Jeans, Shirt und Turnschuhe - im dezenten Outfit betreten sie die Bühne, während über ihnen Raketen in den hellblauen, wolkenlosen Himmel steigen und Konfetti durch die Luft weht. Das Publikum ist wie in Trance, niemanden hält es auf den Sitzen. Coldplay geben an diesem Abend alles: reichlich Hits, Lichter und Flaggen.
"A Head full of Dreams" ist ihre erste Welttour seit 2012, die von über drei Millionen Fans auf fünf Kontinenten besucht wurde. Noch am Wochenende hat die Band beim Festival in Glastonbury, England, gespielt, als Headliner neben Adele und Muse.
Sie gehört zu den Großen dieses Jahrzehnts, zu denen, die man einmal live gesehen haben sollte. Die rund 70.000 Plätze im Olympiastadion sind entsprechend gut gefüllt. Der zu Beginn blecherne Sound scheint niemanden zu stören. Das Publikum feiert.
Sänger Chris Martin sucht die Nähe zum PublikumWährend die am Eingang verteilten Lichterbänder farbenfroh an den Armen der Zuhörer blinken, hängt Chris Martin eine deutsche Flagge über sein Mikrofon. Er singt einen der großen Hits, "Yellow", und zieht sich die Nationalfarben über den Kopf. Wenig später wird die Deutschlandfahne durch die türkische ersetzt, auf dem Piano ausgebreitet und der Song "Everglow" den Opfern der Anschläge in Istanbul gewidmet.
Um Politik kommt man auch an diesem Abend nicht herum. Als Martin sagt, er freue sich, dass man sie als Briten in Deutschland so herzlich empfange, fürchtet man schon ein Brexit-Statement. Das Politische wirkt etwas fehl am Platz in der sonst so kunterbunten Coldplay-Welt.
"We can be heroes", singt Chris Martin ins Mikro, der Schweiß läuft ihm von der Stirn, sein Shirt klebt ihm am Körper. Ein Memorial an den Ausnahmekünstler David Bowie. Doch es klingt zu sehr nach einer Coldplay-Hymne, ein wenig zu perfekt, zu angepasst.
In den Olymp der Coverversionen wird diese nicht eingehen. Dann beginnen die Lichter wieder zu blinken. Blumen liegen auf dem Klavier, Mädchen hüpfen auf ihren Sitzplätzen, Paare liegen sich in den Armen. Die Armbänder scheinen eine nicht enden wollende Euphorie zu verbreiten. 70.000 Köpfe sind voller Träume.
Chris Martin sucht die Nähe zum PublikumEs scheint fast ironisch, als Chris Martin seine Bandmitglieder Jonny Buckland (Gitarre), Will Champion (Drums) und Guy Berryman (Bass) vorstellt. Haben die Vier doch 80 Millionen Tonträger verkauft und wurden mit zahlreiche Echos und Grammys ausgezeichnet. Champion sei der mit den Muskeln, mit Stärke und Ausdauer; Berryman derjenige, der alles zusammenhält. Das wirkt herrlich bodenständig, zugleich herrlich souverän.
Trotz des riesigen Stadions versucht Martin an diesem Abend, Nähe zu seinem Publikum zu schaffen. Er steckt sich die Deutschlandflagge in die hintere Hosentasche, rennt durch die Reihen, spielt auf einem Podest inmitten der Menge. Eigentlich hat er kaum eine Chance, denn es ist ein Abend der Massen: Menschen, Hits und Lichter - bis die Vier die Ballade "Don't panic" anstimmen. Nach wenigen Takten bricht Martin ab.
Lacht, reißt Witze, setzt ein zweites Mal an. Es läuft an diesem Abend nicht alles perfekt, doch das macht die Briten nur noch sympathischer. Und auf einmal ist die Nähe da, das Stadion vergessen. Noch immer versprühen Coldplay jugendlichen Charme. Wenn Martin Klavier spielt, kippelt er mit dem Stuhl wie ein aufgeregter Schüler im Matheunterricht.
Ein wenig Kitsch muss seinDie Vier, man möchte sie fast "Jungs" nennen, wirken wie eine Einheit. Seit 1998 spielen sie gemeinsam, lernten sich in London als Studenten kennen und produzieren seither ein Erfolgsalbum nach dem anderen. "A Head full of Dreams" ist ihre siebte Platte. Und es könnte ihre letzte sein, wie Martin andeutete, als er nach der Veröffentlichung das Album mit dem siebten Band der Harry Potter-Reihe verglich: "Es ist eine Art Vervollständigung."
So ist auch an diesem Abend ein wenig Kitsch dabei, etwa wenn Martin sich auf den Boden legt, gen Himmel schaut und unter gelb-roten Lichtern die Zeilen von "Fix You" singt. Die Menge tanzt, singt, filmt mit. Zum Finale kniet Martin nieder, küsst den Boden, küsst die Flagge. Doch damit nicht genug. "Cause you're a sky full of stars, I'm gonna give you my heart", singt Chris Martin in sein leuchtendes Mikro, während sich eine Galaxie hinter ihm öffnet. Sterne blinken auf einer Leinwand, Planeten drehen sich, Konfetti fliegt durch die Luft.
Der Abend im Olympiastadion ist ein Regenbogenfest, gekrönt mit Luftballons und Feuerwerk. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Dann kommt das Ende, unerwartet. Gerade war man noch auf die beste Weise verloren in der Musik. Zurück in der realen Welt braucht es einen Moment, bis das Publikum erkennt, dass keine Zugabe mehr folgen wird und langsam die Stufen erklimmt. Den Kopf voller Träume.
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