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Ebola im Krisengebiet Kongo: Wenn Infizierte vor Rebellen fliehen

Erst waren es nur Bauchschmerzen, dann Durchfall, die ihren Sohn Elvis plagten. Nichts Ungewöhnliches. Aber Annie Madelene Fakundaye, 30 Jahre alt, dreifache Mutter, dachte sofort an Ebola. Sie hatte bereits gehört, wie sich die gefährliche Krankheit bemerkbar macht. Sie brachte Elvis ins nächstliegende Krankenhaus und ließ ihn testen. "Als ich erfahren habe, dass er Ebola hat", erinnert sie sich, "fing ich heftig an zu zittern."

Elvis wurde aus der Klinik von Männern abgeholt, die unheimlich auf Mutter und Sohn wirkten: Sie trugen Masken, Schutzbrillen, Handschuhe und Gummistiefel. Fakundaye war bewusst, dass die Kleidung die Männer vor dem hochansteckenden Virus schützen soll. Sie selbst steckte nur in ihrer üblichen Kleidung, ungeschützt. Sie schickte ihren Sohn mit den Fremden fort.

Spritzen sie eine tödliche Dosis?

Längst nicht alle Menschen in der Demokratischen Republik Kongo schenken den Helfern so viel Vertrauen wie Fakundaye. Die hagere Frau steht vor ihrer kleinen, steinernen Hütte, nicht größer als eine Garage, die sie sich mit ihrem Mann und den Kindern teilt. Ihr kleiner Sohn, Elvis Bruder, weicht nicht von ihrer Seite. Er schmiegt sich an die Mutter und hält sich an dem orangen Tuch fest, das sie zu einem langen Rock gebunden hat.

Fakundaye hat sich sogar gegen das Virus impfen lassen. Das haben sich nur wenige aus ihrer Nachbarschaft getraut. Das Gerücht ging um, erzählt Fakundaye, "sie würden kommen, um den Kranken eine tödliche Dosis zu spritzen".

Fakundaye lebt mit ihrer Familie in Beni, im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Rund eine Million Menschen bevölkern die Stadt, die von Urwald umgeben ist. Die Region ist ein Krisengebiet. Von Norden und Osten kommen die sogenannten ADF-Rebellen (Allied Democratic Forces). Die Islamisten haben ihre Ursprünge auch im Widerstand gegen Yoweri Museveni, seit 33 Jahren Präsident vom benachbarten Uganda. Sie haben heute jedoch keine klare politische Agenda mehr.

Aus dem Süden kommen die sogenannten Mai-Mai-Milizen, die in Stadtviertel einfallen, Menschen töten oder entführen, Häuser plündern und niederbrennen. Etwa 2500 Menschen sind ihnen in den vergangenen vier Jahren zum Opfer gefallen.

Der Impfstoff könnte viel hilfreicher sein

Jetzt kämpft die Region zusätzlich mit einem Ebola-Ausbruch. Seit August sind in Beni mehr als 140 Menschen an Ebola gestorben. Zählt man die Opfer in umliegenden Städten und Dörfern dazu, sind es mehr als 368 Todesfälle.

Ebola ist extrem gefährlich: Etwa 60 Prozent der beim Ausbruch im Kongo Erkrankten haben die Infektion nicht überlebt. Dank eines neuen Impfstoffs könnte das Eindämmen der Seuche viel einfacher sein als noch vor vier Jahren in Westafrika, als mehr als 11.000 Menschen an Ebola starben. Doch die allgemeine Lage in Beni erschwert die Arbeit der medizinischen Helfer enorm.

Das ist Ebola

Das Ebola-Virus wird über Körperflüssigkeiten wie Schweiß, Erbrochenes oder Blut übertragen. Je stärker die Krankheit fortgeschritten ist, desto größer ist das Risiko, dass ein Erkrankter das Virus weitergibt. Besonders infektiös sind die Körperflüssigkeiten Verstorbener. Eine Infektion verläuft oft tödlich. Erkrankte bekommen hohes Fieber. Sie erbrechen sich und haben extremen Durchfall, sodass sie gefährlich viel Flüssigkeit verlieren. Auch innere Blutungen können auftreten. Für ein erfolgreiches Eindämmen der Krankheit ist es notwendig, alle Menschen aufzuspüren, die Kontakt mit Erkrankten hatten, sie zu beobachten und bei Anzeichen der Krankheit zu isolieren.

Annie Fakundaye kämpft für ihre Familie. Sie hat ihren Sohn weggeschickt, damit er eine Therapie bekommt. Sie hat sich registrieren und die Spritze geben lassen, auf die Doktor Stéphane Hans Bateyi große Hoffnung setzt.

Der Arzt des kongolesischen Gesundheitsministeriums koordiniert das Impfprogramm. Er schickt medizinische Teams in die Stadtviertel. Dort bauen sie, von der Polizei beschützt, Pavillons auf, in denen sie Menschen gegen Ebola impfen. Das Angebot richtet sich vor allem an Menschen, die mit Ebola-Patienten in Kontakt gekommen sind sowie das Gesundheitspersonal selbst.

"Die Impfung hat auf jeden Fall einen großen Einfluss, weil sie die Ansteckungskette der Krankheit unterbindet", sagt der Arzt.

Rund 50.000 Dosen haben die Teams von Bateyi in den vergangenen Monaten verabreicht. Doch oft sind Menschen, die sich möglicherweise angesteckt haben, nicht auffindbar, weil sie nach einem Angriff aus ihren Häusern oder Wohnungen geflohen sind.

Eine Nachbarin wurde getötet

Vor gut zwei Wochen sei das Viertel Boikene angegriffen worden, nicht weit vom Hauptsitz der Ebola-Koordination, erzählt Bethie Batsotse. Die 20-jährige Studentin der Agrarwissenschaften lebte dort mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern. In Jogginghose sitzt sie auf einem Hocker auf dem Rasen, wäscht Früchte. Angriffe gab es immer wieder, sagt sie. Man höre dann Schüsse und Explosionen. "Die letzte Attacke war direkt neben unserem Haus." Eine Nachbarin wurde getötet.

Sie erzählt ihre Geschichte im ruhigen Garten ihrer ältesten Schwester in einem Viertel im einigermaßen sicheren Westen der Stadt, wo sie jetzt lebt. Über die Frage, ob sie zu zehnt genügend Platz in dem Haus haben, antwortet sie mit einem Lachen. Aber anderen gehe es noch schlechter. "Weil die ADF für gewöhnlich nachts oder früh morgens angreifen, sind viele Leute tagsüber in unserem Viertel, aber verbringen die Nacht zum Schlafen im Zentrum." Manche hätten gar keine feste Bleibe, würden mal bei Familienmitgliedern, mal bei Bekannten oder bei Fremden unterkommen, notfalls auch mit 20 Menschen dicht gedrängt in einer kleinen Wohnung.

Selbst die medizinischen Helfer fliehen

Für Doktor Justus Nsio ist die Situation ein Alptraum. "Selbst das Gesundheitspersonal und die Kranken fliehen aus so einer Gegend", sagt der kongolesische Mediziner, der in Beni Einsatz-Teams koordiniert. "An so einem Tag kann man die Infizierten nicht auffinden, die deshalb weitere Menschen anstecken", so Nsio, der trotz tropischen Temperaturen eine Weste trägt, die ihn als Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums erkennbar macht. Auch am Tag nach einem Angriff sei ein Einsatz oft undenkbar - wegen Protesten und Trauerriten.

Manchmal wird sogar das medizinische Personal selbst angegriffen: Im November beispielsweise näherten sich die Rebellen dem Hotel der Einsatzkräfte. Obwohl sie von der Armee zurückgeschlagen wurden, fiel daraufhin die Entscheidung, die Experten vorübergehend in die Provinzhauptstadt Goma zu bringen.

Wer an solchen Tagen an Ebola stirbt, wird oft nicht unter professioneller Anleitung der Fachkräfte und nach strengen Hygieneregeln bestattet - sondern traditionell. Dann berühren Trauernde den Leichnam. Dieser Brauch ist während eines Ebola-Ausbruchs lebensgefährlich, denn Verstorbene sind höchst ansteckend.

Kongo - ein Name, zwei Staaten

Es gibt in Zentralafrika zum einen die "Demokratische Republik Kongo" mit der Hauptstadt Kinshasa und zum anderen die "Republik Kongo" mit der Hauptstadt Brazzaville. Die Grenze beider Länder verläuft teils entlang des Flusses Kongo. Auf der Kongokonferenz der europäischen Kolonialmächte 1884/85 in Berlin erhielten die Franzosen das kleinere Territorium der heutigen Republik Kongo. Der belgische König Leopold II. sicherte sich das Gebiet der heutigen Demokratischen Republik Kongo und machte es zu seiner Privatkolonie, die er rücksichtslos ausbeutete.

1960 erlangten sowohl die belgische als auch die französische Kolonie ihre Unabhängigkeit. Nach mehreren Namensänderungen (u.a. Zaire) heißt die ehemalige belgische Kolonie seit 1997 "Demokratische Republik Kongo", die vormals französische Kolonie seit 1991 "Republik Kongo". Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in unseren Texten für die Demokratische Republik Kongo in der Regel die einfache Bezeichnung "Kongo".

In den folgenden drei Wochen steige die Zahl der neuen Ebola-Fälle, klagt Nsio. Seine Teams müssen dann abermals nach Infizierten suchen - in einem Viertel, in dem die Menschen oft auf der Flucht sind. "Du kommst Tag für Tag, aber die Person ist nicht da", stellt er resigniert fest.

Zwar rollen auf den Straßen immer wieder gepanzerte Fahrzeuge der Uno-Mission "Monuscu" und Einsatztruppen der kongolesischen Armee an der Bevölkerung vorbei. Doch die Bürger Benis fühlen sich im Stich gelassen und nicht sicher in ihrer Stadt. "Wir leiden so sehr", sagt Annie Fakundaye, die Mutter des erkrankten Elvis. Die Angst vor dem Krieg ist für viele greifbarer als die vor Ebola: "Von einem Moment auf den anderen kann jemand kommen und dich töten", sagt Fakundaye. "Ist das etwa ein normales Leben?"

Nsio hat deshalb eine düstere Prognose: Wenn die Sicherheit in der Stadt nicht gewährleistet wird, wird der Ebola-Ausbruch noch lange andauern, fürchtet der Arzt.


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