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Vor dem Sommer sind alle gleich

Am Ufer der Isar treffen sich alle - ein Paradies, mitten in der Stadt. (Foto: Robert Haas)

Ja, es gibt Arme und Reiche in dieser Stadt, die Gegensätze sind groß. Doch wenn es warm wird, verschwimmen sie zumindest ein bisschen. Eine Liebeserklärung an diese Jahreszeit.

Es gibt eine Jahreszeit in meiner geliebten und manchmal auch verhassten Stadt, die versöhnlich stimmt. Die mich die dickbäuchigen und marken-bebrillten Hugo-Trinker im Tambosi am Odeons-platz anlächeln lässt. Der Sommer! Ach, der Münchner Sommer! München ist bunt. München ist vielfältig. Im Sommer, da kann ich es spüren, wenn ich an der Isar sitze, zwischen Reichenbach- und Wittelsbacherbrücke, an unserem wunderschönen städtischen Gebirgsbach. Er lockt sie alle an: weg von den Schreibtischen, weg aus der teuren Innenstadt, weg aus der Studentenwohnung. An den grünen Ufern mitten in der Stadt treffen sich alle wieder, mit einem Bier in der Hand. Abwertende Blicke gibt es hier nicht. Nicht im Sommer, nicht in München, nicht an der Isar.

Die Bierflasche wird zum Gleichstellungsmerkmal. Die Isar trägt mit ihrer Strömung lästige Gedanken hinfort. Die ganz hartnäckigen werden spätestens vom zweiten Bier vernichtet. Nach dem dritten stört mich eigentlich nichts mehr, nicht die hektische Musik von den Jugendlichen nebenan, die Hunde, die sich quer über mein Handtuch jagen, die gebräunten Menschen, die auf Decken mit Alu-Unterlage sitzen und bei Hugo aus der vorgemischten Käfer-Flasche über Immobilien-Anlagen sprechen.

Mittendrin steht Mama Afrika, die ihr Bier aus der mobilen Kühlbox verteilt. Und wenn die Pfandsammler schon einen erfolgreichen Streifzug hinter sich haben, stellen auch sie sich zu den anderen in die Isarfluten, strecken ihre Gesichter in die Sonne und genießen diesen Ort.

Wenn ich meinen Vater in Hamburg besuche, werde ich immer wieder gezwungen, mein München zu verteidigen. Denn am nordischen Stammtisch rollen sich vielen schon die Zehennägel auf, wenn es um München geht. Früher habe ich in solchen Situationen noch gesagt: München sei doch so gemütlich, eine Stadt mit Dorf-Charakter, oder ein Dorf mit Stadt-Charakter, das gibt es nur einmal, habe ich gesagt. Jetzt weiß ich auch, was ich das nächste Mal im hohen Norden sagen muss: Ich muss vom Münchner Sommer erzählen.

Erzählen, was er kann. Der Münchner Sommer, der die Unterschiede zwischen mir und den Tambosi-Gästen auszublenden vermag. Der Sommer, in dem nichts besser schmeckt, als eine kühle Halbe - diesen großen Luxus zum kleinen Preis, den sich alle im Münchner Sommer gemeinsam gönnen. Gemeinsam an der Isar, gemeinsam am Schwabinger Bach, gemeinsam im Englischen Garten. Student oder erfolgreicher Unternehmer? Egal. Der Sommer macht uns zu Nachbarn. Handtuch-Nachbarn, Nachbarn im Geiste, Gleichgesinnte im Großstadt-Paradies.

Jetzt ist es wieder soweit: Ich sitze mittendrin, mit meinen Freunden. Drei Halbe dabei, die Isar vor der Nase, die Sonne im Gesicht. Ich blicke mich um. Neben uns hat sich eine Rentner-Truppe eingerichtet mit Liegestühlen, Sonnenschirm, einem kleinen Tisch zum Schafkopfen, mit einem Bierkasten in Reichweite, gekühlt. Ich lächle. Meine Freundin folgt meinem Blick und sagt: "Die sind jeden Tag da, den ganzen Sommer lang, so wie wir." Sie grinst breit. "So wie wir", sage ich. Das sind Momente, die kennt kein Hamburger, kein Berliner.

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