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Kinderüberraschung im fünften Monat

Inzwischen nicht mehr zu übersehen: Annas Babybauch.

Annas Hormonstoffwechsel ist gestört. Eine Schwangerschaft galt als unmöglich. Trotz Gewichtszunahme und Rückenschmerzen schöpfte sie keinen Verdacht. Doch die 26-Jährige war im fünften Monat. 


Von Jessica Wagener


Das hier ist eine echte Kinderüberraschung", sagt Anna und streicht schmunzelnd mit der Hand über ihren Kugelbauch. Sie ist am Anfang des siebten Monats und inzwischen sieht man, dass sie schwanger ist. Vor fünf Wochen jedoch wusste niemand, dass da ein Kind unterwegs ist. Auch Anna nicht, denn Nachwuchs war das letzte, was die 26-Jährige erwartete: "Die Chance, dass ich überhaupt je schwanger werden kann, lag bei knapp über null", sagt Anna. Mit 18 Jahren wurde bei ihr das sogenannte PCO-Syndrom entdeckt - eine Störung des Hormonstoffwechsels. "Darum hatte ich weder Eisprung noch Periode. Mein Freund und ich haben seit Jahren nicht verhütet. Meine Gynäkologin meinte, ich könnte nicht regulär schwanger werden."


Ein Irrtum, wie sich kurz nach einem verregneten Sonntag im September herausstellen sollte. Schon beim Aufwärmen vor dem Fußballspiel muss die Hobbykickerin oft auf Toilette. "Ich dachte, ich hätte eine Blasenentzündung und habe mich gefragt, wie ich das 90 Minuten durchhalten soll." Sie hält durch - irgendwie. Und sie fällt - ein paar Mal. "Auf Rasen rutscht man im Regen leicht weg. War aber nicht schlimm. Ich gehe eh nie aggressiv in Zweikämpfe."


Nach dem Spiel fallen unter der Dusche in Siegeslaune die üblichen Sprüche, auch Anna bekommt ihr Fett weg. "Na, du hast aber auch ein bisschen zugelegt", flachst eine Teamkollegin. Anna fühlt sich in der Tat nicht mehr ganz wohl. "Ich war ein wenig runder geworden. Aber das waren so zwei, drei Kilo und mein Gewicht schwankt öfter mal - je nachdem, wie viel oder wenig Sport ich mache." Die andere Spielerin klapst ihr im Vorbeigehen neckend auf die "Plauze". Doch das tut Anna weh. "Ein ganz unangenehmes Gefühl. Irgendwas stimmte nicht." In der Nacht kann sie vor Rückenschmerzen keine Minute schlafen. Sie vermutet eine Nierenbeckenentzündung.



"Da ist nichts. Das geht bei mir gar nicht"

Übermüdet quält sich Anna zur Arbeit in einer Physiotherapiepraxis, kämpft sich durch den Tag - bis ein Kollege sie am Abend zum Arzt schickt. Sie fährt widerwillig ins Krankenhaus und findet das irgendwie albern, die Schmerzen sind im Laufe des Tages weniger geworden. In der Notaufnahme soll Anna einen routinemäßigen Schwangerschaftstest machen. "Da ist nichts. Das geht bei mir gar nicht", sagt sie voller Überzeugung zur Schwester. Die drückt ihr wenig später einen Zettel in die Hand. Darauf steht: "Schwangerschaftstest positiv".


Der Gedanke ist für Anna so absurd, dass sie den Sinn des Satzes erst gar nicht versteht: "Ich dachte, das haben die vielleicht der Ärztin aufgeschrieben, damit sie noch mal genauer nachfragt." Während sie allein im Warteraum sitzt, hat Anna drei Stunden Zeit zu grübeln. Sie rechnet nach - und kommt zu dem Schluss: Baby impossible. "In der Zeit kurz vorher hatten wir keinen Sex. Und ich hätte ja gar nicht auf normalem Wege schwanger werden können, sondern vorher eine Hormontherapie gebraucht."


Als sie schließlich an der Reihe ist, erzählt sie der jungen Gynäkologin vom Fußballspiel, den Schmerzen und Blasenproblemen. Die Ärztin fragt beiläufig: "Sie wissen aber schon, dass Sie schwanger sind?" "Nee", sagt Anna. "Weiß ich nicht."


Die Stimme der Medizinerin wird in Annas Kopf immer leiser. "Sie redete auf mich ein und bei mir lief irgendein Film ab. Ich habe nichts mehr begriffen. Das war wie gegen eine Wand gefahren zu sein." Die Medizinerin ist von der schluchzenden Patientin etwas überfordert und sagt hölzern: "Ich hoffe, Sie freuen sich auch."


Erst der Schock, dann die Freude

Die Freude kommt später, erst einmal steht Anna unter Schock. Wie in Trance taumelt sie zum Ultraschall. Als das Bild auf dem Monitor auftaucht, verliert dann auch die Gynäkologin ihre Contenance. Denn auf dem Bildschirm zeigt sich ein fast fertiges Kind - Finger, Füße, Herz, alles. "Ich konnte nicht mehr reden, ich konnte nicht mehr weinen und auch die Ärztin sagte immer nur 'Oh mein Gott'." Was beide da sehen, ist ein kleines Wunder. "Als wäre das nicht mein Ultraschall. Da wuchs seit fünf Monaten heimlich ein Mensch in meinem Körper heran und man hat es von außen gar nicht gesehen." Das "kleine Schlitzohr", wie Anna ihren ungeborenen Sohn inzwischen liebevoll nennt.


Ob sie denn von der Schwangerschaft wirklich nichts gemerkt habe, will die Gynäkologin wissen. "Nein", sagt Anna. "Mir ging's super. Ich habe noch Sport gemacht. Und ich hab's halt immer mal mit dem Magen, das waren für mich alles keine Symptome. Gut, ich habe ein bisschen zugenommen. Aber mein Gott."


Undercover-Baby - so was passiert doch nur den anderen

Physiotherapeutin Anna runzelt die Stirn. "Ich habe immer gedacht: Die Leute, die nicht merken, dass sie ein Kind in sich tragen, die müssen doch so gar kein Gespür haben. Und jetzt bin ich selbst in dieser Situation. Habe ich wirklich so ein mieses Körpergefühl?"

Rückblickend passt alles zusammen. Dass sie bestimmte Sachen nicht mehr mochte, dass sie geruchsempfindlicher war, dass sie keinen Alkohol mehr trinken wollte, und dass es ihr psychisch nicht so gut ging. Sie war oft erschöpft. "Aber wenn du 40, 50 Stunden die Woche arbeitest, bis du nun mal fertig", sagt Anna.


Die Ärztin verabschiedet sie mit holprigen Glückwünschen, danach steht Anna wie betäubt vor der Notaufnahme. Irgendwann zwischen 22 und 23 Uhr, sie weiß es nicht mehr genau. Sie ruft ihren Freund an, der reagiert handlungsorientiert: "Okay. Bleib wo du bist. Ich hole dich sofort ab." Während sie auf ihn wartet, wählt sie die Nummer ihrer Eltern. "Guck mal, Anna, das ist so groß wie eine Fingerkuppe ...", sagt ihre Mutter. "Fünfter Monat, Mama. Nicht fünfte Woche."


Als ihr Freund ankommt, liegen sich die beiden erst mal lange schweigend in den Armen. "Wir mussten das sacken lassen. Zu Hause hat er erst mal einen Whiskey getrunken auf den Schock. Dann war er stolz und die Freude überwog." Gemeinsam rechnen sie zurück, es muss im Urlaub auf den Philippinen passiert sein.


Gut drei Wochen dauert es, bis Anna sich an die neuen Umstände gewöhnt. Sie lacht: "Und sobald ich es wusste, fing er an zu wachsen und hat sich nicht mehr versteckt. Plötzlich kam der Kugelbauch." Aber wenn sie so lange nichts von dem Kind in ihrem Körper wusste, hat sie ihm dann nicht vielleicht unbewusst geschadet? Nur eine der 1000 Fragen, die Anna nicht aus dem Kopf gehen. Doch der niedergelassene Frauenarzt versichert ihr, dass mit ihrem Baby alles in Ordnung sei: "Er sagte, der Kleine hätte sich wohlgefühlt, sonst hätte ich schon viel früher etwas gemerkt. Der war zufrieden damit, dass ich so aktiv war."

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