1 subscription and 0 subscribers
Article

Das letzte Fest vor der Flucht

Quelle: MOZ/Josephin Hartwig

Es ist der 24. Dezember 1943. Dorothee von der Marwitz, damals 21 Jahre alt, ist frisch verheiratet mit Theodor Graf von Bismarck-Bohlen. Mit ihrer Familie, Gutsbesitzer Bodo von der Marwitz, ihrer Mutter und den Geschwistern verlebt die junge Frau ein Weihnachten in Friedersdorf, das ein unvergessliches in ihrem Leben wird.


Denn ihr erster Mann Theodor stirbt kurze Zeit später an der Ostfront. "Ich war jung und naiv, hatte geglaubt, er müsste nicht mehr an die Front, weil er schon verwundet war und einen Posten als Ausbilder in Bromberg hatte", erzählt Dorothee von der Marwitz. Mit ihm habe sie dort in einer Offizierswohnung gelebt.


Für einen kurzen Urlaub sind Theodor und Dorothee damals nach Friedersdorf gekommen. Seine Schwester, Dorothees beste Freundin aus Schultagen, hatte die beiden bekannt gemacht. Die 19-Jährige Dorothee verliebte sich zum ersten Mal, sei ein "spätes Mädchen" gewesen, sagt sie. Zumindest für die damaligen Verhältnisse.


Die langen, fast schwarzen Haare hat sie an diesem Weihnachtstag in Friedersdorf sorgfältig gebürstet, das schönste Kleid angezogen. Die 21-Jährige wird mit ihrem Mann und den Geschwistern in einen dunklen Raum gerufen. Es ist der festliche Auftakt der Weihnachtszeit. Dort singt die Familie besinnliche Weihnachtslieder. Nur nicht "Stille Nacht". Dieses Lied ist dem großen Saal vorbehalten. Als dann der zarte Ton einer Glocke zu hören ist, sind alle ganz aufgeregt. "Die Flügeltüren zum Saal im Schloss öffneten sich und wir traten ins Licht", sagt Dorothee von der Marwitz. Die Erinnerung ist immer noch sehr stark, etwa wie ein Lichtschein auf die Tische mit den Geschenken fiel. Die Decken im Saal des Friedersdorfer Gutshauses seien etwa fünf Meter hoch gewesen, der Weihnachtsbaum imposant. Geschmückt mit Lametta und unzähligen Kerzen erstrahlte er vor der Familie.

Zum Abendessen werden kalte Speisen aufgetischt. "Alles, was schon am Vormittag vorbereitet werden konnte. Schließlich sollte auch das Personal ein Weihnachtsfest haben", sagt Dorothee von der Marwitz. Geschenke sind nicht in Weihnachtspapier eingeschlagen. Die Kinder laufen um die Tische, überlegen, welcher wohl ihrer war. "Ich erinnere mich, dass ich in diesem Jahr einen Füllfederhalter zu Weihnachten bekam", sagt sie.


Der Nationalsozialismus sei natürlich, nachdem Hitler an die Macht kam, auch ihnen begegnet, sagt die 94-Jährige. Über den Volksempfänger und die Zeitungen seien allerdings nur zensierte Informationen an die Friedersdorfer Familie gelangt. 1943 sei der Zweite Weltkrieg in ihrem Heimatdorf noch nicht so deutlich zu spüren gewesen. Lebensmittel seien getauscht worden, der landwirtschaftliche Betrieb der Familie war ein Ernährer für viele im Dorf. Die Abwesenheit von Dorothee von der Marwitz' älteren Schwestern verdeutlichte allerdings, dass der Krieg schon in das Familienleben eingegriffen hatten. Bei Beeskow (Oder-Spree) waren die beiden dafür zuständig, Pferde für Soldaten zuzureiten. Auch in jenen Weihnachtstagen.


Theodor musste schon im Januar 1944 an die Front, drei Monate später erreichte Dorothee, die zu diesem Zeitpunkt bei ihren Schwiegereltern lebte, die traurige Nachricht. Ein Kopfschuss hatte sein Leben beendet. "Die Welt ging für mich unter", sagt sie. Doch die starke Frau ist auch Realistin. Jeden Tag hatte sich das Paar Briefe geschrieben. Ein Trost nach Theodors Tod. Seine hat die 93-Jährige noch heute, gebunden als Buch.

"Das Weihnachten 1944 mit meinen Schwiegereltern war ein sehr stilles", erinnert sich Dorothee von der Marwitz. Auch wenn sie später Friedrich von der Marwitz heiratete, mit ihm sechs Kinder bekam und ein glückliches Leben im Allgäu führte, bleiben die Erinnerungen an diese erste Liebe und das letzte Weihnachtsfest auf Schloss Friedersdorf für immer.

Das Gutshaus ist im Krieg zerstört worden. Heute lebt Dorothee von der Marwitz im wieder aufgebauten Kavaliershaus. Es sollte 55 Jahre dauern, bis sie wieder nach Friedersdorf zurückkehren konnte.


Von den Schwiegereltern aus kehrte Dorothee von der Marwitz nicht zurück nach Friedersdorf. Als der Krieg immer näher rückte, floh sie aus Vorpommern nach Ostfriesland. Erst 1998, nachdem Friedrich gestorben war, zog sie zu ihrem Sohn Hans-Georg, der Anfang der 90er Jahre dorthin zurückgekehrt war. Die Zeit des Krieges habe sie geprägt und vor allem der Verlust ihres Mannes auch ihr Leben danach, sagt die Friedersdorferin. Der 24. Dezember 1943 wird für Dorothee von der Marwitz immer ein besonderes Datum bleiben. Als erstes und letztes Weihnachtsfest mit ihrer jungen großen Liebe.

Original