Johannes Grunert

Freelance journalist, Chemnitz

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Ralf Marschner - Der Rechte Rand - Ausgabe 150 - Nazi-Spitzel

https://www.der-rechte-rand.de/wp-content/uploads/drr_150.pdf 2014

»Manole«, »Mono«, »Primus«, »Irrländer«, »Kit Rock« und zuletzt »Q3« – Ralf Marschner aus Zwickau hatte viele Namen. Sie beschreiben die Geschichte eines Neonazis, der zehn Jahre lang trotz zahlreicher Ermittlungsverfahren vom Verfassungsschutz als wichtige Quelle geführt wurde.

In der rechten Musikszene Sachsens kannte man Marschner nur als »Manole« oder »Mono«. Er kam 1990 für seine Lehre nach Zwickau. 1991 war er einer von 100 rechten Skinheads, die Flüchtlinge mit Zaunlatten im Zwickauer Flüchtlingsheim zusammengeschlagen und selbiges danach niedergebrannt hatten. Als einer der ersten V-Leute im Osten wird Marschner unter dem Decknamen »Primus« ein Jahr später vom »Bundesamt für Verfassungsschutz« (BfV) angeworben. Für mehrere Jahre gilt er als »einzige wirklich relevante Quelle« im Osten, so »Primus‘« V-Mann-Führer Richard Kaldrack vor dem NSUUntersuchungsausschuss des Bundestages. Durchschnittlich 300 Euro im Monat bekommt Marschner für seine Tätigkeit. Er organisiert Rechtsrockkonzerte, gibt zwei Fanzines heraus und singt selbst in einer Band mit dem Namen »Westsachsengesocks«. 1997 eröffnet er den Szeneladen »The Last Resort« und ein Modegeschäft, das er »VIPers« nennt. Über die Jahre laufen insgesamt 17 Ermittlungsverfahren gegen ihn. Doch das BfV hält an ihm fest. Seine Straftaten könne man als »szenetypisch« bezeichnen, somit seien sie kein Grund für eine Abschaltung, so Kaldrack. Eine dieser »szenetypischen« Straftaten war der Vertrieb der CD »Ran an den Feind« der Band »Landser«. Nachdem Thomas Starke, Jan Werner und Mirko Hesse diese CD produziert hatten, übernahm Marschner 1.000 Stück. Als das BfV davon erfuhr, hatte er diese schon alle weiterverkauft. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Dem NSU-Trio will V-Mann »Primus« in all den Jahren, in denen er in Zwickau lebte, kein einziges Mal begegnet sein. Nach dem Auffliegen des Trios meldeten sich allerdings zwei Zeugen bei der Polizei, die Marschner mit den Dreien gesehen haben wollen. Der eine war ein langjähriger Geschäftspartner von ihm. Zusammen gehörte ihnen das »Heaven and Hell«, ein weiteres Modegeschäft, das 2005 eröffnet wurde. Er meinte, Zschäpe mehrmals in diesem Laden gesehen zu haben. Andere Zeugen schlossen aus, dass Zschäpe hier gearbeitet habe, da gewesen sei sie aber wahrscheinlich öfter. Ein weiterer Zeuge bezog sich auf das Jahr 1998, das Jahr des Abtauchens des NSU. Auf einem Fußballturnier im thüringischen Greiz sei Marschner damals mit Böhnhardt und Mundlos aufgetaucht. Marschner habe nach Waffen gefragt, der Zeuge habe jedoch verneint. Laut ZeugInnen neige Marschner zur Gewalt und habe sich viele Feinde gemacht. Und, er sei kein guter Geschäftsmann gewesen. Mehrmals bekamen seine MitarbeiterInnen nicht das, was ihnen zustand. Mindestens fünf Firmen hob er aus der Taufe. Eine davon, die zu den anderen gar nicht passen mag, war der »Bauservice Marschner«: eine Firma, über die es beim Gewerbeamt keinerlei Unterlagen gibt. Bundesweit nahm sie Aufträge an, um diese gibt es heute einige Ungereimtheiten. Über die Firma wurden mehrere Autos gemietet, auch an den Tagen, an denen der NSU in Nürnberg Abdurrahim Özüdoğru und in München Habil Kılıç ermordete. Beides im Jahr 2001, in dem er auch Max-Florian Burkhardt anstellte, der dem Trio drei Jahre zuvor Unterschlupf gewährte. Nicht nur durch seine Firmen ist Marschner bald stadtbekannt. Als Fußballhooligan tritt er Anfang des Jahrtausends mit Mitgliedern der »HooNaRa« (»Hooligans Nazis Rassisten«) bei Spielen des FSV Zwickau auf. Die Gruppe machte sich bundesweit einen Ruf als gefürchtete Schlägertruppe. Im Jahr 2002 kontaktiert ein ehemaliger Verfassungsschützer seine ehemaligen KollegInnen. In seiner neuen Funktion als LKA-Beamter will er wissen, ob es Neuigkeiten zum untergetauchten Trio gibt. Nebenbei erkundigt er sich auch nach den V-Leuten Mirko Hesse und Ralf Marschner. Wie er auf diese Verbindung kommt, ist unklar, zumal beide V-Leute nach eigenen Angaben mit dem Trio nie etwas zu tun hatten. Kurz darauf wird Marschner alias »Primus« abgeschaltet. Wegen zu hoher Schulden muss Marschner im gleichen Jahr den »Last Resort Shop« verkaufen, dazu kommt ein Jahr später ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung gegen seine bereits aufgelöste Band. Er wird wegen unerlaubten Drogenbesitzes verurteilt, die Nachricht macht schnell die Runde. Hinzu kommt die Spielsucht, wie später eine Zeugin aussagt. Mit der Gründung von »Heaven & Hell« und »Barstool Sports« versucht er der Misere zu entkommen, 2007 verlässt er aber fluchtartig die Stadt. »Barstool« verkauft er. Den »Last Resort Shop« lässt er ohne ein Wort zurück, nachdem er die Kasse geplündert hat. Über Irland und Österreich gelangt der »Irrländer« schließlich in die Schweiz. »Irrländer« ist sein Internet-Pseudonym, unter dem er schnell wieder ausfindig gemacht wird, in der Stadt Chur. Hier will er einen Neuanfang wagen, organisiert als »Kit Rock« Punk- und Grauzonenkonzerte und arbeitet zunächst in einem Modegeschäft, später bietet er Entrümpelungen und Fahrdienste an. Nebenbei verkauft er Gebrauchtwaren im Netz. Auf seinen zwei Facebook-Profilen zeigt Marschner seine unveränderte Weltanschauung. Auf einem, das für seine Schweizer Freunde bestimmt ist, zeigt er zum Beispiel einen Hakenkreuz-Untersetzer, den er sich aus Indien bestellt hat. Während der heute 43-Jährige in Zizers, einem Nachbarort von Chur, eine neue Lagerhalle für seinen Handel sucht, wird 2010 in Deutschland seine Akte vom »Verfassungsschutz« geschreddert. 2013 wird er als V-Mann enttarnt. Im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages wird er als »Q3« zum Thema. Kaldrack habe ihn noch im Mai 2013 angerufen, aus Fürsorgegründen, falls er Unterstützung in dieser schwierigen Zeit brauche.