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Urlaub mit Depressionen: Wann er schadet - und wann er hilft

Lange galt: Ein Urlaub verbessert die Stimmung bei depressiven Menschen nicht, sondern kann das Leid sogar verschlimmern. Doch es gibt auch gute Argumente, die dafür sprechen, mit einer Depression zu verreisen. Eine Psychologin und ein Professor über die Gefahren und Nutzen - und was Betroffene unbedingt beachten sollten


Wer eine Depression hat, wünscht sich nur eins: Die negativen Gedanken sollen verstummen, der eigene Kopf soll endlich wieder positiv und optimistisch gestimmt sein. Helfen würde auch, einfach mal an gar nichts zu denken. 

Endlich mal abschalten – gesunde Menschen schaffen das im Urlaub. Sie fahren an einen fremden Ort, der sie vom Alltagsstress zuhause ablenkt. Doch hilft ein Urlaub auch bei Depressionen? 72 Prozent der Deutschen glauben das, ergab eine Umfrage unter 5050 Teilnehmenden für das Deutschland Barometer Depression (2022). Doch wer schon einmal eine Depression hatte, weiß, dass ein Urlaub nicht zwingend die Lösung ist. Man nimmt sich selbst immer mit, hat seine Gedanken im Gepäck. Viele Psycholog*innen raten sogar klar davon ab, mit einer Depression in den Urlaub zu fahren. Weil diese sich wegen des Urlaubs sogar verschlimmern könnte.

Reisen mit Depressionen: Im Urlaub fällt das Unglück nochmal mehr auf

Eine Depression verändert die Wahrnehmung der Betroffenen. Sie empfinden wenig Sinn und Wert in allem, was sie erleben. Wenn Menschen mit einer schweren Depression auf Mallorca oder den Malediven am Strand sitzen, kann objektiv gesehen alles noch so fantastisch sein – das Hotel, die Landschaft, das Essen. "Doch die Betroffenen sind häufig nicht in der Lage, all die positiven Aspekte adäquat wahrzunehmen und emotional zu verarbeiten", sagt Professor Danzer. Der Experte leitet das Klinikum Schloss Lütgenhof, in der unter anderem depressiv Erkrankte behandelt werden. 

"Manche Urlaubssituation kann eine depressive Erkrankung sogar verschlimmern", sagt Danzer. "Wer bereits Mühe hat, seinen Alltag zu bewältigen, fühlt sich in einem fremden Land nicht selten zusätzlich überfordert." Hinzu kommt: In den Urlaub fährt man selten alleine, schon gar nicht mit einer Depression. Freunde oder Familienmitglieder, die mitgefahren sind, sind dann gut drauf. "Dadurch macht sich das eigene depressiv Verstimmtsein nochmals drastischer bemerkbar."

Außerdem würden Partner im Urlaub von den Betroffenen ein Plus an Nähe und eventueller Intimität erwarten, die diese aufgrund ihrer Erkrankung nicht immer geben könnten. Die Folge: Betroffene fühlten sie wiederholt unverstanden – und dadurch einsam.

Infokasten Professor

"Ein Urlaub mit Depressionen ist möglich – und kann auch gut tun"

Doch es gibt auch Gegenstimmen. Die Psychologin Barbara Horvatits-Ebner ermuntert manche ihrer depressiven Patienten sogar dazu, zu verreisen. "Ich würde nie sagen, man solle in den Urlaub fahren, wenn man depressiv ist. Ich will einfach mit dem Kredo Schluss machen, dass es praktisch verboten ist, mit Depressionen zu verreisen, weil es zu sehr stresst. Denn ein Urlaub mit Depressionen ist möglich – und kann auch gut tun", sagt die Psychologin. Bei leichten oder mittelschweren Depressionen sei ein Urlaub durchaus machbar – wenn man ihn sich zutraue.

Tatsächlich gibt es mittlerweile einige Studien, die zeigen, dass es für Betroffene einen Benefit bringen kann, wegzufahren. Eine Studie aus Australien (2010) zeigt etwa, dass viele der Befragten Reisen als Identitätssuche abseits ihrer Depression empfunden haben. Nach dem Motto: Ich bin mehr als meine Erkrankung. An der Studie nahmen 80 Frauen zwischen 20 und 75 Jahren teil. Das Reisen half vielen Frauen, aus dem defizit-orientierten Denken herauszukommen, welches typisch für eine Depression ist: Ich kann das nicht. Ich schaffe das nicht.

Statt sich von diesen Sätzen zuhause niederdrücken zu lassen, merkten die Frauen unterwegs stattdessen, was sie trotz ihrer Depression alles können. Das gab ihnen mehr Selbstbewusstsein. "Genau das ist bei Depressionen so wichtig: Schöne Erlebnisse zu haben und positive Erfahrungen zu machen", sagt Horvatits-Ebner. Sie rät Betroffenen, selbstbestimmt etwas Neues auszuprobieren, wenn sie es körperlich und psychisch schaffen.

Infokasten Psychologin

Darum ist Reisen gut für die Psyche

Reisen kann aus verschiedenen Gründen gut für die Psyche sein. "Sonne und Licht stellen in gewisser Weise natürliche Antidepressiva dar", sagt Professor Danzer. 

Horvatits-Ebner sieht die Vorteile vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. "Der soziale Austausch tut uns gut, wir knüpfen auf Reisen neue Kontakte. Dadurch bekommen wir positives soziales Feedback", sagt die Psychologin. Außerdem sei Reisen auch immer ein Abenteuer, bei dem kleinere oder größere Herausforderungen zu meistern seien. Beides stärke den Selbstwert.

Eine Pause vom Alltag zu haben, der einen zuhause belaste (Rechnungen, Probleme in der Familie, beruflicher Stress), könne helfen, durchzuschnaufen. "Die neue Umgebung regt uns zum Reflektieren an, der Abstand bringt uns zum Nachdenken. So können wir objektiver auf uns und unser Leben blicken." Menschen mit Depressionen könnten dadurch Antworten auf die Fragen finden: Was fehlt mir? Und was brauche ich, um wieder glücklicher zu sein?

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Urlaub mit Depressionen: Wohin – und wie lange?

Doch wie weit weg sollte man mit einer Depression reisen? Eine Studie gab Hinweise darauf, dass es eine Depression verstärken kann, wenn man gen Westen reist, also in Richtung USA. Grund dafür ist vermutlich die Zeitumstellung, welche die Reisenden zusätzlich zur Depression stressen könnte. "Eine Veränderung des Schlaf-Wach-Rhythmus kann bei Erkrankten zu einer Verschlechterung der Depression führen oder sie auslösen," gibt Professor Danzer zu bedenken. Eine Fernreise belastet außerdem das Immunsystem. Solch eine Veränderung trägt per se zu einer Verschlechterung der Erkrankung bei. 

Die Psychologin Horvatits-Ebner rät ohnehin dazu, nicht zu weit und zu lange wegzufahren. Und erstmal auszuprobieren, wie wohl man sich unterwegs fühlt. "Falls es einem sehr schlecht geht, kann man sich einen Flug oder einen Zug buchen, oder man steigt ins Auto und ist schnell wieder zuhause." Das gebe Sicherheit, und diese sei, zusammen mit Schutz und Geborgenheit, sehr wichtig für psychisch Erkrankte. "Wenn man diesen Urlaub gut gemeistert hat, kann man das nächste Mal weiter wegfahren."

Wichtig sei es generell, vor dem Urlaub die Erwartungshaltung realistisch einzudämmen. Und sich klarzumachen: Reisen ist kein Allheilmittel. "Wenn man zwei Wochen irgendwohin fährt, dann ist man anschließend nicht zwingend super happy und alles ist wieder gut," sagt Horvatits-Ebner. Man sollte sich vorher darauf einstellen, dass es auch im Urlaub schlechte Tage gebe. Das sei auch okay. Auf solche Momente sollte man sich vor der Abreise vorbereiten. Und sich Strategien überlegen, was man in solchen Situationen tun kann: Wen rufe ich an? Einen Freund oder einen Therapeuten? Wie lenke ich mich schnell ab?

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Urlaub mit einer leichten, mittelschweren und schweren Depression: Ja oder nein?

Menschen mit einer schweren Depression schaffen es häufig nicht mal, aus dem Bett zu kommen. Sie sind müde und erschöpft, fragen sich, wozu sie überhaupt aufstehen sollen. Schließlich ist ohnehin alles traurig und sinnlos. "Wer gerade alles Schwarz sieht, schafft so eine Reise gar nicht", sagt die Psychologin Horvatits-Ebner. 

Auch Professor Danzer rät in so einem seelischen Zustand klar von einem Urlaub ab: "Eine schwere Depression ist eine ernste Erkrankung. Man rät auch keinem Menschen mit einem Herzleiden, einfach mal wegzufahren." Jemand, der krank sei, brauche keinen Urlaub, sondern eine ärztliche Behandlung. Und eine adäquate medizinische Versorgung sei in einem fernen Land nicht zwingend gegeben. "Man braucht zusätzlich zu den Medikamenten auch einen Psychologen oder Psychiater, mit dem man dieselbe Sprache spricht."

Mit Depressionen zu verreisen, sei wenn überhaupt nur für Menschen mit leichten oder mittelschweren Depressionen möglich, sagt Professor Danzer. Ob diese Menschen verreisen können, würde er immer vom Individuum abhängig machen. Voraussetzung sei generell, dass ein depressiv Erkrankter eine Therapie mit einem Psychotherapeuten mache und Antidepressiva einnehme, die von einem Psychiater verschrieben wurden. Diese sollten bereits mehrere Wochen eingenommen werden, damit sie zuverlässig wirken. "Wenn sich der Patient dann drei Tage lang besser fühlt, finde ich das alles andere als stabil", sagt der Experte. Fühle sich der Betroffene drei Monate lang wieder belastbar, hätte er nichts mehr gegen einen Urlaub einzuwenden.

 


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