Berliner Morgenpost: Herr Baselitz, derzeit sind Sie in diversen internationalen Ausstellungen, in Weltklasse-Galerien vertreten: In der Albertina in Wien, in Berlin, ab November in den Deichtorhallen Hamburg ...
Georg Baselitz: ... Bruno Brunett stellt die Neuauflage eines Bildes aus, das ich 1982 gemalt habe: "Nachtessen in Dresden". Die Ur-Version hängt im Museum in Zürich. Das neue Bild hat ein höheres Tempo. Das "Nachtessen" ist ein schweres, hart gesetztes, konstruiertes Bild. Der Remix ist vital und leicht. Die Personen sind nun als Brücke-Künstler kenntlich.
Warum haben Sie die Bilder von damals noch einmal aufgegriffen?
In den letzten Jahrzehnten habe ich mich mit meiner Biografie beschäftigt. Zunächst mit Familienbildern, dann mit Schulzeichnungen. Ich habe in mir selbst gesucht. Ein ganz programmatisches Vorgehen, eigentlich ohne psychologischen Hintergrund.
Eigentlich?
Wenn man älter wird, wird man sentimental. Das ist biologisch bedingt. Ich lasse meine alten Sachen nicht mehr los, will die Vergangenheit zurückrufen. Das ist natürlich etwas provokativ, andere blättern in Fotoalben.
Gerade im Remix der "Nacht im Eimer" haben Sie Ihr Tempo stark angezogen. 1962 wurde die erste Version wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verboten. In der aktuellen Variante trägt der nackte Knabe ein Hitler-Bärtchen.
Ich möchte mich nicht selbst kopieren, sondern mich in der Berechtigung, in der Qualität der Bilder bestätigen lassen. Vor allem will ich sie erneut zeigen! Alte Sachen haben schnell Patina. Ich wische den Staub von meinen Bildern. Und die Schwierigkeiten, mit denen das Malen damals behaftet war, gibt es nicht mehr.
Welche Schwierigkeiten?
In meiner Anfangszeit wurde das Tafelbild als tot betrachtet. Ich hatte nur mit Leichen zu tun und habe trotzdem Bilder gemalt, allem Widerspruch zum Trotz. Das war schwierig: Zunächst wollte man nichts von mir wissen. Also habe ich noch mehr zugeschlagen. Das führte zu heftigen Attacken. Ein Maler braucht Anerkennung. Wenn die lange Zeit versagt bleibt, wird man wütend.
Man musste sich mit Ihnen auseinandersetzen.
Ein Maler möchte von seiner Arbeit leben. In Berlin war das unmöglich. Berlin war nicht New York oder Paris, sondern ein ganz trauriges Nest. Jeder hat fleißig geschimpft, aber niemand hat gezahlt. Protest und Skandal wurden damals nicht in bare Münze umgesetzt. Ich wurde angeklagt, kam vor Gericht.
War diese Eskalation nicht zugleich die Bestätigung, dass Ihre Rebellion funktioniert hatte?
Von außen betrachtet nimmt man vielleicht an, man habe die Sache in der Hand. In Wirklichkeit habe ich außerhalb meines Ateliers keine Macht, also hatte ich auch keine Kontrolle über die Situation. Wenn man zurückblickt, kommt einem das vielleicht amüsant vor. Damals war es nicht einfach, ich hatte Existenzängste.
Haben Sie sich seither mit Berlin ausgesöhnt?
Berlin ist eine ignorante Bonzenrepublik! Schlimmer als ignorant! Die Stadt war jahrzehntelang in einer Insel-Situation und lebte von Hoffnung und Subventionen. Das hat sich seit der DDR, seit Zusammenbruch des Ost-Reiches nicht verändert. Es gab keine Erholung, kein Auftauen aus dieser schlechten Situation.
Was halten Sie von der Leipziger Schule?
Neo Rauch finde ich wunderbar. Als ich angetreten bin, hieß es, Bildermalen sei ein Anachronismus. Seit einigen Jahren entstehen nun diese fantastischen neuen Bilder. Das ist auch für mich eine Bestätigung.
Gerhard Schröder hat sich Ihren Adler ins Büro gehängt.
Mutig, ein Kanzler, der sich einen stürzenden Adler über den Schreibtisch hängt. Ansonsten hab' ich mit Politik nichts als Ärger gehabt. Lassen wir das lieber beiseite. Mit Kunst sollte man nie Politik machen wollen, das ist immer furchtbar ausgegangen. Politiker brauchen Dekoration.
Dekoration oder Symbole?
Politiker lassen sich von Malern malen und sehen sich gern mit Kunst. In Demokratien ist das nicht schlimm, in Diktaturen grausig. Gerade in Deutschland sind wir gebrannt. Solange die DDR existierte, konnte man beobachten, was aus Kunst wird, wenn sie korrumpiert. Furchtbar.
Sie zitieren häufig politische Symbole.
Es gibt eine Fotografie, eine Vorlage für ein Bild von Kirchner. Pickelhaube, Stiefel mit Sporen. Das ist eine ungewöhnliche Ausrüstung für einen deutschen Künstler. Der Erste Weltkrieg mit all seinen Verlusten war ein geschichtlicher Einschnitt. Das beschäftigt mich, also male ich keine Häkelstuben. In Berlin dagegen werden momentan Kirchner-Bilder verschenkt.
Das Kirchner-Gemälde wurde den Erben seines früheren Besitzers zurückgegeben.
Sie leben in Berlin. Dann müssen Sie doch bitteschön endlich berücksichtigen, was in Berlin wirklich passiert! In Berlin gibt es ein Kunst-Museum, dem Namen nach eine "Neue Nationalgalerie", die hat noch nie ein Bild von mir gekauft! Sie nimmt ihre Verantwortung nicht wahr! Zeitgenössische Künstler - und ich bin ein zeitgenössischer Künstler, auch wenn ich schon ziemlich alt bin - kommen dort nicht vor. Das müssen Sie sich mal vorstellen! Und so was will Weltniveau sein!
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