Interview Johanna Ewald
Ein halbes Jahr Leben mit Corona - und was jetzt? Matthias Horx schaut hauptberuflich in die Zukunft. Wie lernt man den Blick nach vorne - und was kommt 2021 auf uns zu?Neue Bekanntschaften, gelöste Familienkonflikte, produktive Videokonferenzen: Bereits am 16. März, wenige Tage vor dem Lockdown in Deutschland, malt der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx ein Bild der Zukunft. In dem auf seiner Website veröffentlichten Schreiben "Die Welt nach Corona" wagt der 65-Jährige eine Corona-Rückwärts-Prognose, eine sogenannte Regnose. Und beamt sich damit quasi in die Zukunft. Ins Jetzt.
Im Herbst 2020 sind der digitale Unterricht und das Home Office als gängige Arbeitsformen etabliert. Die Erreichbar- und Verbindlichkeit haben wieder zugenommen, die Menschen lesen wieder Bücher, gehen spazieren. Bereits seit dem Sommer gibt es Medikamente, die die Überlebensrate erhöhen. US-Präsident Donald Trump prophezeit der in Wien lebende Publizist damals eine Niederlage. Nun ist fast ein halbes Jahr vergangen.
Heute klingt Ihre Regnose wie eine Weissagung, denn vieles ist ja tatsächlich eingetroffen. Wie funktioniert so eine Regnose? Es waren Vermutungen, dass vielleicht nicht alles so schlimm kommt, wie wir uns das damals Mitte März vorgestellt haben. Das war eine Zeit von einer sehr stark zunehmenden Hysterie. Diese Ängste haben uns regelrecht überwältigt. Bei einer Regnose geht es nicht darum, die Zukunft vorauszusehen, sondern sich in die Zukunft zu versetzen und dadurch die eigenen inneren Weltbilder zu überprüfen. Wenn wir aus der Situation der Verängstigung eine Prognose machen, ist diese natürlich immer negativ. Mit dem Trick, sich die Zukunft zu vergegenwärtigen, fangen wir an nachzudenken: Wie ticke ich eigentlich? Was habe ich für ein Verhältnis zur Zukunft? Bin ich eher grundpessimistisch oder nicht? Es ist im Prinzip eine Art Meditationstechnik über die Zukunft. Ein halbes Jahr leben wir jetzt schon mit Corona. Und trotzdem haben nach wie vor viele Angst vor der Zukunft. Angst ist ein Impuls, den uns die Evolution mitgegeben hat, damit wir in Gefahrensituationen kämpfen oder flüchten. Eigentlich ist es ein Energieimpuls, der grundlegend positiv ist. Er kann uns wach und aufmerksam machen. Wenn wir aber verängstigt sind, dann konstruieren wir die ganze Welt einschließlich uns als negativ. Verängstigung macht uns zu einem Zombie, wir können gar nicht mehr auf die Welt reagieren. Das ist auch der Punkt, an dem die Verschwörungstheorien anfangen zu wuchern. Letztendlich sind das nur die Begründungen für erlebte Hilflosigkeit, die irgendwo im Absurden liegen. Welche Rolle hat da die Politik? Es gab zwei grundsätzliche Gesellschafts-Strategien gegenüber Corona. Das eine ist eine integrative und eine vernünftige Haltung. Den meisten europäischen Ländern, gerade in den kleinen Ländern, ist es eigentlich ganz gut gelungen, die Gesellschaft zusammenzuhalten und dadurch auch dem Virus entgegenzutreten. Wenn wir daran denken, wer am besten aus der Krise herauskommen ist, waren das oft von Frauen regierte Länder - wie Neuseeland, Dänemark oder auch Finnland. Es gab aber auch andere Länder, in denen die Leugnung speziell von der Spitze der Politik ausging. Und das hat fatale Konsequenzen. Dadurch verstärkt natürlich eine solche Epidemie gesellschaftliche Spaltungen. Ist es nicht auch die Angst vor dem Unbekannten? Ja, aber das Unbekannte kann erforscht werden. Am Anfang haben wir sehr wenig über den Virus gewusst. Da ist es verständlich, dass wir panisch geworden sind. Heute wissen wir relativ viel und können ungefähr voraussagen, wohin sich das entwickeln wird. Eine konkretere Angst: Viele Bremer sorgen sich, ob der Präsenz-Unterricht in Schulen die richtige Entscheidung war. Wie kann man mit solchen Ängsten ganz praktisch umgehen? Man darf nicht Informationsvermittlung mit Lernen verwechseln. Informationsvermittlung kann man in der Tat durch diverse Medien machen. Doch Lernen ist etwas Ganzheitliches, bei dem Menschen sich in einem Beziehungsverhältnis begegnen und anregen. Eine Beziehung braucht auch einen Raum, und dieser kann nur begrenzt virtuell sein. Es geht darum, herauszufinden, wo Online sinnvoll ist und wo wir den Menschen brauchen. Meine These ist, dass wir nach dieser Krise doch erheblich mehr wissen werden, wie Digitalisierung an Schulen sinnvoll menschlich funktionieren kann. Keiner kann die Zukunft wirklich voraussagen, aber wie können wir die Angst vor ihr verlieren? Heute sind zwei diametrale Zukunftsbilder dominant: Einerseits die Idee des Weltuntergangs, des "Immer Schlechter", der kommenden Apokalypse. Viele Menschen sind extrem verängstigt und negativ. Und auf der anderen Seite die technische Erlösungsvision durch Technologie. Dafür steht die Digital-Utopie: Künstliche Intelligenz wird uns von allen menschlichen Problemen erlösen. Das ist eine Art Erlösungs-Religion im technologischen Gewand. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass beides nicht stimmt. Weder wird die Welt untergehen noch wird Technologie alles lösen. Das heißt, wir brauchen einen Neustart in unseren Zukunftsvisionen. Welche Erkenntnisse sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig? Und was hilft uns für den Blick nach vorn? Im Gegensatz zur Finanzkrise, die nur manche getroffen hat, sind von dieser Krise und der damit verbundenen existenziellen Erfahrung von Verwundbarkeit alle Menschen betroffen. Einerseits schockt uns das, macht uns fertig und setzt uns zu. Auf der anderen Seite ist es, wenn man diese Erfahrung annimmt, erhellend. Wenn man die eigene Verletzlichkeit als Mensch bejaht, dann kommt man besser mit einer unruhigen und herausfordernden Welt zurecht. Meine These ist, dass wir dadurch in der Lage sind, besser über andere Gefahren nachzudenken und nachzufühlen. Ich glaube, es geht hier ganz stark um Gefühle. Ihre Regnose war erstaunlich konkret. Würden sie sich jetzt wieder in die Zukunft beamen - sagen wir ins Jahr 2021: Was wären dann möglicherweise Erkenntnisse? Im nächsten Sommer wird sich das Krankheitsgeschehen normalisiert haben. Ich glaube aber, dass wir dann in einer anderen Kultur leben. Das heißt nicht, dass alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Aber ich glaube, dass eine größere Nachdenklichkeit herrschen wird, dass wir reifere und erwachsenere Fragen stellen. Es sieht so aus, als ob die alte Zeit nicht wiederkommen würde. AutorinDieses Thema im Programm: buten un binnen, 29. August 2020, 19:30 Uhr
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