Die große Koalition ist sich in ihren Plänen, das Nachbarland in Syrien militärisch zu unterstützen, ungewöhnlich einig. Kein Wunder: Es geht auch um die Zukunft Europas.
Rund um die Sondersitzungen der Bundestagsfraktionen zum geplanten Bundeswehreinsatz in Syrien herrschte am Donnerstag eine konzentrierte Stimmung. Nur die Raucher kamen zwischendurch heraus. Schließlich ging es um etwas sehr Wichtiges, und das in dramatischer Eile. Fragte man, worüber in den Sitzungssälen von Union und SPD im Einzelnen gesprochen werde, schienen alle ein imaginäres Schild hochzuhalten mit der Aufschrift "Solidarität mit Frankreich". Eine SPD-Abgeordnete sagte: "Ist das alles nicht schrecklich? Mir geht das so nahe." Und deswegen müsse man jetzt etwas tun.
Große Gefühle als Grundlage für einen neuen Bundeswehreinsatz im Ausland? Wohl kaum. Solidarität ist in Bezug auf Syrien ein dehnbarer Begriff. Einerseits will man die Franzosen nicht hängen lassen. Zu einem beträchtlichen Teil geht es aber auch um das eigene Land. Der IS gefährde massiv die innere Sicherheit, sagen Verteidigungsexperten. Frei nach dem einst von Peter Stuck geprägten Motto "Die Sicherheit Deutschlands wird auch in Syrien verteidigt" will man die IS-Terroristen daran hindern, sich in Syrien weiter auszubreiten. "Wir müssen den Rückzugsraum für Terroristen zerstören", sagt der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der SPD-Abgeordnete Wolfgang Hellmich.
Seine Fraktion trägt diese Position weitgehend mit. Darauf kann sich der Koalitionspartner verlassen. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Jürgen Hardt findet, es brauche ein "robustes Handeln" auch im Interesse des eigenen Landes. Er und Hellmich verweisen beide auf das Grundgesetz: In dessen 24. Artikel heißt es, Deutschland könne sich "zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen."
Ein wesentlicher Teil der der Entscheidung dürfte aber auch mit einem Aspekt zusammenhängen, der schon näher am Begriff der Solidarität steht: die Rettung Europas. In der Koalition macht man sich offenbar solche Sorgen um das europäische Projekt, dass ein Einsatz deutscher Soldaten als notwendiges Übel gesehen wird. "Es hängt gerade unheimlich viel an der Frage, wie sich die Bundesrepublik verhält", sagt der SPD-Außenpolitiker Niels Annen. "Überall in Europa, von Frankreich über Ungarn bis nach Skandinavien, erstarken die europafeindlichen Kräfte. Die Funktionsfähigkeit Europas hängt mehr denn je an der deutsch-französischen Zusammenarbeit."
Das könnte erklären, warum von den Sozialdemokraten kaum Widerstand kommt. Selbst Vertreter der SPD-Linken kündigen keinen Widerstand an. Dabei gab es auch in der Fraktionssitzung dringende Fragen, die sich derzeit noch nicht klären lassen. Wie zum Beispiel: Was kommt nach einer Zerschlagung des IS? Und: Wie kommt Deutschland aus dem Krieg in Syrien wieder raus? Ein zweites Afghanistan will man unbedingt verhindern.
Die Verantwortung dafür lastet nun auf den Schultern des Außenministers. Frank-Walter Steinmeier hat am Donnerstag in der SPD-Fraktion gesprochen und konnte dabei, so berichten es Teilnehmer, viele Sorgen zerstreuen. Die Abgeordneten vertrauen ihm - und das ist nötig, wenn man Wolfgang Hellmich glaubt: "Eine Exit-Strategie kann man im Moment nicht festlegen. Es wird letztlich Aufgabe der Wiener Verhandlungen sein, eine politische Lösung zu finden, die der Region langfristig Stabilität bringt."
Bodentruppen (noch) kein ThemaDamit das gelingt, kommt offenbar auch Deutschland um militärische Mittel nicht herum, das haben selbst die Kritiker in der SPD akzeptiert. Ein Knackpunkt bleibt etwas, das noch gar nicht auf der Tagesordnung steht, aber trotzdem in aller Munde ist: Deutsche Bodentruppen zu entsenden ist ein Tabu, das auch die Union derzeit nicht antasten möchte. Genauso vorsichtig ist man aber auch damit, einen solchen Einsatz völlig auszuschließen. Hardt sagt, gegenwärtig sei das nicht Gegenstand der Debatte, aber: "Wo der IS herrscht, sind alle notwendigen Mittel angemessen." Mit anderen Worten: Wenn es irgendwann "notwendig" sein sollte, könnten auch Bundeswehrsoldaten nach Syrien geschickt werden.
Nur: was folgt daraus? Wird Frankreich irgendwann auch das fordern? Hat man sich mit der jetzt erfolgten Zusage in eine Spirale begeben, an deren Ende Tote auch auf deutscher Seite stehen könnten? Das soll auch in der SPD-Fraktion Thema gewesen sein. Niemand möchte, dass Bilder von Bundeswehrsoldaten um die Welt gehen, die von Islamisten gefangen oder getötet werden.
Kein eigenes UN-Mandat
Verteidigungsexperte Hellmich sagt, das Problem sei die asymmetrische Kriegsführung des IS: "Die schwer bewaffneten Konvois, die überall in der Region unterwegs sind, können nur aus der Luft besiegt werden." Um die Fahrzeuge zu orten, benötige man die deutschen Tornados: "Das schaffen Drohnen nicht." Für die IS-Kämpfer, die sich in den Städten verschanzten, brauche es dann tatsächlich einen bewaffneten Kampf am Boden. Hellmich schlägt vor, dazu eine Allianz aus jordanischen und irakischen Truppen und den Peschmerga zu unterstützen.
Einem SPD-Abgeordneten gehen die aktuellen Pläne nicht weit
genug: "Wir brauchen Bodentruppen, nicht so ein Rumgeeiere". Andere
befürchten, damit würde man einen Krieg heraufbeschwören. Die
Schwierigkeiten vergangener Einsätze hat man nicht vergessen. Niels
Annen fordert, Bodentruppen sollten generell nicht von westlichen
Ländern gestellt werden: "Das ist auch eine Lehre aus dem Irakkrieg."
Die Toleranzgrenze der SPD zeichnet sich deutlicher ab, wenn es um eine Kooperation mit Syriens Herrscher Baschar al-Assad geht. Der französische Außenminister Laurent Fabius hatte vorgeschlagen, sich dessen Soldaten zu bedienen, anstatt eigene Bodentruppen nach Syrien zu schicken. Der SPD-Außenpolitiker Annen hält das für keine gute Idee: "Die meisten Flüchtlinge, die zu uns kommen, fliehen nicht vor dem IS, sondern vor Assad." Auch Hellmich fände eine Zusammenarbeit mit Assad "hochproblematisch."
Kooperation mit Russland?
Das Thema könnte noch für Probleme sorgen: Deutschland will Frankreich zwar unterstützen, dessen Präsident Hollande aber unbedingt mit Russland kooperieren, Russland wiederum möchte Assad nicht fallenlassen.
Diese politische Gemengelage verdrängt man in der Koalition zum jetzigen Zeitpunkt offenbar. Hardt betont, wie gut man für den Einsatz die Infrastruktur der NATO nutzen könne. Schließlich braucht es für den Einsatz von Tornados eine entsprechende Basis am Boden, die zum Beispiel mit der Türkei als NATO-Bündnispartner gegeben wäre. Die allerdings streitet gerade mit Russland um den Abschuss eines Kampfflugzeugs. Hellmich wiederum sagt: "Wir sind klug beraten, auch eine Kooperation mit Russland zu forcieren."
Die Einwände der Opposition, es fehle eine rechtliche Grundlage für den geplanten Einsatz, winken die Koalitionspartner unisono ab: Mit der jüngsten Resolution des UN-Sicherheitsrates zu Syrien sei der Einsatz ausreichend legitimiert. Die Grünen, im Grunde ebenfalls für den Einsatz, wollen aber unbedingt ein offizielles Mandat der Vereinten Nationen. Am Ende könnte das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
Auch Bedenken, dass die innere Sicherheit gerade durch den Einsatz gefährdet werde, weil Terroristen verstärkt Anschläge verüben könnten, wischt SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann beiseite: Deutschland sei ohnehin schon beteiligt, weil Hunderte deutsche Staatsbürger in Syrien kämpften. Der CDU-Politiker Hardt sieht das ähnlich: "Deutschland hat sich durch seine Unterstützung der kurdischen Peschmerga im Kampf gegen den IS längst exponiert."Original