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Debatte um „Layla": Moralische Reinheitsgebote greifen immer weiter um sich

Eine Nacht in der Disko, im Festzelt. Junge, leicht bekleidete Menschen, viel Alkohol, laute Musik, zu der sich Körper mehr oder weniger rhythmisch bewegen. Viele dürften sich an solche Abende erinnern. Oder auch nicht. Es gibt Orte, an denen diese spezielle Rauschkultur geradezu zelebriert wird: Ischgl für Skiurlauber, Lloret de Mar - nördlich von Barcelona - für Schulabgänger und El Arenal auf Mallorca für alle. Immerhin ist der „Ballermann" mit seinen Schlagerstars und -sternchen seit Jahrzehnten eine Institution im Feierkalender.

Verbot von „Layla" zeigt Diskursprobleme der Gesellschaft

Womit man beim aktuell bekanntesten Ballermann-Hit wäre. „Layla" von DJ Robin und Schürze ist nicht nur auf Platz 1 der deutschen Charts gelandet und seit Wochen die Schlagerhymne des Sommers. Um den Titel mit einigen fragwürdigen Zeilen („Er hat 'nen Puff und seine Puffmama heißt Layla, Sie ist schöner, jünger, geiler"; „Die schöne Layla, die geile Layla, Das Luder Layla, unsre Layla") und künstlerischem Mehrwert am Nullpunkt ist eine bundesweite Debatte entbrannt.

Volksfestveranstalter, Oktoberfest-Wirte oder der ZDF-Fernsehgarten wollen mit Verweis auf die frauenverachtende Botschaft das Lied in dieser Variante nicht spielen. Dieser Versuch, jemanden der sich abseits erwarteter Konventionen bewegt, mundtot zu machen, ist nur folgerichtig in einer Öffentlichkeit, die vor lauter Angst, Gefühle zu verletzen, verstummt. Statt Diskurs herrscht immer öfters Schweigen.

Das alles hat seine Wurzeln im anglo-sächsischen Raum. Die dort seit den 1980er-Jahren zunehmend stärker werdende Denkschule des Postkolonialismus gewinnt auch hierzulande an Einfluss in den Universitäten, Parteien oder Denkfabriken. Anhänger postkolonialer Theorien zeichnen die Welt schwarz-weiß und denken in eng gefassten Kategorien.

Die „Cancel-Culture" greift immer weiter um sich

Schuld an den meisten sozialen Verwerfungen hat der weiße Mann, jede tatsächliche oder eingebildete Minderheit ist aufgrund ihrer Unterdrückungsgeschichte erst einmal im Recht. Wer Widerspruch wagt, wird „gecancelt", zum Schweigen gebracht. Vertreter solcher Theorien ziehen immer schärfere Trennlinien zwischen dem, was erwünschtes Sprechen ist und was nicht.

So hat die Bayreuther Professorin Susan Arndt in diesem Jahr „Rassistisches Erbe. Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen" veröffentlicht. Ein Buch über, zumindest aus Arndts Perspektive, rassistische Wörter, die sie gerne aus dem Wortschatz gestrichen sehen würde. Darunter „Abendland/Morgenland", „Dreieckshandel", „Dschungel", oder „Tropen".

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Wortreich erklärt sie historische Hintergründe der Begriffe, wobei sie etwa beim Sklavenhandel - ein weiterer Begriff, den sie verbannen möchte - geflissentlich darüber hinweg sieht, dass dieser erstens schon vor der Ankunft der Europäer auf dem afrikanischen Kontinent stattfand und zweitens jahrhundertelang ohne die Partizipation afrikanischer Eliten in dieser Größenordnung überhaupt nicht möglich gewesen wäre.

Für postmoderne Theoretiker ist „Weißsein" mit Macht verbunden

„Weißsein" ist für Arndt eine Machtposition und grundsätzlich mit Privilegien verbunden. Die Professorin konstruiert ein binäres Weltbild. Sie selbst schreibt, es gehe ihr um einen „längst überfälligen Perspektivwechsel".

Was das alles nun mit „Layla" zu tun hat? Wenn Bestrebungen elitärer Hochschulprofessoren und einflussreicher öffentlicher Stimmen bereits dazu führen, dass Wiesn-Wirte - die am schamlosen bis schwachsinnigen Exzess durchaus gut verdienen - Hits verbieten, weil sie Zeilen als übergriffig empfinden oder Skandalisierung fürchten, welche Räume bleiben der diskursiven Grenzüberschreitung bald? Aus dieser entstehen doch erst originelle Gedanken.

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Jemand, der schon lange vor diesen Entwicklungen warnt, ist der Philosoph und Universitätsprofessor Robert Pfaller. Der Österreicher kritisiert in seinem Werk „Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur" die zunehmende Infantilisierung der Öffentlichkeit.

Darunter versteht er das Aufstellen immer mehr Ge- und Verbote, was unseren Sprachgebrauch angeht und die Öffnung des öffentlichen Raumes für private Befindlichkeiten. Letztlich die „dogmatische Beendigung jeglichen Diskurses im Vorhinein" durch eine ins Extreme gesteigerte Auffassung von politischer Korrektheit.

Wer keinen Anstoß erregen will, stößt auch keine neuen Gedanken an

Indem die „neoliberale Politik an die Schwäche und Empfindlichkeit der Bevölkerung appelliert, zerstört sie die Selbstwahrnehmung der Menschen als mündige Bürgerinnen und Bürger". Auf „Layla" gemünzt: Anstatt dass man die Aufregung um dieses unterkomplexe Lied dazu nützt, um die seit Langem stille Debatte um die komplexe Problematik der Prostitution ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, verharrt man in den Grabenkämpfen eingebildeter Gefühlsverletzungen.

Und auch sonst verpasst die Erregung um „Layla" Chancen. Pfaller warnt in anderen Werken vor der „Maßlosigkeit im Mäßigen", dem Verlust von Kulturtechniken in einer Ära der Askese. Man müsste diskutieren, was exzessive Erlebnisse im Miteinander in diesen Corona- und Kriegsjahren für eine gesellschaftliche Relevanz haben. Das lässt sich nicht nur auf Alkohol münzen, sondern etwa auch auf Konfrontation mit abseitigem Humor.

Stattdessen zeigt sich die von Pfaller prognostizierte Erschlaffung der Debatte, die sich ausbreitende geistige und politische Ödnis. Wer partout vermeiden will, Anstoß zu erregen, der stößt auch keine neuen Gedanken an.

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