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"Hau-Ruck" bleibt unvergessen

Quelle: MOZ/Josephin Hartwig

"Hau-ruck, Hau-ruck" hat Gisela Dumke auch nach 70 Jahren noch immer im Ohr, wenn sie an die Arbeiten an der Oderbruchbahn denkt. Nach dem Hochwasser 1947 senkten sich die Dämme ab, die Schienen rutschten von der ursprünglichen Fahrbahn in die Senken.

"Wir schaffen das schon" ist ein Leitsatz, der Gisela Dumke aus Friedersdorf ihr Leben lang begleitet. Als sie nach Groß Neuendorf zog, um nach Arbeit zu suchen, erfuhr sie von einem Bauern, dass junge Leute für den Wiederaufbau nach dem Hochwasser gesucht wurden. "Ich erinnere mich noch gut, wie es hier aussah. Die Kirche in Wriezen war besonders betroffen, von den Wassermassen, die durch das Bruch geschwappt waren", sagt Gisela Dumke.


Sie habe sich eines Morgens auf den Weg zur ehemaligen Bahnstrecke gemacht- mit Spitzhacke und einer kleinen Schippe in der Hand. "Der Bahndamm war in ein Feld hinein gespült worden", erinnert sie sich. Mit der Hand hätten sie und die anderen Arbeiter die Schienen wieder hinaufgezogen. "Die Männer legten sie auf den Damm und hebelten sie mit Baumstämmen vorwärts." Und dabei habe ein Brigadier immer wieder "Hau-Ruck, Hau-Ruck" gerufen. Diesen sogenannten Wuchtebaum brauchten sie, um Meter für Meter die Schienen wieder an den richtigen Platz zu schaffen.


Überall an der Strecke habe auch das Unkraut wahnsinnig hoch gestanden, so dass die Frauen es erst einmal ausreißen mussten. Es war schwere, körperliche Arbeit und wieder plagte Gisela Dumke der Hunger, wie schon während der Kriegsjahre und auf der Flucht. "Ich hatte meistens nichts zum Essen dabei, legte mich hinter einen Strauch und schlief, während die anderen ihre mitgebrachten Brote aßen", sagt sie. Kam sie zu ihren Eltern nach Hause, schlug die Mutter meist die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: "Du hast bestimmt riesigen Hunger!" Immer hatte sie Recht.


Gisela Dumke ist eine fleißige und zuverlässige Arbeiterin. Wohl auch deshalb empfiehlt ein Brigadier sie für eine Stelle im Gemeindebüro. Sein Bruder war der Bürgermeister in Groß Neuendorf. Die junge Frau lernt schnell, arbeitet sich gut ein und wird später sogar selbst einmal Bürgermeisterin von Friedersdorf. Doch ihre Wurzeln und die Anfänge ihres Berufslebens wird sie nie vergessen.


15 Kilometer östlich der Oder liegt Mieszkowice, das heutige Bärwalde, in Westpommern. Es ist der Geburtsort von Gisela Steffen, wie sie damals noch hieß. Als der Krieg immer näher kommt, flieht die junge Frau mit ihrer Familie erst nach Landsberg. "Dort haben wir wochenlang im Wald gelegen und wussten nicht, wohin wir gehen sollten", erinnert sich die heute 87-Jährige. Sie habe alte Menschen und auch Babies in jenen Nächten im Wald, die so bitterkalt waren, sterben hören. "20 Jahre habe ich mit Alpträumen zu kämpfen gehabt. Es hat lange gedauert, bis ich das überwinden konnte", sagt sie. Die Erinnerungen sind in ihrem Gedächtnis fest verankert. Gisela Steffen, die seit ihrer Heirat Gisela Dumke heißt, ist eine starke Frau. Dass diese große Stärke auch von dem kommt, was sie erlebt hat, liegt auf der Hand.


Aus dem Wald war sie mit einer Freundin zur Straße gelaufen, auf der Suche nach etwas Essbarem. Dort sind die beiden jungen Frauen von einem Lastwagen eingesammelt und verschleppt worden. Es folgten Monate der harten Arbeit auf den Feldern russischer Soldaten. "Die Frauen mussten die körperlich schwere Arbeit machen, die Männer säten oder ernteten- ich weiß nicht, weshalb das so war", sagt Gisela Dumke. Ihr Leben ist geprägt von dem Antrieb, etwas für Andere zu tun. Wie die Schienen der Oderbruchbahn wieder auf die Strecke zu ziehen.


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