Sie haben lange gekämpft, aber sie dürfen nicht bleiben. Die Flüchtlinge vom Oranienplatz in Berlin. Nach über einem Jahr hatten sie im April ihre Zelte dort verlassen. Denn die Berliner Behörden hatten eine "wohlwollende Prüfung" ihrer Fälle zugesagt und sie in Heimen und Hostels untergebracht. Am Dienstag wurden sie buchstäblich auf die Straße gesetzt und aufgefordert in die Bundesländer zurückzukehren, wo ihr Asylverfahren läuft.
von Jennifer Stange, MDR INFO
Sale ist 19 Jahre alt und kommt aus Niger, einem der ärmsten Länder Afrikas. Sale kennt dieses Land kaum, denn schon als Kind ist er zum Arbeiten nach Libyen gegangen. Solange, bis dort 2011 der Bürgerkrieg ausbrach. Seitdem ist Sale auf der Flucht. Eine Station dieser nicht enden wollenden Reise ist Krumpa bei Merseburg: "Jeden Monat muss ich zurück nach Krumpa, weil mein Lager hier ist. Ich komme regelmäßig her, um zu gucken, ob ich Post habe." Manchmal müsse Sale seinen Ausweis erneuern. Auch würde er des Geldes wegen kommen.
Tristesse bestimmt den AlltagAm letzten Dienstag im Monat müssen sich alle Asylbewerber des Landkreises ihr Geld für den nächsten Monat beim Sozialamt in Merseburg abholen. Eine Menschenschlange steht bis raus vor die Tür. Sale ist einer von ihnen. Offiziell ist er im Flüchtlingslager Krumpa untergebracht, doch dort hielt er es nicht aus. Ewige, eintönige Tagesabläufe bestimmen seinen Alltag: "Wenn du in Krumpa bist, gibt es nichts zu tun. Wir haben keine Schule, keinen Deutschkurs, was ich machen kann, ist Essen und Schlafen. Das macht die Leute manchmal verrückt".
Sales nicht endende Reise29.08.2014, 05:00 Uhr | 02:52 min
Sale lebt in Berlin, wie er erzählt. Bis April campierte er über ein Jahr auf dem Oranienplatz. Dann hatten sich Sale und mehr als 100 weitere Flüchltinge auf einen Deal mit den Berliner Behörden eingelassen. Er hat das Zeltcamp verlassen und ist in ein Achtbettzimmer in einem Hostel gezogen, damit sein Fall neu geprüft wird, sein Asylantrag vielleicht in Berlin entschieden wird und er wenigestens bis dahin in der Stadt bleiben darf. Am Wochenende wurde über die Medien das Ergebnis bekannt. Die Stadt fühlt sich doch nicht zuständig für diese Flüchltinge. Schon am Dienstag sollten sie ihre Unterkünfte verlassen. Flüchtlingsinitiativen, Diakonie und Caritas empörten sich über dieses Vorgehen. Sale gibt sich ungerührt. Er hat das Bett im Hostel geräumt, weiss zwar nicht, wo er jetzt schlafen soll, aber er will trotzdem in Berlin bleiben. Dort habe er immerhin wichtige Dinge zu erledigen, einen Deutschkurs zu besuchen und ein Filmprojekt, wie er sagt.
Ein Flüchtlingsprojekt zum "Begegnen"Noch sitzt Sale im "Cafe International". Das befindet sich in der Alten Domaphoteke in Merseburg. Hier schlürft er seinen Tee. Einmal im Monat, immer am Zahltag, können sich hier die Flüchtlinge aus der Region treffen. Max Pankonin hatte die Idee für dieses Projekt, er studiert soziale Arbeit an der Hochschule in Merseburg und fasst den Grundgedanken des Projekts zusammen: "Die Leute sollen sich hier begegnen, sollen sich treffen, miteinander ins Gespräch kommen. Zusammen auch Probleme angehen, diese vielleicht sogar überwinden."
Eingeschränkte Freiheit in Berlin?Sale steht auf, er will in Berlin für seine Freiheit kämpfen, sagt er, und geht. Draußen fährt ein Auto mit lautem Hupen und eisernem Kreuz auf der Motorhaube an ihm vorbei. Nazis, glaubt Max. Anfang des Jahres hatte es in Merseburg mehrere gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlinge gegeben. Auch deshalb würden viele von hier verschwinden wollen:"Ich habe sehr großes Verständnis dafür, dass Menschen sich frei bewegen wollen und ich habe noch viel größeres Verständnis für Leute, die in dieser Region hier leben müssen, zumal die, die in Krumpa 13 Kilometer von der nächstgrößeren Stadt entfernt leben, einfach kaum Zugang zum normalen gesellschaftlichen Leben haben".
Etwa 150 Leute waren an diesem Tag im "Cafe International". Auf einen Kaffee oder Tee, zum Plaudern und um herauszufinden, was man ihnen sagen will in den Briefen, die ihnen Behörden in Beamtendeutsch geschrieben haben.