Kamala Harris hat sich in ihrem Amt als Vizepräsidentin der USA viel vorgenommen. Wird sie ihrem Anspruch gerecht?
Washington, DC - Seit Ende Januar ist Kamala Harris als US-Vizepräsidentin die erste Frau in diesem Amt - und auch die erste Person of Color. Indes erscheint ausgerechnet Kamala Harris in der Regierung von US-Präsident Joe Biden blass - politisch gesehen. Andere Mitglieder der Demokratischen Partei im US-Kongress stehen weit häufiger im Mittelpunkt, beispielweise ihr konservativer demokratischer ehemaliger Kollege im Senat, Joe Manchin, der die Agenda Joe Bidens mit seinen Querschüssen sabotiert. Dafür kann Ex-Senatorin Kamala Harris nichts, denn es obliegt dem Präsidenten zu entscheiden, welche Aufgaben an die Vize delegiert werden.
Wie bereits unter seinem damaligen Chef, Ex-Präsident Barack Obama, hat Joe Biden Kamala Harris die Bekämpfung der Fluchtursachen in Mittelamerika übertragen - eine Mammutaufgabe. Biden schlägt damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Er ist ein leidiges, politisch heikles Thema losgeworden und Kamala Harris kann ihr außenpolitisches Profil schärfen - ein Gebiet auf dem sie bisher kaum Erfahrung hat. Ein weiteres, äußerst schwieriges Thema ist das der Stärkung der Wahlrechte. Die Juristin und ehemalige Staatsanwältin bat Joe Biden, dies übernehmen zu dürfen.
Kamala Harris wird an ihren Taten gemessen werdenMit diesen beiden großen Themen dürfte Kamala Harris fortan gut beschäftigt sein, denn beide sind aktuell brisant und es besteht akuter Handlungsbedarf. Mehr als 180.000 Menschen versuchten allein im Mai über die mexikanische Grenze in die USA zu gelangen, so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Auch ist fraglich, wie die Wahlrechte in den USA gestärkt werden können, wenn die Republikaner in den Landesparlamenten von derzeit 48 Bundesstaaten Gesetze zur Wählerunterdrückung planen und teilweise auch bereits erlassen haben. Der einzige Ausweg wäre die Verabschiedung des Wahlreformgesetzes auf Bundesebene, welches indes außer von den Republikanern unter anderem auch von dem Demokraten Joe Manchin blockiert wird.
Kamala Harris hat sich viel vorgenommen und wird an ihren entsprechenden (Miss-)Erfolgen gemessen werden. Immerhin ist es kein Geheimnis, dass die ehemalige Senatorin aus Kalifornien das höchste politische Amt der USA anstrebt. Sie ist zuletzt selbst als Präsidentschaftskandidatin in den demokratischen Vorwahlen 2019/2020 angetreten und hatte ihren prominentesten Auftritt, als sie Joe Biden bei einem TV-Duell scharf angriff wegen dessen vergangener Befürwortung einer rassistischen Schulpolitik. Damit positionierte sie sich seinerzeit in der Spitze des Bewerberfeldes und brachte Joe Bidens Kandidatur zumindest kurzzeitig ins Wanken.
Kamala Harris: Von Joe Biden zur Vizepräsidentin ernanntDer weitere Verlauf ist bekannt: Joe Biden ist Präsident, Kamala Harris Vizepräsidentin. Die Favoritin von damals stürzte mangels Wahlbotschaft und schlechten Auftritten in den weiteren TV-Duellen recht schnell ab und schied noch vor der ersten Vorwahl mit nur noch etwa drei Prozent in den Umfragen aus dem Rennen aus. Dennoch erkor Joe Biden Kamala Harris zu seiner Vizepräsidentin, weil er sich nach dem Polizisten-Mord an dem Afroamerikaner George Floyd im Zeichen der Identitätspolitik auf eine schwarze Frau als Vize festlegte.
Sie befindet sich - wie jeder US-Vizepräsident vor ihr - in einer schwierigen Situation, da ihr Einfluss auf die US-Politik allein davon abhängt, wie viel ihr Joe Biden zugesteht. Für Kamala Harris kommt erschwerend hinzu, dass sie vor allem von rechts Attacken ausgesetzt ist, die wenig mit ihrem politischen Handeln, als vielmehr damit zu tun haben, dass sie eine schwarze Frau ist. Dennoch muss bei der Kritik an Harris differenziert werden zwischen der, die durchaus berechtigt ist und bloßer Diffamierung.
Kamala Harris wolle eigentlich Präsidentin werdenSo berichtet die New York Times unter Berufung auf zwanzig Mitarbeiter:innen des Weißen Hauses, Verbündete und ehemalige Berater:innen, dass Kamala Harris sich während ihrer vier Jahre als Senatorin größtenteils auf ihre Präsidentschaftskandidatur konzentrierte. Sie war nicht dafür bekannt, enge Arbeitsbeziehungen zu ihren Kolleg:innen im Senat zu pflegen. Dieser Umstand könnte ihre Arbeit, insbesondere in Bezug auf die Wahlrechtsreform, erheblich erschweren: Das Gesetz hat das Repräsentantenhaus bereits passiert und wird nun im Senat von den Republikanern und Joe Manchin blockiert. Und was ist Kamala Harris' erster Impuls? Sie lädt erst einmal die 24 Senatorinnen in ihren Wohnsitz, das Naval Observatory ein, um dringend benötigte Beziehungen zu knüpfen. Hier allerdings von „parteiübergreifender Zusammenarbeit" zu sprechen, erscheint weit hergeholt - schließlich handelt es sich lediglich um ein gemeinsames Abendessen unter Frauen. Damit ist noch nichts in puncto Stärkung der Wahlrechte erreicht.
Alle wichtigen News zur US-Politik direkt in Ihr Mail-PostfachMit dem USA-Newsletter der FR verpassen Sie keine wichtigen Nachrichten mehr und sind immer top informiert
Neben schwacher Arbeitsbeziehungen zu ihren ehemaligen Senatskolleg:innen hat Kamala Harris weitere Schwächen: Live-Auftritte und Interviews. Die letzten großen Patzer auf diesem Gebiet leistete sie sich bei ihrer ersten Auslandsreise in Guatemala. Dort lautete Kamala Harris' Botschaft an die Menschen im Land: „Kommt nicht!" Ihr Versuch, mit einer harten Linie gegen Flüchtlinge bei Konservativen zu punkten, schlug fehl und brachte stattdessen die progressiven Demokraten gegen sie auf. Auf Twitter empörte sich die linke Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez über die „enttäuschende Aussage" von Kamala Harris. An der Grenze Asyl zu suchen, sei zu 100 Prozent legal. Auch Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Vizepräsidentin.
Kamala Harris: Von Republikanern und Fox News kritisiertAnschließend noch in Guatemala folgte Fehltritt Nummer zwei, als Kamala Harris bei einem Interview mit dem US-Fernsehsender NBC gefragt wurde, ob sie plane, die Südgrenze der USA zu Mexiko zu besuchen, antwortete sie gereizt: „Wir waren an der Grenze." Diesen Satz wiederholte sie dann noch zweimal und auf die Feststellung, dass sie selbst die Grenze noch nicht besucht habe, erwiderte sie: „Und ich war auch noch nicht in Europa." Gegenüber der New York Times nannte ein ehemaliger außenpolitischer Berater von ihr diese Aussage „nicht schlau".
Laut CNN ist es Kamala Harris und ihrem Mitarbeiterstab sehr wichtig, nicht mit der Flüchtlingskrise an der Grenze in Verbindung gebracht zu werden. Die vielen tausend unbegleiteten Minderjährigen, die dort eintreffen, werden nämlich, wie noch unter Ex-Präsident Donald Trump, ebenfalls in käfigartigen Unterkünften untergebracht. Von Republikanern und auf Fox News wird Kamala Harris unablässig dafür kritisiert, sich noch nicht zur mexikanischen Grenze begeben zu haben. Würde sie dies jedoch tun, würde auch dies mit Sicherheit wieder gegen sie verwendet werden. Ein Besuch an der Grenze ist für Politiker:innen ohnehin nur ein Fototermin, bei dem man entweder seine Anteilnahme (Demokraten) oder seine Menschenfeindlichkeit (Republikaner) öffentlichkeitswirksam demonstrieren kann.
Name
Kamala Devi Harris
Geboren
20. Oktober 1964
Ehepartner
Douglas Emhoff
Ausbildung
UC Hastings College of the Law (1989), Howard University (1986), Westmount High School (1981)
Mit derartigen politischen Dilemmata musste sich die 56-Jährige in ihrer bisher kurzen Karriere in der Bundespolitik nicht befassen. Vor ihren vier Jahren als Senatorin, die sie vor allem als Sprungbrett für ihre Präsidentschaftskandidatur nutzte, war sie Generalstaatsanwältin von Kalifornien und davor Bezirksstaatsanwältin in San Francisco. Als Staatsanwältin versteht sie es, Personen im Zeugenstand und auf der Anklagebank zu vernehmen und mit bohrenden Fragen in Bedrängnis zu bringen. Bei Anhörungen im Justizausschuss des Senats konnte sie dies voll ausspielen und fiel unter anderem bei den Befragungen von Donald Trumps erstem Justizminister Jeff Sessions und dem wegen Vorwürfen einer versuchten Vergewaltigung in seiner Jugend umstrittenen, konservativen Supreme Court Richter Brett Kavanaugh auf. Doch als Vizepräsidentin kann sie sich auf diese Weise nicht länger profilieren.
Kamala Harris: Erfolge müssen herAuch ist es nicht das Alleinstellungsmerkmal von Kamala Harris, Kongressanhörungen zu einem Verhör zu machen und die zu befragenden Personen bloßzustellen. Berühmt-berüchtigt dafür ist inzwischen eine andere: die progressive Kongressabgeordnete Katherine „Katie" Porter, die seit 2018 den 45. Wahlbezirk von Kalifornien im Repräsentantenhaus vertritt. Sie ist ebenfalls Juristin, sogar Juraprofessorin, und sorgt regelmäßig für Aufsehen, wenn sie beispielweise Führungskräfte aus der Öl- oder Pharmaindustrie öffentlich demontiert.
Ihrer Möglichkeiten zur Profilierung beraubt und mit zwei äußerst schwierigen Aufgaben betraut, wird es für Kamala Harris schwer werden, Erfolge vorzuweisen, die sie allerdings dringend braucht, wenn sie nochmal als Präsidentschaftskandidatin antreten möchte. Eine andere Möglichkeit wäre, dass sie das Präsidentenamt von Joe Biden übernimmt, sollte er vor Ende seiner Amtszeit vorzeitig ausscheiden und an Kamala Harris übergeben. Momentan deutet jedoch nichts darauf hin. (Johanna Soll)
Rubriklistenbild: © Jacquelyn Martin/dpa