1 subscription and 3 subscribers
Article

Bergkarabach: "Kartoffeln sind jetzt ein Luxusgut"

Mehr als 120.000 Menschen stehen in Bergkarabach vor einer humanitären Katastrophe. Fünf von ihnen erzählen vom Hunger, fehlenden Medikamenten und der Hoffnung auf Hilfe.


Seit dem 12. Dezember blockieren vermeintliche Umweltschützer den Latschin-Korridor und damit die einzig verbliebene Straße, über die sonst Lebensmittel, Hygieneartikel und Medikamente in die Region Bergkarabach gelangen. Die vermeintlichen Aktivisten protestieren nach Angaben des aserbaidschanischen Außenministeriums gegen den umweltschädlichen Goldabbau, den meisten Experten zufolge handelt es sich aber um aserbaidschanische Streitkräfte. Armenien und Aserbaidschan kämpfen seit Jahrzehnten um das Gebiet im Südkaukasus, da die Mehrheit der Bevölkerung armenisch ist, es aber von Aserbaidschan als Teil seines Staatsgebietes betrachtet wird. Seit dem 44-Tage-Krieg im Jahr 2020 regelt ein Vertrag, dass Armenien das Kerngebiet sowie den Latschin-Korridor unter russischer Überwachung weiter kontrolliert. Bei der jetzigen Blockade beschuldigen sich Armenien, Aserbaidschan und Russland gegenseitig, Verhandlungen zu behindern. Sechs Menschen aus Bergkarabach erzählen von leeren Supermarktregalen, vollen Krankenhäusern und dem Gefühl, nicht gesehen zu werden. Manche von ihnen nennen ihre Heimat "Arzach" - gemäß der international nicht anerkannten Republik auf dem Gebiet.


[...]


"Viele Ältere erinnern die leeren Läden an die Sowjetunion"

Gurgen Baghdasaryan (29), Opernsänger und Dozent an einer Musikhochschule in Stepanakert.


Frisches Obst und Gemüse und auch Milchprodukte gibt es eigentlich gar nicht mehr. Kartoffeln sind jetzt ein Luxusgut. Brot bekommt man zumindest in der Stadt in den Läden noch. Und Leute vom Land verkaufen Fleisch, aber das esse ich nicht, weil ich Vegetarier bin. Einkaufen gehen heißt, in verschiedenen Läden zu schauen, was es noch gibt. Wenn da noch ein Stück Käse liegt, ist das Grund zur Freude. Aber man muss sich bei Temperaturen von minus sechs Grad auch in der Stadt in lange Schlangen stellen, um etwa ein paar Eier oder Milch zu bekommen. Was ich eindrücklich finde: Trotz der Kälte bleiben die Menschen untereinander ruhig und solidarisch.

Die Regierung hat angekündigt, dass es ab dem 20. Januar Coupons geben soll, mit denen man zweimal pro Monat ein halbes Kilo Zucker, Nudeln, Reis und Buchweizen pro Person kaufen kann. Schwangere in der Entbindungsklinik sollen zudem Orangen, Tomaten und Gurken von russischen Soldaten bekommen haben. Viele Ältere sagen, dass die Situation sie an die Sowjetunion erinnert, als es in den Märkten auch kaum etwas zu kaufen gab.

Ich versuche das Kulturleben hochzuhalten: Gerade probe ich mit meinen Studenten von der Musikhochschule. Ende Januar wollen wir ein Konzert mit Liedern des bekannten armenischen Chansonsängers Charles Aznavour geben. Auch Theatervorstellungen finden weiter statt. Das hilft den Menschen, zumindest kurzzeitig, die Blockade zu vergessen.

Es gab Proteste gegen die Blockade. Am 25. Dezember war ich mit einem Kollegen von der Musikschule auf einer Demonstration. 75.000 Menschen sollen dort gewesen sein. Das zeigt, auch wenn Aserbaidschan versucht, uns zu vertreiben: Wir sind stark. Wir bleiben in unserer Heimat. Wir wohnen hier. Und Bergkarabach wird immer armenisch sein.


Original