Drei Stockwerke, der Sockel aus Klinker, breite Fenster aus weiß lackiertem Holz, der Putz irgendwas zwischen original sandfarben und dunkelgrau verfärbt: Das ist der "Konsumverein", ein Wohnhaus mit 25 Menschen im brandenburgischen Luckenwalde. Im Hochparterre wohnt Jana Korte. Für ihre 54 Quadratmeter zahlt die 52-Jährige 340 Euro kalt. Geheizt wird, wie in der Hälfte aller deutschen Wohnhäuser, mit Gas, in ihrem Fall mit einem Biogasanteil von zehn Prozent. Der Strom kommt aus erneuerbaren Energien. Für beides zusammen zahlt sie 100 Euro Nebenkosten.
Auf der Rückseite des Hauses hat sie Beete angelegt, die sie mit Kompost aus Bioabfällen düngt. Gerade wächst der Feldsalat. Die Waschmaschine würde sie sich gerne mit anderen teilen, um Wasser zu sparen. Überhaupt findet sie teilen gut. Man kann sagen, sie lebt ökologisch bewusst. Doch jetzt soll das bald 100 Jahre alte Haus energetisch fit gemacht werden. Für den Klimaschutz. Und da weiß sie nicht so recht weiter: "Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet."
Früher gehörte das Haus einem Konsumverein, dessen Mitglieder in den Dreißigerjahren günstig an Lebensmittel und Alltägliches kamen. Der Name ist geblieben. Heute bremst das Gebäude wie Millionen andere den Klimaschutz. Energie für Heizung und Warmwasser in Wohnhäusern verursachte 2020 rund 18 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen, den Großteil das Heizen. Wenn Deutschland spätestens 2045 klimaneutral sein will, müssen die Emissionen jetzt schnell sinken, bis 2030 schon um fast die Hälfte. Für Neubauten gelten deshalb klare Effizienzstandards. Doch von den insgesamt 19,2 Millionen Wohnhäusern sind drei Fünftel gebaut worden, bevor die erste Wärmeschutzverordnung 1979 wirksam geworden ist. Pro Jahr geht es einer Studie der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge) zufolge mit den energetischen Vollsanierungen dieser rund 11,6 Millionen Häuser um nur ein Prozent voran.
Deutschland steckt mittendrin im Sanierungsstau. Dafür gibt es vor allem drei Gründe.
Der erste wird im Wohnzimmer von Jana Korte deutlich. Bei Fragen zum Energiesparen und zu einer nimmt sie sich einen Moment Zeit, bevor sie antwortet. Kein Widerstand, eher ein Abwarten, gewisse Ratlosigkeit. "Die finden sie landauf, landab", sagt Dietmar Walberg. Er ist Geschäftsführer der Arge und Hauptautor der Studie zur Zukunft des deutschen Wohnbestandes. Vor allem zwei Gruppen wollten das Thema Sanierung oft nicht anfassen, sagt er: Eigenheimbesitzer, die älter als 60 sind, und Mieter, also Menschen wie Jana Korte.
Während die Eigenheimbesitzerinnen leichter an Geld kämen, lebten in den Mietwohnungen oft Menschen, die wenig verdienen. Aber ausgerechnet deren Wohnungen sind im schlechtesten Zustand. Wer da welche Kosten trägt, ist eine Frage mit sozialem Sprengpotenzial.
Hinter dem Luckenwalder Konsumverein steht Marius Hasenheit auf dem mit Unkraut und Gras überwachsenen Pflaster des riesigen Innenhofs, rund 50 Meter vom Haus entfernt. Fast so, als wollte er möglichst viel Abstand zu diesem Sprengpotenzial halten.
Der 33-Jährige ist Vorstand der Genossenschaft, die das Haus mit zwölf Wohnungen, dem Hinterhof und einer daran angrenzenden verfallenen Lagerhalle vergangenes Jahr gekauft hat. Dafür zahlte sie einen niedrigen sechsstelligen Preis. Die genaue Zahl soll hier nicht stehen, doch für so viel Fläche ist sie außergewöhnlich niedrig. "In Berlin bekäme man eine Garage dafür", scherzt Hasenheit. Aber er weiß natürlich, warum das Haus so billig war: "Weil so viel zu tun wäre - was schnell ein Fass ohne Boden wird."
Kaltmiete doppelt so hochIn seinem Hauptberuf berät Hasenheit Unternehmen zu nachhaltiger Entwicklung und Kommunikation. Vorstand der Genossenschaft ist er zusätzlich, gemeinsam mit einem Kollegen. Aber es fließt viel Zeit in dieses Nebenamt. Hasenheit selbst wohnt in zur Miete, er pendelt mindestens einmal pro Woche 50 Kilometer nach Luckenwalde - um zu planen, wie es mit der Sanierung des Hauses weitergeht. Die Fassade, Fenster und Geschossdecken zu Keller und Dachboden sollen gedämmt werden. Statt der Gasetagenheizungen soll eine zentrale Wärmepumpe her.
Mehr als eine halbe Million Euro wird das kosten, schätzt Carsten Ernst. Der Berater für Klimaschutz und Energieeffizienz ist an diesem Tag mit Hasenheit nach Luckenwalde gekommen. Für einige Bewohner würde die Sanierung die Nebenkosten vielleicht dritteln, die Kaltmiete aber mindestens verdoppeln. Manche Mieter zahlen heute noch 3,70 Euro pro Quadratmeter, weniger als die Hälfte des bundesweiten Durchschnitts von 8,44 Euro. Viele Hausbewohner verdienen entweder nicht sonderlich gut, sind arbeitslos oder bekommen wenig Rente.
Hasenheit will den Wohnraum günstig halten und hofft auf Zuschüsse. Die gibt es etwa von der Förderbank KfW, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und aus regionalen Töpfen. Je nach Maßnahme sind bis zu 50 Prozent Förderung drin. Doch wenn wie kürzlich neue Programme kommen, seien die Mittel schnell vergriffen und reichten ohnehin vorne und hinten nicht, sagt der Genossenschaftler. Das Haus ist als Industriedenkmal geschützt. Dafür gibt es Auflagen, die das Sanieren noch einmal teurer machen.
Der
Altbau ist ein Sinnbild für die rund 11,6 Millionen Mietgebäude und
Einfamilienhäuser, in deren Modernisierung heute viel zu wenig Geld fließt. 50
Milliarden Euro sind es jährlich, das Dreifache müsste es sein. Das rechnete
die Studie der Arge im Februar vor. Bis 2045 wären das insgesamt 3,6 Billionen
Euro. Eine Zahl mit elf Nullen, so viel wie die deutsche Wirtschaftsleistung
eines ganzen Jahres.
Im
Hinterhof des Konsumvereins in Luckenwalde sind diese elf Nullen ganz weit weg.
Marius Hasenheit setzt sich an einen Gartentisch. Stefanie Dudzinsky ist aus
ihrer Wohnung im ersten Stock heruntergekommen, unter dem Arm eine Thermoskanne
Kaffee und drei Packungen Schokoladenkekse. Dudzinsky ist vor zwölf Jahren "für
die Liebe" hergezogen. Die 35-Jährige ist Hauskrankenpflegerin, ihr Mann Marco
fährt Lkw für eine Umzugsfirma. Mit den Söhnen Darius und Jannek wohnen sie im
ersten Stock auf 120 Quadratmetern. Dafür zahlen sie 614,35 Euro kalt und 300
Euro Nebenkosten. Die hätten sich seit dem Einzug verdoppelt, berichtet sie.
Sie schalteten im Winter nachts die Heizung aus, zogen sich tagsüber dicker an.
Aber jetzt, jetzt erst einmal der Sommer.
Kritik an Regelung der Klimaabgabe
Ab
dem 1. Januar 2023 sollen nicht mehr wie bisher allein die Mieterinnen und
Mieter die Klimaabgabe bei den Heizkosten tragen, sondern teilweise auch die
Vermietenden – wer wie viel zahlt, das ist abhängig vom energetischen Zustand des Gebäudes. Bei
einer schlechten Klimabilanz, also einem Ausstoß von mehr als 52 Kilogramm pro
Quadratmeter pro Jahr, zahlen Vermieter 90 Prozent und Mieter zehn Prozent der
CO₂-Kosten. Wenn das Gebäude mindestens den Effizienzstandard EH 55 einhält, zahlen die Vermieter nichts. Das Kalkül: Vermieter
sanieren schneller, Mieter sparen weiterhin Energie.
Für
Dietmar Walberg von der Arge geht das nicht auf, weil Eigentümerinnen die Kosten
umlegen. "Der übergroße Teil der Sanierungskosten bleibt weiterhin bei den
Mietern hängen", kritisiert er. Besser wäre es, wenn Vermieterin und Mieter je
ein Drittel zahlten und der Staat das letzte Drittel dazugäbe – rund 30
Milliarden Euro im Jahr. Diesen Vorschlag habe er Klimaschutzminister Robert Habeck beim
Wohnungsbautag im Februar gemacht.
190.000 Fachkräfte fehlen
Selbst
wenn die Bewohner des Konsumvereins in Luckenwalde es mit dem Denkmalschutz
leichter hätten, wenn Fördermittel und Kredite flössen und höhere Mieten keine
existenzielle Frage wären, dann gäbe es noch ein drittes Problem: Es fehlt an
Material und Fachleuten, sagt Energieberater Ernst.
Holzbalken
für Dachkonstruktionen? Kaum zu bekommen. Elektronik für die Wärmesteuerung?
Schwierig. Dämmstoffe und Betonstahlmatten für die Verstärkung von Wänden und
Decken? Oh Mann. Der Stahl dafür kam auch aus dem Stahlwerk Asow-Stahl im
ukrainischen Mariupol, von dem aus ukrainische Soldaten wochenlang Widerstand
gegen die russische Armee leisteten, am Ende vergeblich.
Und wenn das Material kommt? Den Universitäten fehlen Studierende, den Betrieben die Auszubildenden. Deshalb gibt es zu wenige Architekten und Bauphysikerinnen, Technikplaner und Handwerkerinnen, gerade auf dem Land. Die Gewerkschaft IG Metall und die Zentralverbände mehrerer Handwerks
berufe gehen von bis zu 190.000 fehlenden
Fachkräften aus.
Bringen Berliner Senioren den Kredit?
Die Gruppe geht über den Hof, vorbei an Jana Kortes Feldsalat, durch den Keller und dann die drei Stockwerke hinauf bis auf den Dachboden. Ein paar Eimer stehen herum, Hasenheit zeigt auf die schmalen Ritzen im First. "Da kann man halt durchgucken." Diese schmalen Streifen, durch die man den Himmel sieht, kommen noch obendrauf: auf die schlecht gedämmten Wände, die zugigen Haustüren und Fenster, durch die es bei Sturm reinregnet.
Wenn es nach Hasenheit geht, nicht mehr lange. Zum Jahresende soll ein Sanierungsplan für das ganze Haus stehen. Zwei Wochen nach dem Besuch in Luckenwalde ruft er an, klingt erleichtert: Rund 20 ältere Menschen aus Berlin möchten fürs Alter Wohnungen in das verfallene Lagerhaus hinter dem Konsumverein bauen und dort einziehen. Dafür müssen sie Anteile an der Genossenschaft zeichnen. Das heißt: mehr Geld für die Genossenschaft – und damit wird auch ein Kredit für die Sanierung wahrscheinlicher. Und dann könnten die Kaltmieten sogar weiter niedrig bleiben. Womöglich ist es also nur noch ein Winter, in dem die Nebenkosten für den Geldbeutel besonders "böse" werden, wie es einer der Hausbewohner ausdrückt.
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