Guten Freunden gibt man ein Küsschen - oder doch gleich den ganzen Körper? Warum das Konzept "Freunde mit Extras" seine Tücken hat und wie es sich vielleicht dennoch regeln lässt.
Von Jessica Wagener
"Ich hab' mit ihm geschlafen. Schon drei Mal", trällert meine Freundin Ipunkt beiläufig und lehnt sich ziemlich weit aus dem Fenster. Logisch, anders lässt es sich ja nicht putzen.
"Mit wem?" frage ich, ihr pflichtbewusst das Polierpapier anreichend. War ein strategischer Fehler, sie ausgerechnet an ihrem Herbstputzsonntag spontan zu besuchen. Aber das war meine Nachfrage leider auch. "Mit Tom." Zack! Mir plumpst der Glasreiniger in den Schmodder-Eimer. "Himmel! Bist du wahnsinnig? Ihr seid doch Freunde!" Sie lächelt beschwichtigend durch die Scheibe. "Hab' dich doch nicht so, du Spießerin. Jetzt sind wir eben friends with benefits."
So, so. Freunde mit Extras. Auch eins von diesen Zeitgeistphänomenen. Hat man schon mal gehört, hat man vielleicht schon mal gehabt. Eine Beziehung, die keine ist. Gute Freunde, die unverbindlich miteinander schlafen. Klingt praktisch, geht aber oft in die Hose. Erst so, dann so. Oder?
Klar, vermeintliche Vorteile sind offensichtlich: Die zuweilen ermüdende Suche nach gelegentlichen Sexualpartnern entfällt oder wird zumindest weniger rastlos, man geht nach durchfeierter Nacht gemeinsam nach Hause und muss sich keine Gedanken darüber machen, wie man den nächsten Morgen elegant und halbwegs würdevoll übersteht. Oder diese öden Pizzasonntage. Man kennt den anderen auswendig und braucht keine Energie darauf verschwenden, sich im vorteilhaftesten Licht zu zeigen. Es ist einfach egal - null Erwartungen, null Problemo.
Sein oder ihr PMS, rumliegende Socken, falsch ausgedrückte Zahnpastatuben oder verkehrt herum aufgehängte Klopapierrollen, überall verteilte Kaffeebecher oder Bierflaschen, Nutella oder Nusspli, schrullige Eigenschaften, Eifersucht, Lebensmittelunverträglichkeiten, seine oder ihre neurotische Mutter - alle anstrengenden Seiten einer Beziehung sind kein Thema. Dabei kann man sich nach wie vor den Herzmüll vor die Füße kotzen. Schließlich ist man befreundet. Und wenn es gut läuft, lässt er sie nach dem - rein freundschaftlichen - Geschlechtsverkehr auch mal kurz ihre herbstlichen Eisfüßchen zwischen seinen Schenkeln aufwärmen, bevor beide wieder in ihre Einzelleben schlüpfen. Warum also nicht?
Weil es leider, leider nicht so einfach ist. In vielen Fällen kommen nachts nämlich heimlich diese kleinen Gefühlchen und nähen die Freundschaft enger. Auf einmal ist es nicht mehr egal, dass sie ständig von diesem anderen Typen redet oder er noch ein, zwei ähnliche Arrangements laufen hat. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, er gewöhnt sich auch an andere Menschen. Plötzlich will der eine mehr Extras, weniger Freundschaft. Und der andere nicht. Wenn die Gefühle so aus dem Gleichgewicht geraten, dann wird 's - um es mit Facebook zu sagen - kompliziert.
Das Schlimmste, was man dann machen kann: nichts. So tun, als sei weiterhin alles easy, nur um das Konstrukt nicht zu gefährden oder womöglich uncool zu wirken. Wie ein diesbezüglich recht versierter Freund zu sagen pflegt: "Der Schlüssel ist Offenheit. Man muss immer wieder ganz offen eine Bestandsaufnahme machen, wo man steht. Dann muss auch keiner weinen." Doch damit man dem anderen gegenüber so offen sein kann, muss man zunächst tief und schonungslos in sich selbst hineinschauen. Durch alle Schichten Staub und Schmutz. Und das ist leider fast so schwierig, wie Fenster streifenfrei zu putzen.
Ipunkt balanciert auf der Fensterbank gewagt zwischen dem herbstsonnigen Abgrund da draußen und der geöffneten Scheibe. "Jess, pfeifst du da etwa Klaus Lage?!" Ich gehe grinsend zum singen über: "Tausendmal berührt - tausendmal ist nichts passiert". Ach, die beiden müssen selber wissen, worauf sie sich einlassen. Sie sind erwachsen. Jedenfalls ein bisschen.
Als ich den Kopf drehe, spiegelt sich mein Gesicht im glänzenden Glas. Ich fange einen überraschend ernsten Blick auf. Schuld ist eine vorbeiflatternde Erinnerung: Wäre ich damals früher ehrlich zu mir selbst gewesen - ich wäre rechtzeitig abgesprungen.
Und hätte mir eimerweise Schmerz und unzählige Stunden voller unbeantwortbarer Fragen erspart. Tja. Ich schnappe mir den nächsten Lappen und wische weiter. Auf den besseren Durchblick!
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