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James Rhodes: „Musik hat mir das Leben gerettet"

James Rhodes ist ein Missbrauchsopfer, seine Helden sind Bach, Beethoven und Busoni. Heute stellt sich der Pianist in Berlin vor.


Einige nennen ihn einen gefallenen Engel, andere einen Rockstar der Klassik. "Es ist nun mal eine Tatsache, dass die Musik mir das Leben gerettet hat. Sie leistet Gesellschaft, wo keine ist, schenkt Klarheit, wo Verwirrung herrscht, Trost, wo Verzweiflung ist, und reine, hoch dosierte Energie, wenn man sich leer, gebrochen und erschöpft fühlt." Der britische Pianist James Rhodes wurde als Kind von seinem Sportlehrer missbraucht, suchte später immer wieder seine persönlichen Schmerzgrenzen: Drogen, Suizidversuch, Alkoholabhängigkeit - bis er seine Rettung im Klavierspiel fand.

Am Montagabend gibt der gebürtige Londoner (41) sein Berlin-Debüt im Heimathafen Neukölln. Statt eines mehrstündigen Konzertes, in dem Stücke aneinandergereiht sind wie Perlen an der Schnur, spricht Rhodes lieber mit seinen Zuhörern. Bevor er etwas spielt, erzählt er, was ihn bewegt, was den Komponisten trieb, als er das Stück komponierte. Dabei tritt er meistens in Jeans und Turnschuhen auf, Getränke dürfen von den Zuschauern mit in den Saal mitgebracht werden.

Der Name Rachmaninow ist auf seinen Arm tätowiert

Was wie ein Versuch klingt, die Klassik in einem modernen Gewand zu präsentieren, ist genau das Gegenteil: Rhodes hasst Cross-Over, hasst es, wenn versucht wird, Klassik aufzupeppen. Seine Helden sind Bach, Beethoven, Chopin. Der Name des russischen Komponisten Sergej Rachmaninow prangt auf seinem rechten Arm, in kyrillischen Schriftzeichen und schwarzen Lettern.

"Wenn Goethe recht hatte und Architektur tatsächlich ,erstarrte Musik' ist, dann ist die Chaconne eine magische Kombination aus dem Taj Mahal, dem Louvre und der St.-Paul's-Kathe­drale", schreibt er in seiner Biografie "Der Klang der Wut". Die Chaconne aus der Partita Nr. 2 für Solo-Violine, die Busoni für Klavier arrangiert hat, ist für den Briten die bedeutendste Komposition. In einem Interview mit der Zeitschrift "Brandeins" sagte er: "Während der Vergewaltigungen schwebte ein Teil meiner Seele weg. Mit der Chaconne schwebte ich auch weg, aber auf eine gute Art. Ohne Angst."

2008 lernte er durch das Stück seinen Manager kennen, das war in der Warteschlange eines Coffeeshops. Er sprach den Fremden an, der nur ein klassisches Stück kannte, die Chaconne von Bach. Rhodes fragte ihn, ob er ihm das Stück vorspielen dürfe, erzählte ihm auf dem Weg zum nahe liegenden Steinway-Geschäft alles, was er über den Komponisten und das Stück wusste. So entstand die Idee, dass Rhodes auf der Bühne über die Musik reden solle, wie er es bei seinem Manager getan hatte. Rhodes will damit Menschen, die sonst wenig Berührungspunkte mit der klassischen Musik haben, den Zugang ermöglichen.

Erst mit zehn Jahren begann er Klavier zu spielen. Er nutzte jede Schulpause, um sich das Spiel in den Proberäumen beizubringen, ging schließlich als mittelmäßiger Klavierspieler aus der Schulzeit hervor. Nach diversen Klinikaufenthalten, einem abgeschlossenen Psychologie-Studium, einer zerbrochenen Ehe und zehn Jahren des Nichtspielens besorgte er sich die Nummer des Agenten von Grigori Sokolow, Franco Panozzo, der in Verona lebt.

Gemeinsam wollten sie ein Londoner Büro öffnen, aber zuerst sollte Rhodes nach Verona kommen. Dort fragte ihn Panozzo, ob er denn Klavier spielen könne und bittet ihn schließlich vorzuspielen. Rhodes spielte ein Stück von Chopin, woraufhin Panazzo ihm Klavierunterricht bei dem Italiener Edoardo Strabbioli organisiert. "Er war einer der Leute, die mein Leben für immer veränderten. Der brachialste, aggressivste, arroganteste, diktatorischste Dreckskerl, dem ich je begegnet bin", schreibt Rhodes über seinen Klavierlehrer. "Der perfekte Lehrer für jemanden wie mich, der faul war, undiszipliniert, schlecht vorbereitet und überenthusiastisch."

Hört man sich aktuell Rhodes' Aufnahmen an, darf man zweifelsfrei konstatieren: Er ist ein wunderbarer Pianist. Sie sind von einem besonderen Tiefgang, einer außergewöhnlichen Leidenschaft, ja Emotionalität. Die Konzerte erfüllen ihn, wie er selbst schreibt.

Beim Musikmachen wird der Pianist von Ticks begleitet

Doch begleiten ihn dabei auch die Ticks, die mit dem Missbrauch begannen. "Ich werde versuchen, bis zu einer lauteren Stelle zu warten, bevor ich quiekse, damit die Leute das nicht hören. Ich versuche (vergeblich) das als Künstlerschrullen zu verkaufen, damit die Leute nicht stutzig werden", schreibt er in seinem Buch. Durch seine "dissoziative Identitätsstörung" kommt es manchmal zu Gedächtnislücken. "Praktisch bedeutet das, dass ich 13 Personen zur Verfügung habe, die, wann sie und wie sie auch erforderlich sind, den Job von einer erledigen", beschreibt er sie.

Vielleicht liegt es daran, dass er zum Ende des Buches vor allen Dingen über seine Musik redet, vielleicht aber auch daran, dass er ruhiger, friedvoller geworden ist. Auf den letzten Seiten seiner Biografie verändert sich die Sprache, wird schöner, weniger obszön. Man hat den Eindruck, dass Rhodes, der als Kind jahrelang von seinem Sportlehrer vergewaltigt wurde, sich mit seiner Biografie einen Teil der Wut vom Herzen geschrieben hat.

Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Str. 141, Neukölln. Tel. 301068085, Am 10.10., 21 Uhr, Tickets ab 35 EuroJames Rhodes: Der Klang der Wut, Nagel & Kimche Verlag, 320 Seiten, 22,90 Euro

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