Blick auf Leipzig: Streit über Katholikentag
Plötzlich stand Moses auf dem Leipziger Marktplatz. Nicht der leibhaftige Prophet aus der Bibel, sondern sein übergroßes Ebenbild aus Pappmaché verkündete auf einer nachgebauten Steintafel das 11. Gebot: "Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen."
Da wussten viele Bürger nicht mal, dass der 100. Deutsche Katholikentag 2016 in Leipzig gefeiert werden soll. Ganz zu schweigen von der Summe, die das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) bei der Stadt für die Organisation des Festes beantragt hat: eine Million Euro.
Seit Monaten wird in der Leipziger Politik darüber gestritten, heute muss der Stadtrat entscheiden. Soll eine notorisch klamme Stadt, in der sich nur etwas mehr als vier Prozent der Bürger zum katholischen Glauben bekennen, eine Million Euro für den Katholikentag zuschießen?
SPD-Bürgermeister Burkhard Jung hat den Vorschlag eingebracht, die CDU hält die Million für angemessen. Doch der Widerstand ist groß.
Läuft alles planmäßig, wird der Katholikentag 2016 mit einem Gesamtbudget von 9,9 Millionen Euro der teuerste der Geschichte - und die öffentliche Hand soll ihn ebenfalls mit einer Rekordsumme unterstützen. Zusätzlich zu der Million von der Stadt beantragte das ZdK drei Millionen Euro beim Freistaat Sachsen und 500.000 Euro beim Bund.
Millionenbudgets sind für Kirchentage keineswegs ungewöhnlich. Im jährlichen Wechsel findet in einer deutschen Stadt entweder der katholische oder evangelische Kirchentag statt. Üblicherweise liegt der öffentliche Anteil an der Finanzierung der Glaubensfeste zwischen etwa einem Drittel und der Hälfte. Der diesjährige Katholische Kirchentag in Regensburg kostete laut ZdK 8,6 Millionen Euro. Deutlich teurer waren die jüngsten Veranstaltungen der Protestanten: 2011 in Dresden betrug das Finanzvolumen für den Kirchentag 14 Millionen Euro, 2013 in Hamburg sogar 18,5 Millionen Euro.
"Wer eine Party feiern will, soll die auch selbst bezahlen"
In Leipzig machte die Giordano-Bruno-Stiftung am Montag mit ihrem mobilen Moses auf die hohen staatlichen Fördersummen aufmerksam. Die Verwendung öffentlicher Gelder für christliche Events dieser Art sei verfassungswidrig, heißt es auf der Webseite zur Protestaktion. Genauso sehen es die Leipziger Piraten: "Wer eine Party feiern will, soll die auch selbst bezahlen", sagt die designierte Piraten-Stadtratsabgeordnete Ute Elisabeth Gabelmann.
Die Leipziger Grünen legten bereits im Juli einen Kompromissvorschlag vor, nach dem der Kirchentag mit nur 300.000 Euro gefördert werden soll. "Derzeit würde knapp die Hälfte des Kirchentags aus öffentlichen Geldern bezahlt werden. Das halten wir gerade in einer Stadt, die fast 700 Millionen Euro tief in Schulden steckt, für unverhältnismäßig und unverantwortlich", sagt Stadtrat Norman Volger. Die Katholiken hätten sich bewusst eine strukturschwache Region im Osten für ihre Missionierungsveranstaltung ausgesucht, würden aber traurigerweise kein Verständnis für die Situation vor Ort zeigen.
Man nehme die besondere Situation in Leipzig sehr wohl zur Kenntnis, entgegnet Kirchentagsgeschäftsführer Martin Stauch. Das Motto stehe zwar noch nicht fest, aber es würde auf jeden Fall ganz zentral um Menschenwürde gehen. Armut und Ungleichheit würden auf der Caritas-Bühne zum Kirchentag dauerhaft Thema sein, Hartz-IV-Empfänger könnten kostenlose Tickets bekommen.
Die Organisatoren werben nicht nur mit dem Imagefaktor, sondern auch mit finanziellen Vorteilen durch das Glaubensspektakel. Am Ende, so rechnete das ZdK den Volksvertretern jüngst vor, sollen rund neun Millionen Euro in der Stadt "verbleiben": Durch Mieten für städtische Gebäude, durch Tickets für den öffentlichen Nahverkehr, durch den privaten Konsum der Besucher.
"Das ist absolut unrealistische Schönrechnerei", sagt Grünen-Politiker Volger. Beispielsweise könnten die Einnahmen von Hotels und Gastronomie nicht einfach als Gewinn berechnet werden, weil viele Hotel- und Gastronomieketten der Stadt nicht mal Steuern zahlen würden.
Bürgermeister fordert Zeichen der Toleranz
In Leipzig fehlt an vielen Stellen Geld: bei Kitas, Schulen, in der Kultur. Jeder vierte Leipziger ist laut Statistischem Bundesamt von Armut bedroht. Die Schließung von fünf Einrichtungen der Jugendhilfe, die mit rund einer Million ein ganzes Jahr auskommen, wurde Anfang des Jahres nur durch Proteste verhindert.
"Ich weiß nicht, wie ich die Million den Leuten erklären soll. Wir haben leider nichts zu verschenken", sagt Linken-Stadtrat William Grosser. Das sei keine Prinzipienfrage. "Niemand hat was gegen den Katholikentag".
Tatsächlich soll das Projekt den Dialog im schwierigen Verhältnis zwischen der Linken und der Kirche befördern. Im April besuchte der Bischof von Dresden-Meißen die sächsische Landtagsfraktion, in der vergangenen Woche kamen erstmals ZdK-Vertreter mit der Spitze der Linkspartei zum Gespräch im Berliner Karl-Liebknecht-Haus zusammen.
Im Leipziger Stadtrat stellt die Linke gleichauf mit der CDU die größte Fraktion (17 Sitze). Bei der Abstimmung über den Katholikentag werde es wie bei den Grünen keinen Fraktionszwang geben, sagt Grosser. Trotz harscher Kritik scheint eine Mehrheit aus den Stimmen von CDU, SPD und ein paar Ausreißern durchaus möglich.
"Großmut" sei gefragt, schrieb Bürgermeister Jung im Juli. Gerade weil so wenige Leipziger katholisch sind, sei nun ein Zeichen der "Toleranz" gegenüber der "religiösen Minderheit" gefragt. Die soll sich nach seinem Wunsch in einer Million Euro ausdrücken.
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