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Musikimperium „made in Schongau"

Im Kirstein-Lager in der alten Möbel-Zentrale wird es eng. Der Chef des Schongauer Musikhauses sucht langfristig eine neue Lösung. Denn die Firma hat sich zu einem der größten deutschen Anbieter von Musikinstrumenten samt Zubehör aufgeschwungen. Das Geheimnis des Erfolgs sind die Eigenmarken und ein florierender Online-Handel.

Schongau/Altenstadt

Das Herz des Musikhauses schlägt im Verborgenen

Doch wer den Chef durch die Hintertür rauf ins Obergeschoss begleitet, betritt eine andere Welt, in der das Herz des Kirstein-Imperiums schlägt: Die Mitarbeiter sitzen an ihren Computern und lotsen die Waren durch Deutschland und Europa. Jedes Instrument und das Zubehör werden vom Hauptlager in Altenstadt auf die Reise geschickt. Das muss schnell gehen, denn Zeit ist Geld: Wie vom Online-Riesen Amazon erwarten auch die Kirstein-Kunden, dass die bestellte Ware möglichst schon am nächsten Tag bei ihnen ist.

Schlechte Bewertungen im Internet tun weh und kosten Geld

Der Wettbewerb ist brutal: Zwei Mitarbeiter sind nur damit beschäftigt, auf ihren Monitoren die Konkurrenz im Auge zu behalten. Senkt einer die Preise, muss Kirstein reagieren. Die Kunden haben sein Wort, dass er mindestens genauso günstig ist wie die Mitbewerber. Im Raum nebenan sitzen weitere junge Damen und Herren mit Headsets auf dem Kopf vor ihren Rechnern und telefonieren. Sie gehören zum Beschwerdemanagement und sind geschult, aufgebrachte Kunden zu besänftigen. „Denn jede schlechte Bewertung tut weh und kostet Geld", weiß Kirstein.

Online-Geschäft ist Grund für den kometenhaften Aufstieg

Das Online-Geschäft des Schongauer Musikhauses ist der Grund für den kometenhaften Aufstieg des Unternehmens, das es mittlerweile auf einen Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro bringt. Viele Schongauer können sich noch gut an die Anfänge erinnern: an den kleinen Laden in der Altstadt, in dem Kirstein 1987 zusammen mit seiner Frau begonnen hatte, Instrumente zu verkaufen. In den Räumen rief er auch sein Musikinstitut ins Leben. Der Beruf des Musikers war dem damals 25-jährigen Pianisten zu anstrengend geworden. Mit seiner legendären Eagles-Coverband, den „Igls", hatte er als Keyboarder mehr als 100 Auftritte pro Jahr.

Schongau wurde zur angesagten Adresse für Musiker

Das Geschäft in der Altstadt lief gut, weil die Kunden den sympathischen und ehrlichen Umgang des Chefs schätzten. Und der sprach sich schnell herum, Schongau wurde zu einer angesagten Adresse für Musiker. Auch das Musikinstitut, das Kirstein nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zur städtischen Musikschule sieht, erfreute sich regem Zulauf. Der Umzug ins Gewerbegebiet Lerchenfeld war nur eine Frage der Zeit. „Erheblich größere Ausstellungs- und Verkaufsflächen mussten her", erinnert sich der 57-Jährige. Und seit etwa zwölf Jahren geht das Geschäft „durch die Decke", freuen sich die Geschäftsführer. Den Erfolg schreibt sich Kirstein nicht allein auf die Fahne. An erster Stelle nennt er neben seinen langjährig „hochengagierten 150 Mitarbeitern" vor allem Roman Thomas. Der 33-Jährige stieg in der Firma vom IT-Mitarbeiter zum Mitgeschäftsführer und Mitgesellschafter auf. „Er zeichnet für den Onlineshop und die Logistik verantwortlich und trug durch seine Kompetenz wesentlich bei, das Unternehmen in diese Größe zu entwickeln", berichtet Kirstein.

Eigenproduktion in China Schlüssel für das Wachstum

Er selbst hatte in China zur richtigen Zeit die richtigen Leute getroffen. Sie rieten ihm dazu, im Reich der Mitte in Eigenproduktion Instrumente fertigen zu lassen, statt wie bis dahin fast ausschließlich die Ware anderer Hersteller zu verkaufen. Kirstein ging das Risiko ein und wurde belohnt: „Hätten wir nicht unsere Eigenprodukte, würde es uns in dieser Form nicht geben", sagt der 57-Jährige stolz.

Blasinstrumente, Gitarren, Geigen, E-Pianos, Schlagzeug, Lautsprecher, Lampen und etliches Musikzubehör kommen mittlerweile aus China und Südkorea. Per Schiff werden pro Jahr 500 Container voll mit Kirstein-Produkten nach Hamburg gebracht. Von dort geht es mit den Lkw in die Lager rund um Schongau. Verkauft wird die Ware dann europaweit an die Kunden des Online-Shops, aber auch direkt im Musikhaus.

Obendrein stehen zwei Großabnehmer bereit: der Internet-Riese Amazon und ein großer deutscher Lebensmittel-Discounter, der Kirsteins Marken regelmäßig im Sortiment führt. Kirstein sagt, es sei ihm wichtig, dass sich jeder ein Instrument leisten könne.

Wertschöpfung ist auch in der Heimat groß

Produziert wird aber auch in Europa. So ist Kirstein an einer Firma in Italien beteiligt, die für ihn Akkordeons herstellt. Der Unternehmer legt großen Wert auf die Tatsache, dass die Wertschöpfung in der Heimat groß ist. 100 zusätzliche Arbeitsplätze (gesamt 150) seien allein in den vergangenen sechs Jahren in Schongau und Altenstadt entstanden; zum Beispiel in den firmeneigenen Werkstätten.

Blasinstrumente aus Asien „werden in ihnen veredelt", erklärt der Firmenchef. Nur so könnten die Instrumente die hohe Qualität erreichen, die die Profis schätzen. Erst kürzlich habe das London Symphony Orchestra „unsere eigene Tuba gekauft", berichtet Kirstein stolz.

Lager in Schongau und Umgebung stoßen an ihre Grenzen

Aus dem Schongauer Musikhaus ist so ein Großunternehmen geworden, das in Schongau mittlerweile an seine Grenzen stößt. Vor allem im Weihnachtsgeschäft waren zuletzt die Lagerflächen knapp. Die 14 000 Quadratmeter in der alten Möbelzentrale in Altenstadt reichten laut Kirstein bei Weitem nicht mehr aus. Auch nicht die zusätzlich angemieteten Hallen in Altenstadt und Schongau. So wich Kirstein zuletzt noch nach Peiting aus und mietete die Räume des ehemaligen Netto-Marktes an der Schongauer Straße an (wir berichteten).

Auf der Suche nach einer großen Lösung

Eine Dauerlösung ist das alles freilich nicht, Kirstein sucht nach einer großen Lösung. Denn neben der Enge ist er auch nicht glücklich darüber, dass die Lagerflächen quer über die Stadt und die Gemeinden verstreut sind. Kirstein möchte am liebsten alles an einem Ort bündeln. Die Standortfrage sei noch völlig offen, betont der Unternehmer. „Wir würden schon bevorzugt hier bleiben, aber wir müssen in ein großes Lager investieren", macht er klar. Die Entscheidung, wohin die Reise geht, soll noch in diesem Jahr fallen.

Neuauflage der Messe „Musiconnect" steht noch in den Sternen

Eine rauschende Premiere feierte im Herbst 2017 die Messe „Musiconnect". Und die Musikinteressierten warten seitdem auf eine Neuauflage des vom Musikhaus Kirstein organisierten Events. Es lockte Gäste aus dem gesamten Freistaat und darüber hinaus nach Schongau und Altenstadt. Schließlich gab es eine Messe dieser Art bis dahin nur in Frankfurt als südlichsten Veranstaltungsort.

Klaus Kirstein hatte das 30. Jubiläum seines Musikhauses zum Anlass der Veranstaltung genommen und eine Wiederholung offen gelassen. Er müsse das Ganze erst einmal sacken lassen, sagte er damals. Der 57-Jährige weiß um die Bedeutung. „Die Musikindustrie bittet uns massiv, es nochmal zu machen", verrät er. Kirstein spricht aber auch von dem „Riesenaufwand", den es bedeutet, eine solche Messe auf die Beine zu stellen.

Fußballplatz hatte gelitten

Dazu kommt, dass Kirstein im Moment gar nicht wüsste, wo er die „Musiconnect" ein zweites Mal veranstalten könnte. 2017 waren die Veranstaltungsorte das Musikhaus selbst und der Fußballplatz in Altenstadt, auf dem ein großes Zelt aufgebaut worden war. Bei strömenden Regen spielten darin unter anderem die Schönegger Almmusikanten und die Stadtkapelle, weit über 1000 Besucher kamen unter anderem mit dem Shuttlebus. Er pendelte zwischen dem Musikhaus in Schongau und dem Fußballplatz in Altenstadt. „Der Fußballplatz hat leider sehr gelitten", weiß Kirstein. Er habe einen ganz schönen Betrag hinlegen müssen, damit das Geläuf der Fußballer wieder bespielbar gemacht werden konnte. Und Kirstein kann es dem TSV natürlich nicht verübeln, dass er sich den Platz nicht ein zweites Mal kaputt treten lassen will. Gänzlich ausschließen, dass es zu einer Neuauflage der Messe kommen wird, will Kirstein aber nicht. Man müsse jetzt aber erstmal die Sache mit dem Lager in den Griff bekommen, sagt der Unternehmer zu dem Mangel an Lagerflächen.

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