Ildikó von Kürthy: Es wurde Zeit für dieses Buch. Ich habe immer über das geschrieben, was mich umgibt. Nun werden in meinem Umfeld die Eltern alt und sterben, die ersten erschreckenden Diagnosen brechen in den Freundinnenkreis ein, die Kinder gehen aus dem Haus. Das sind die Themen, über die ich abends mit meinen Freundinnen am Küchentisch spreche und weine. Das habe ich immer gemacht, es sind jetzt nur andere Themen, die unser Leben mit sich bringt.
Ich finde, die Erfahrung, die man mit Mitte 20 macht, wenn man sehr schnell hintereinander die Eltern verliert, ist überhaupt nicht zu vergleichen mit der, wenn die Eltern in der Mitte des eigenen Lebens sterben. Man fühlt sich mit 25 unverletzlich, der Tod scheint einem so weit weg, man interessiert sich nicht wirklich für seine Eltern und deren Geschichte. Ich habe damals natürlich getrauert, aber sehr beschützt durch diese Jugendlichkeits-Blase, die mich umgab. Das ganze Ausmaß des Verlustes wurde mir erst klar, als meine Kinder kamen und mir meine Eltern als Großeltern und als Ratgeber fehlten. Jetzt erst habe ich Fragen, die sie mir nicht mehr beantworten können.
Meine Freundin Jutta ist schwer an Pankreas-Krebs erkrankt und ich durfte sie auf ihrem Weg durch die Krankheit begleiten. Diese Zeit war intensiv und ich habe miterlebt, wie sehr sich ein Mensch im Angesicht der Tragödie verändert. Zu den selbstverständlichen Ängsten hat meine Freundin einen Weisheitsschub, Glücksschub, Lebensintensitätsschub und Wärmeschub durch die Krankheit erfahren und wir eine Bereicherung unserer Freundschaft. Und das ist ein großes Geschenk, bei aller Dramatik und allem Schmerz.
Ich empfinde mich als Spätzünder in Sachen Gefühlsverarbeitung. Früher wollte ich alles möglichst intensiv empfinden und mitempfinden. Ich habe kaum einen Unterschied gemacht zwischen Leid und Mitleid und mich in jedes sich bietende Gefühl haltlos reingesteigert. Meinen Roman zu schreiben und darüber zu reden, hat mir vieles klargemacht. Schreiben ist ja eine direkte Form der Auseinandersetzung mit sich selbst. Es hat mich klüger gemacht und meine Standpunkte zu Schmerz, Glück und Angst verändert. Das hat mir sehr gutgetan - besser spät als nie.
Ich versuche, meinem Älterwerden mit einer wohlwollenden Milde zu begegnen und auf meinen launischen Meniskus und das schwindende Unterhautfettgewebe mit Dankbarkeit zu reagieren. Mein Körper ist ja schon 51 Jahre alt. Kein Gästehandtuch hält so lange, die sind alle längst verschlissen. Ich finde, ich mache da einen ganz erfreulichen Reifungsprozess durch.
Noch vor einem Jahr war ich sehr verzagt und fragte mich, was jetzt noch kommen soll. Ich hatte keine Idee für meine Zukunft. Mein 50. Geburtstag war ein tolles Fest, aber danach machte mir die fehlende Perspektive Sorgen. Von alleine kommen jetzt keine wunderbaren Lebenspremieren mehr. Wann hat man zum letzten Mal etwas zum ersten Mal erlebt? Dafür muss man ab jetzt selber sorgen. Und da ist mir eine Zeit lang gar nichts eingefallen.
Mich hat eine unerwartete Energie ergriffen, die vielleicht mit dem Älterwerden und dem Loslassen zu tun hat. Plötzlich tun sich neue Perspektiven und neue Lebenseinstellungen auf. Ich bemühe mich um eine bessere Balance, um das rechte Maß und Ausgeglichenheit. Mal mehr, mal weniger erfolgreich. Ich gehe oft schwimmen und weiß mittlerweile, dass die Bewegung mir mindestens so gut tut wie die Pausen in der Sonne am Beckenrand.
Es gibt natürlich Tragödien, die sich nicht mit Lachen, nicht mal mit einem Lächeln vereinen lassen. Solche gibt es auch in meinem Leben und meinem Umfeld. Es ist schön, wenn Humor möglich ist. Mit meiner krebskranken Freundin Jutta hatte ich so wahnsinnig lustige Momente im Krankenhaus, in denen wir Tränen gelacht haben. Gerade die Gleichzeitigkeit von Komödie und Tragödie bestimmt ja das Älterwerden. Und es tut so gut, trotz aller Angst, dem Tod mal richtig ins Gesicht zu lachen.
Die Show ist eine laute, leise und lustige Gefühlsmischung. Weil ich es mir nicht zugetraut habe, die emotionalen Stellen live zu lesen, kommen die zu Beginn der Show vom Band, während ich Tagebuch schreibend auf der Bühne sitze. Neben mir eine sehr schicke Urne, die ich im Internet bestellt habe. Das macht man ja auch nicht jeden Tag. Vorher habe ich sorgfältig die Kundenrezensionen gelesen. Ein Nutzer schrieb, die Urne würde sehr nach Lack riechen. Ein anderer erwiderte: "Macht doch nichts, da will man ja nicht draus essen." Ich spiele meine Show zum Buch mit unterschiedlichen Partnerinnen, Bettina Tietjen, Maria Furtwängler und Cordula Stratmann. Wir lesen Dialoge, lachen uns kaputt und ich singe ein Liebeskummer-Medley. Da sind wir wieder bei der Gleichzeitigkeit von Trauer und Humor.
Es wird Zeit, die Zeit mehr zu würdigen. Mit 20 trank man billigen Wein, um schnell in Stimmung zu kommen. Heute genieße ich die Zeit wie einen edlen Tropfen, gemeinsam mit Freundinnen. Wir wissen im besten Fall um die Kostbarkeit des Moments. Womit verbringe ich meine Zeit? Worauf kommt es an? Und vielleicht noch viel wichtiger: Worauf kommt es nicht an? Das sind die Fragen, die mich jetzt beschäftigen.
Nein. Dafür brauche ich noch den Rest meines Lebens Ich weiß aber mittlerweile, dass ich keinen Stress brauche. Ich mag Ruhe und Routine. Ich will keine Abenteuerreisen machen, sondern mittags für meine Kinder zu Hause sein, abends schön kochen, in Ruhe fernsehen und Schokolade essen. Das Buch, die Show, die vielen Auftritte in unterschiedlichen Städten - das ist eine fremdbestimmte, anstrengende Phase, die ich sehr genieße, weil sie in absehbarer Zeit auch wieder vorbei ist. Am ersten Advent lasse ich den Griffel fallen, dann sind die Shows für dieses Jahr durch. Dann backe ich nur noch Kekse und esse sie auf, bevor meine Kinder nach Hause kommen.
Quelle: ntv.de
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