US-Präsident Joe Biden behauptet, gegen die Todesstrafe zu sein. Trotzdem bleibt seine Haltung unklar. Eine Analyse von Johanna Soll.
Washington, D.C. - Eines von US-Präsident Joe Bidens Wahlversprechen war, die Todesstrafe auf Bundesebene abzuschaffen. Nun hat indes erst kürzlich das US-Justizministerium in einem Schriftsatz an den Supreme Court, den Obersten Gerichtshof der USA, die Todesstrafe für Dschochar Zarnajew gefordert. Dieser hatte 2013 zusammen mit seinem Bruder Tamerlan beim Boston-Marathon einen Terroranschlag mit zwei selbstgebauten Sprengsätzen verübt, bei dem drei Menschen starben und 264 teilweise schwer verletzt wurden. Auf der anschließenden Flucht erschossen die Brüder einen Polizisten und entführten einen Autofahrer. Tamerlan Zarnajew wurde später bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei getötet, der damals 19-jährige Dschochar wurde vier Tage nach dem Anschlag festgenommen.
In erster Instanz wurde gegen Dschochar Zarnajew die Todesstrafe verhängt, doch das Berufungsgericht hob das Urteil 2020 wegen Verfahrensfehlern auf. Der Tathergang ist unstreitig, es geht nun lediglich um das Strafmaß - lebenslang oder Todesstrafe. Noch unter Ex-Präsident Donald Trump hatte das Justizministerium in den letzten Monaten seiner Präsidentschaft, nach fast 20-jährigem Moratorium, die Todesstrafe auf Bundesebene wieder vollstreckt und insgesamt 13 Menschen hingerichtet.
Todesstrafe in den USA: Joe Biden könnte ein Dekret einsetzenIn den USA haben die einzelnen Bundesstaaten zusätzlich ihre eigenen Strafgesetze und entscheiden auch darüber, ob die Todesstrafe in dem jeweiligen Bundesstaat angewendet, ausgesetzt oder gänzlich abgeschafft wird. Auf Bundesebene wäre für die Abschaffung der Todesstrafe die Aufhebung des entsprechenden Gesetzes nötig, was jedoch bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen im US-Senat nicht erfolgsversprechend ist, da die Republikaner die Todesstrafe überwiegend befürworten. Dennoch könnte Joe Biden mittels eines Dekretes dafür sorgen, dass auf Bundesebene keine Todesstrafen mehr vollstreckt werden - bisher hat er dies allerdings nicht getan. Zwar betont er, gegen die Todesstrafe zu sein, lässt seinen Worten bisher jedoch keine Taten folgen.
Einer Umfrage des Pew Research Centers aus dem April zufolge befürworten 60 Prozent der US-Amerikaner:innen die Todesstrafe, wenn jemand wegen Mordes verurteilt wurde, 39 Prozent sprechen sich dagegen aus. Noch im August 2020 waren 65 Prozent dafür und 34 Prozent dagegen. Während 77 Prozent der Republikaner die Todesstrafe befürworten, sind es bei den Demokraten 46 Prozent. Bei weißen und asiatisch-stämmigen Amerikaner:innen sprechen sich je 63 Prozent für staatliche Hinrichtungen aus, bei Latinos sind es 56 Prozent und bei Schwarzen 49 Prozent. Gemäß einer Gallup-Umfrage von Ende 2020 befürworteten im Jahr 1994 80 Prozent die Todesstrafe und nur 16 Prozent waren dagegen, seitdem nähern sich die Werte allmählich wieder an - die Zahl der Befürworter:innen sinkt, die der Gegner:innen steigt.
Joe Biden und die Todesstrafe: Drei Milliarden mehr als lebenslange HaftAktuell vollstrecken 24 der 50 US-Bundesstaaten die Todesstrafe, drei sehen sie zwar vor, doch haben sie ausgesetzt und in 23 Bundesstaaten ist sie abgeschafft. Die Todesstrafe verstößt gegen Artikel 3 und 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und außer den USA sieht keine westliche Demokratie diese Art der Strafe vor. Laut Amnesty International führt die Todesstrafe auch nicht dazu, Verbrechen zu verhindern: „Wissenschaftliche Studien haben keinen Beweis für die angeblich abschreckende Wirkung der Todesstrafe erbringen können. In Kanada zum Beispiel ist die Mordrate seit der Abschaffung der Todesstrafe zurückgegangen. In den USA hingegen ist die Mordrate in den Bundesstaaten mit Todesstrafe höher als in jenen, die sie abgeschafft haben."
Hinzu kommt, dass Justizirrtümer und Fehlurteile bei der Todesstrafe, wenn sie vollstreckt wurde, nicht mehr behoben werden können. Laut der National Academy of Sciences sind 4,1 Prozent der in den USA zum Tode Verurteilten unschuldig. Auch werden in den USA überproportional häufig arme Menschen und Angehörige von Minderheiten zum Tode verurteilt, die sich keine teure Strafverteidigung leisten können. Insgesamt ist ein Todesurteil für den Staat sogar teurer als eine lebenslange Haftstrafe: Im Juli 2018 saßen 2738 Häftlinge in den Todestrakten von US-Gefängnissen. Dies kostet den Fiskus fast drei Milliarden Dollar mehr, als wenn sie eine lebenslängliche Haftstrafe verbüßen würden.
Trotz alledem wird die Todesstrafe in den USA in absehbarer Zeit wohl nicht abgeschafft werden - ihre Vollstreckung ist, im Gegenteil, in letzter Zeit noch barbarischer geworden: Im US-Bundesstaat South Carolina haben Todeskandidaten neuerdings die Wahl zwischen einer Exekution mittels Giftspritze, elektrischem Stuhl oder durch ein Erschießungskommando. Grund dafür ist, dass sich europäische Pharmafirmen weigern, Nachschub an für die Giftspritze verwendeten tödlichen Substanzen in die USA zu liefern. Eine andere Tötungsmethode wird im Bundesstaat Arizona eingesetzt: die Gaskammer. Dafür wollen die Behörden nun ausgerechnet Zyklon B einsetzen, das Gift, mit dem die Nazis zwischen 1942 und 1945 in den Vernichtungslagern Millionen Juden ermordeten.
Auch diese neuen Entwicklungen scheinen Joe Biden nicht zum Handeln zu bewegen. Zwar kann er als US-Präsident dem Justizministerium aufgrund dessen Unabhängigkeit im Zuge der Gewaltenteilung keine Weisungen erteilen, doch es steht in seiner Macht, dafür zu sorgen, dass Todesurteile zumindest auf Bundesebene nicht vollstreckt werden. Allein sein moralischer Standpunkt, die Todesstrafe abzulehnen, wird ohne entsprechendes Handeln seinerseits nicht dazu führen, zum Tode Verurteilte - unter ihnen möglicherweise auch Unschuldige - vor der staatlich angeordneten Hinrichtung zu bewahren. (Johanna Soll)
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