Gisa März war mehrere Monate in Haft, weil sie ohne Ticket fuhr. Der Düsseldorfer Stadtrat hat das Fahren ohne Fahrschein daraufhin entkriminalisiert.
Gisa März tritt ein Jahr nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis durch die Tür des Vereins fiftyfifty in der Nähe des Hauptbahnhofs Düsseldorf. Die weißblonden Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Auf der Empfangstheke stehen Tassen, Kaffeekannen und Milch bereit. März will aber keinen Kaffee, sondern fragt nach ein paar Ausgaben des Straßenmagazins, das der Verein herausgibt. Eine Mitarbeiterin vermerkt die Anzahl der ausgehändigten Zeitschriften in einer Liste. Das Heft kostet 2,80 Euro, verkauft Gisa März ein Exemplar, kann sie die Hälfte des Geldes behalten, die andere Hälfte gibt sie an den Verein ab - fifty-fifty eben.
Von November 2022 bis März 2023 saß die heute 57-Jährige wegen „Erschleichens von Leistungen" in der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf ein - das heißt wegen Fahrens ohne Fahrschein. Sie hatte sogar noch Glück: Das Strafgesetzbuch lässt dafür eine Strafe von bis zu einem Jahr zu. Der Paragraf 265a wurde 1935 von den Nazis eingeführt. Bis heute ist er nicht abgeschafft. Das Justizministerium hat zuletzt lediglich den Zeitraum halbiert.
Fast 90.000 Menschen bundesweit werden jährlich angezeigt, weil sie ohne gültiges Ticket angetroffen wurden. Im Knast landen vor allem die, die sich keinen Fahrschein leisten können. Das betrifft nach Schätzungen der taz fast 2.000 Menschen pro Jahr- etwa 800 sitzen so wie Gisa März eine Freiheitsstrafe ab. Etwa 1.100 eine Ersatzfreiheitsstrafe - weil sie das sogenannte erhöhte Beförderungsentgelt nicht zahlen können. Den Staat kostet das pro Tag und Person 100 bis 200 Euro - insgesamt also mehr als eine Viertelmillion Euro.
Auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen(...)
„Normalerweise hatte ich immer ein Ticket", sagt Gisa März an diesem Frühjahrsvormittag im Aufenthaltsraum von fiftyfifty. Klein und schmal ist sie, sitzt gebückt auf dem Stuhl und hält den Kopf schief. In der Hand hält sie eine Brötchentüte; sie hat noch nicht gefrühstückt.
Über das Jobcenter erhält Gisa März vergünstigte Fahrscheine. Auch 2019 war das so. Doch die Post vom Jobcenter kam nicht rechtzeitig. Das komme häufiger vor, sagt Gisa März. „Ich habe mir dann immer Fahrkarten gekauft - aber in dem Monat war dann irgendwann das Geld weg. Und was soll man machen, wenn man gezwungen ist, zum Arzt zu fahren?" Ausnahmsweise sei sie also ohne Fahrkarte in die S-Bahn gestiegen. Und prompt kontrolliert worden. Eine Woche später das Gleiche noch einmal: Eingestiegen ohne Ticket, Kontrolle, erwischt.
Ohne Bahnfahren gehe es in Düsseldorf nicht, sagt Gisa März. „Ab und zu die Enkelkinder treffen - die fragen ja nach mir." Sie kenne auch einige Obdachlose, die am Bahnhof leben. „Und wenn man dann zur Armenküche in der Altstadt will, weil das Essen da nur 50 Cent kostet, muss man auch die Bahn nehmen, wenn man nicht gut zu Fuß ist."