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"Ausgangssperre im Sommer wäre scheiße"

Leeres Freibad (Symbolbild): Kathrin Weßling wünscht sich, dass es im Sommer keine Ausgangssperre gibt. (Quelle: Thomas Rathay/imago images)

In "Nix passiert" erzählt Kathrin Weßling von der Flucht eines jungen Mannes vor seinem Liebeskummer. t-online.de sprach mit der Autorin über ihr neues Buch, soziale Isolation und Freiberuflichkeit in Deutschland.


Kathrin Weßling ist eine begabte Autorin. Das hat sie in drei Romanen schon gezeigt. Nun ist ihr neues Buch, " Nix passiert", erschienen. Es handelt von Alex, der einen besonders schlimmen Liebeskummer irgendwie überstehen will und von Berlin in einen kleinen Ort, zu seinen Eltern, flüchtet.


Doch wie so oft holt ihn die Realität ein und er muss sich seinem eigentlichen Leben stellen. Weßling schafft es auf behutsame und eindrucksvolle Weise, seine Gedanken- und Gefühlswelt darzustellen. Die Höhen und Tiefen des Verlassenwerdens spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Auseinandersetzung des Protagonisten mit seinem eigenen Leben. Die Trennung offenbart Probleme, denen er sich nun endlich stellen muss.


t-online.de: Frau Weßling, neben Ihrem neuen Roman gibt es im Moment ein großes Thema. Das Coronavirus hält uns alle in der Isolation zu Hause oder in Quarantäne. Wie ist Ihr Blick darauf?

Kathrin Weßling: Darüber könnte ich inzwischen schon ein ganzes Buch schreiben. Ich bin keine Expertin in Sachen Isolation, weil ich zu denen gehöre, die damit schon ihr ganzes Leben umgehen. Das macht es aber auch schwierig. Die Wahrheit ist, dass man unter Umständen eine sehr lange Zeit braucht, um sich daran zu gewöhnen. Isolation oder Homeoffice, vor allem mit psychischen Erkrankungen ist nichts, was man von heute auf morgen gut hinkriegt.


Wie meinen Sie das?

Der Druck kann ein anderer sein. Ich nehme mich da selber nicht aus. Ich hab gestern noch geweint, weil ich dachte: 'Shit, alle machen einen Livestream, Live-Lesungen und total cooles Zeug.' Ich kriege das nicht hin, weil ich nicht weiß, wie man das richtig angeht. Das baut Druck auf, bestimmte Dinge richtig zu machen.


Sie arbeiten seit zehn Jahren als Freiberuflerin und kennen es, alleine zu arbeiten. In der sozialen Isolation und auch im Homeoffice machen viele Menschen diese Erfahrung nun zum ersten Mal. Können Sie etwas raten?

Ich finde es schwierig, Tipps zu geben. Es gibt aber ein paar Dinge, wo ich sagen würde, das hilft auf jeden Fall. Nur in einem bestimmten Raum arbeiten, zum Beispiel. Die Trennung von Arbeit und Privat ist da sehr wichtig. Viele sind es nicht gewöhnt, zu Hause zu arbeiten und hängen dann, wie sie es auch privat tun würden, mit dem Laptop im Bett oder auf der Couch rum. Man merkt es nicht sofort, aber irgendwann hat man einfach keinen Feierabend mehr. Durch räumliche Trennung geht das. Und einmal am Tag rausgehen. Etwa morgens, wenn man eigentlich zur Arbeit gehen würde.


Wie sieht das bei Ihnen zu Hause aus? Haben Sie eine Routine?

Ich arbeite nur in der Küche. Ich habe eine Einzimmerwohnung und wenn ich mit der Arbeit fertig bin, koche ich und damit ist der Arbeitstag dann auch zu Ende. Das klappt ganz gut.

Freiberuflich zu arbeiten ist manchmal sehr schwer. Wie ist das bei Ihnen, vor allem jetzt?

Für mich ist es einfacher, mir meine Strukturen selber zu machen. Ich habe ADHS. Mein Kopf funktioniert anders als bei anderen Leuten. Es ist oft so, dass ich sechs Stunden rumtrödele und dann in zwei Stunden die Arbeit mache, für die andere den ganzen Tag bräuchten. Da kommt es mir entgegen, dass ich nicht ins Büro muss. Aber, wie man jetzt auch wieder sieht: Selbstständigkeit hat in Deutschland eigentlich keinen einzigen Vorteil.


Wie trifft Sie persönlich die Coronavirus-Krise?

Ich habe alle Einnahmen, mit denen ich in den nächsten drei Monaten gerechnet habe, verloren. Im Moment bin ich da im mittleren vierstelligen Bereich. Es gibt da ein großes Missverständnis: Autorinnen und Autoren leben ja nicht unmittelbar von den Buchverkäufen. Auf lange Sicht schon, aber die Wahrheit ist, dass man von den Vorschüssen lebt. Man verdient nur daran, wenn sie sich sehr, sehr gut verkaufen und die Vorschüsse sozusagen wieder reingeholt sind. Die meisten Autoren, die ich kenne, leben auch von den Lesungen und auch von Stipendien. Das fällt jetzt alles weg.


Die Situation bedroht Ihre Existenz: Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Ich habe an Freunde und Bekannte Hilferufe gesendet und darüber für die nächsten zwei Wochen einen Job bekommen, als Social-Media-Beraterin. Das habe ich auch sonst als zweites Standbein. Ich habe die Ausbreitung des Virus und den damit verbundenen Ausfall geahnt und deshalb schon früh angefangen, mir noch was anderes zu suchen. Langfristig kann man aber nicht planen. Ich muss jetzt von Monat zu Monat schauen.


Viele sprechen auch die Vorauszahlungen an, die ein Freiberufler ans Finanzamt zahlen muss. Das ist aber gar nicht so wichtig, die kann man gerade auch relativ unproblematisch auf Null setzen. Aber wir Freiberufler haben ja auch alle unsere Steuererklärung abgegeben und da kommen nun eventuell Nachzahlungen. Das wiederum stellt viele vor große Probleme.


In Ihrem inzwischen vierten Roman geht es auch um Rückzug: Allerdings um den eines jungen Mannes, der aus Liebeskummer zurück zu seinen Eltern flieht. Warum haben Sie sich diesmal für die männliche Perspektive entschieden?

Ich werde das oft gefragt und verstehe eigentlich nicht, weshalb. Ich finde das interessant: würde man das auch einen männlichen Autor fragen, weshalb seine Protagonisten weiblich sind? Für mich ist das Geschlecht der Figur nicht so wichtig, auch im Denken nicht. Sonst hätte ich in Klischees denken müssen. Für mich war von Anfang an klar, dass Alex sehr aufgeklärt und ein moderner Mann ist. Er hat eher damit zu schaffen, dass alle um ihn herum so Chauvis sind. Seit Jahren bin ich in einem Umfeld, in dem es viele Männer gibt, die Yoga machen oder auch mal weinen. Deshalb ist es für mich nicht so, dass sich die Gefühlswelt von Frauen und Männern so sehr unterscheidet.


Ist Ihr eigenes Elternhaus für Sie auch ein Zufluchtsort?

Im Sommer auf jeden Fall, dann ist es einer meiner Lieblingsorte. Meine Eltern haben einen großen Garten und ein schönes Haus. Die Natur im Münsterland ist einfach wunderschön. 2018 habe ich aber im Winter einen Monat aus Recherchegründen bei meinen Eltern gewohnt. Das war nicht so leicht. Die Rollen bleiben ja. Das hört nie auf.


Ihr erstes Buch „Drüberleben" handelt von einer jungen Frau, die an Depressionen leidet. Werden Sie darauf noch oft angesprochen?

Es hat lange gedauert, bis ich im literarischen Betrieb als Autorin wahrgenommen wurde. Ich hatte einfach diesen Stempel, obwohl es ja eigentlich eine fiktive Geschichte ist. Ich hab mich damals sehr dagegen gewehrt, ich sollte in Talkshows und so weiter - aber ich wollte als Schriftstellerin wahrgenommen werden und nicht als Stimme der Depressiven. Eigentlich sprechen mich nur Leser darauf an. Ich habe eine treue Leserschaft und dafür bin ich sehr dankbar. Da kommen immer noch einige zu Lesungen, die sich das Hardcover von „Drüberleben" signieren lassen wollen und mir erzählen, wie viel ihnen das Buch bedeutet.


Sie schreiben oft über das, was Sie erleben - auch bei Twitter. Dadurch ist man anders angreifbar.

Es gibt Zeiten, da mache ich dann mal ein paar Wochen wenig bis gar nichts. Aber ich erlebe viel Solidarität, wenn mich mal jemand angreift. Ich bin ja Feministin und teile auch meine politische Meinung. Mittlerweile ist es aber auch etwas anderes als früher. Die Gefahr einen Shitstorm auszulösen, wenn man 20.000 Follower hat, ist deutlich größer als bei 5.000. Die Erwartungshaltung ist da aber auch höher. Für mich ist Twitter aber immer noch die beste Nachrichtenagentur der Welt. Informationen kommen schneller. Man muss verifizieren, aber das ist schon toll. Es passiert auch relativ selten, dass mir wirklich eine falsche Meldung in meinen Kanal gespült wird. Da hilft der Qualitätsfilter.


Die Berichterstattung ist im Moment stark auf das Coronavirus fokussiert. Stört Sie das?

Nein, ich finde es gut. In solchen Zeiten ist es so wichtig, dass wir solidarisch miteinander sind und diese Phase auch ohne eine Ausgangssperre überstehen. Die Wahrheit ist: wenn wir das jetzt hinbekommen, dann kann die ganze Maschinerie bald wieder weiter gehen. Dann können Menschen wieder arbeiten und es gibt wieder Veranstaltungen. Es ärgert mich sehr, dass so viele engstirnig und so kurzsichtig sind. Diese Coronapartys und auch Bars in Berlin, die Leute immer noch durch Klopfen an die Scheibe reinlassen. Lieber jetzt einmal radikal und dann ist's hoffentlich wieder gut. Ausgangssperre im Sommer wäre scheiße.


Gibt es ein Buch, das Sie selbst gern geschrieben hätten?

Da fallen mir sogar zwei ein: „Das Leben des Vernon Subutex" von Virginie Despentes. Sie hat geschafft, was wenige Frauen schaffen. Eine raue Sprache zu haben und damit extrem gut eine ganze Generation zu beschreiben - und dafür wird sie auch ernst genommen. Das finde ich toll. „Ich bin Circe" von Madeline Miller finde ich auch noch unglaublich. Das ist ein großartiges Buch.


Vielen Dank für das Gespräch. Original