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P1 in München: Die gedisste Disco

Das Münchner P1 ist der berühmteste Club der Stadt. Wer sich durch Kundenbewertungen wühlt, glaubt aber, es sei auch einer der schlechtesten. Was soll man davon halten?


+++ In dieser Serie testen wir allerlei, was besonders schlechte Kundenbewertungen bekommt. Denn zu einer Rangliste gehören nicht nur die Top 10, sondern auch die Flop 10. Und ob Top oder Flop, das ist manchmal nur eine Frage des Blickwinkels. +++

Klackerschuhe und Kunstlederkleidchen angelegt, zwei Freundinnen unter die Arme geklemmt, und schon ist man drin im P1, einem Club in München, in den Einlass zu finden angeblich gar nicht so leicht ist. Es ist 1 Uhr an einem Samstag.

Die meisterzählte Geschichte, die weitergetragen wird über den Club im Untergeschoss des Hauses der Kunst, handelt vom Türsteher. Der, so geht die Geschichte, sei in der Gesichtskontrolle gnadenlos. Männergruppen, heißt es, blieben draußen. Wedeln mit dem Porsche-Schlüsselanhänger helfe auch nicht, wenn ihm eine Nase nicht passe. Drei Frauen aber dürften rein, weil Frauenüberschuss eine gute Sache sei. Zumindest das mit den drei Frauen, das wissen wir jetzt, stimmt. Der Türsteher trägt einen leichten Flaum über der Oberlippe und knurrt ein wenig, aber das hält man aus.

Wenn man die Kommentare auf gängigen Bewertungsplattformen liest, wundert es einen angesichts des Legendenstatus, den das P1 innehat, freilich ein wenig, dass der berühmteste Club Münchens auch einer der schlechtesten sein soll. Das P1, in München auch Oanser genannt, bekommt beim Bewertungsportal Yelp insgesamt eine unerfreuliche Gesamtnote. Und bei Tripadvisor, wo das P1 in Ermangelung einer eigenen Kategorie für Clubs in der Liste der Münchner Restaurants aufgeführt wird, steht es auf Platz 2.003 von 2.845; knapp 650 der verzeichneten Etablissements haben geschlossen oder wurden nie dem Prozess einer Kundenbewertung unterzogen. Im P1 finde eine "ABZOCKE" statt, heißt es. Oder dass es "überbewertet" sei. Aber kann es das überhaupt sein, überbewertet, angesichts so vieler schlechter Bewertungen?

Sofas wie Hochsitze

Betritt man den Club, ist man unmittelbar in Glanz gebettet. Das Licht des Eingangsbereichs schafft eine raumschiffartige Anmutung, man geht hindurch wie in ein ausgefalleneres Leben, das ein guter Club verspricht. Innen scheint auf den ersten Blick alles aus spiegelnden Oberflächen zu bestehen, man sieht darin aber nicht sich, vielmehr prangt darauf ein Adidas-Logo. Vielleicht ein Grund, warum die Mannschaft des FC Bayern München hier schon gefeiert hat, die hat immerhin denselben Sponsor. Womöglich waren die Spieler aber auch hier, weil sie das Gefühl so gut kennen, auf einer Tribüne zu stehen und bejubelt zu werden.

Die Exklusivität, die das P1 verspricht, erklärt die Promidichte, von der die zweite Geschichte handelt, die über den Club erzählt wird. Lady Gaga soll schon hier gewesen sein, die Rolling Stones, Puff Daddy, Jennifer Lopez, Paris Hilton, Oliver Kahn, Prinz Albert von Monaco, und im Sommer hat sogar die Partypartei CSU zur After-Work-Party hierher geladen.

Man ist hier als Promi nicht völlig abgeschottet, sondern steht in Blickkontakt mit dem Volk, sodass dieses einen beim Besonders-Sein bewundern, aber nicht volllabern kann. Weitgehend unbehelligt kann sich der Stamm- oder VIP-Gast so in seine reservierte, erhöht liegende Couchecke zurückziehen, die, wie ein Hochsitz auf der Jagd, den Überblick über das freilaufende Wild im Gelände ermöglicht.

Und kaum dass wir einen Hunderter in Gin Tonic und Garderobenchips investiert haben, stehen darin nun also wir und wollen tanzen. Die Musikrichtung Neodisko, eine Mischung aus R'n'B, Rock und Plastic Pop, lädt dazu ein. Beyoncé läuft gleich zweimal. Mein Tanznachbar ist 19.

Sorgfältig gezupft

Er ist keine Ausnahme, der geburtenstärkste Jahrgang auf der Tanzfläche ist an diesem Abend ungefähr der von 1990. Für einen Traditionsclub - das P1 existiert seit 1949 - ist das Publikum erstaunlich jugendlich.

Was wiederum dazu führt, dass einige finden, früher sei der Laden irgendwie besser gewesen. Murat etwa, er ist Ende vierzig; sein Kumpel ist Investmentbanker. Vier Männeraugenbrauen, sorgfältig gezupft. "Früher war das P1 ein Partyschuppen für die Amis, die von der US-Botschaft nebenan rüberkamen", sagt Murat. Daher habe es seinen legendären Ruf. Heute kämen viele Umlandkids, gerade mal volljährig. Er seufzt und bietet zum Trost sich selbst an; er habe eine Wohnung gleich um die Ecke.

Es gibt Clubs, die haben ihre Zeit und machen dann irgendwann wieder zu. Und es gibt Clubs, die werden immer wieder mal renoviert, verteidigen ihren Stil und ihren Ruf aber über Jahrzehnte beharrlich gegen die Welt, die sich um ihn herum weiterdreht, weshalb das immergleiche Publikum nachwächst. Wie gut das P1 seine Gäste im Griff hat und wie es sie erzieht, womöglich sogar ohne dass sie sich belehrt fühlen, zeigt eine Episode aus der Oktoberfestzeit: In jenen Tagen begab es sich, man findet Beweise im Archiv, dass ein Schild am Pult von DJ Scream aufgehängt wurde. Darauf war zu lesen, dass ein Musikwunsch 150 Euro koste, ein schlechter Musikwunsch 300 Euro und der Wunsch, den Wiesn-Hit Atemlos von Helene Fischer zu hören, 1.500 Euro.

Ein Club, der seine Nase in den Wind hält, ist das P1 also nicht. Im Gegenteil, das P1 wählt seine Gäste aus, und die, die unter den Erwählten sind, akzeptieren den vorgegebenen Stil dann auch als ihren eigenen. Der Großteil des Publikums in dieser Nacht besteht aus Einverstandenen, die dafür eine richtig gute Zeit zu haben scheinen.

Inspiration für Mann und Frau

Dass das P1 ein überlegt konzipierter Club ist, der sich nicht beirren lässt, sieht man daran, dass der eigene Stil auch in hinteren Winkeln nicht vernachlässigt wird. Das Design der Outdoor-Lounge etwa, "eine Symbiose aus Industrial und Nature", wie es auf der Homepage heißt, zieht sich bis in die Waschräume. Auf dem Herrenklo etwa hat der Architekt Baumstämme in die Pissoirs eingelassen. "Bin nur mitgegangen, weil ich mir die Toiletten mal anschauen wollte", schreibt ein Besucher. Und, möchte man ihn fragen, hat es sich vielleicht nicht gelohnt? Wer einen Blick riskiert, sieht hier tatsächlich Männer, die an Bäume pinkeln.

Zwischen den Kabinen der Damentoiletten können derweil kleine Fensterluken geöffnet werden, damit Freundinnen beim Plätschern miteinander Umgang pflegen können. Mann wie Frau kommen im P1 also ganz zu sich: Männer pinkeln an Bäume, Frauen gehen zusammen aufs Klo. Wenn Mario Barth einen Club aufmachen würde, täte er gut daran, sich hier vorher Inspiration zu holen.

Das Designkonzept von Natur und Industrie strahlt schließlich auch auf die Gäste aus und setzt sich in den Aufmachungen des männlichen Publikums fort; auf manch harte Naturschale ist eine chemische Ölfrisur gestülpt. Frauen wiederum tragen glitzernde Hotpants, weiße Minikleider und Paillettenjacken und wirken wie aus dem P1-Stylebook. Was anderswo dazu führen würde, dass jemand das Wort von der Bad-Taste-Party bemüht, fügt sich im P1 perfekt ins große Bild.

Um 5 Uhr tritt man hinaus in den Regen. Vor der Tür, nur 200 Meter weiter, rauscht der Eisbach durch den Englischen Garten. Noch bis in den Abend ritten hier im Flutlicht die Eisbachsurfer, die kaum weniger berühmt sind als der nahe Club, ihre knappen Wellenkämme. Man verharrt auf der Brücke, schaut ins Wasser und geht schließlich nach Hause mit dem Wissen, dass München dort, wo das P1 liegt, also jedenfalls ungefähr dort, wirklich ziemlich lässig ist.

Das Beste: Es gibt keinen Stempel aufs Handgelenk gedrückt, weil das P1 (zumindest an diesem Tag) keinen Eintritt kostet.

Bewertung der Onlinebewertungen: ★★★☆☆

P1, Prinzregentenstraße 1, 80538 München. www.p1-club.de
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