Buch eine zusätzliche Heimeligkeit. Es ist die Kleinstadt, die das Paar auffängt und ihm neue Hoffnung schenkt.
Ihr neues Buch "Kurt" ist anders als die ersten Romane der ehemaligen Viva-Moderatorin. Die Charaktere sind vielschichtiger beschrieben und können in ihren Handlungen noch besser nachempfunden werden. Dadurch fühlt man den Schmerz mit, der das Paar einerseits verbindet, andererseits aber auch droht zu trennen.
In einem Interview mit dem "Stern" sagte Kuttner, ihr sei die Idee zum Buch gekommen, weil sie in den vergangenen Jahren einige Menschen verloren habe. "Leben ist anstrengend und Leben tut weh, und auch in Filmen und Serien und Büchern berührt es mich immer nur dann, wenn etwas nachvollziehbar Schlechtes passiert", sagt Kuttner. Ihre früheren Themen waren Depression, ein Beziehungsende, Selbstfindung und eine schwierige Elternbeziehung.
Sarah Kuttner ist ein Risiko eingegangen. Sie wählt das Unbequeme, das Schwierige, das nicht in ein locker-flockiges Buch für den Sommerurlaub passt. Gerade dieses Risiko ist es aber, das ihr neues Buch zu etwas Besonderem macht. Es hebt sich ab, ist klug geschrieben und einfühlsam erzählt.
Quelle: ntv.de
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