Der Prozess zur NSU-Mordserie um Beate Zschäpe und dem "Nationalsozialistischen Untergrund - NSU" vor dem Münchener Oberlandesgericht frustriert und enttäuscht die Öffentlichkeit. Der Rhythmus der zwei bis drei Verhandlungstage pro Woche zieht sich nun schon über zwei Jahre hin, die Strafkammer um den Vorsitzenden Manfred Götzl verhandelt dabei sehr mühsam und zäh - aber auch geduldig wie hartnäckig. Doch anstatt der erwarteten "lückenlosen" Aufklärung werden die Prozessbeteiligten fast ausschließlich mit deprimierenden Halbwahrheiten und diffusen Merkwürdigkeiten konfrontiert. Besonders schmerzhaft ist dies für die Angehörigen der NSU-Todesopfer. Denn anstatt nachvollziehbare Antworten auf ein fassungsloses "Warum?" zu erhalten, bekommen sie lediglich die Erkenntnis vermittelt, dass ihre Toten ausschließlich einem perversen Zufallsprinzip zum Opfer gefallen sind. Einem tödlichen Zufall, der sich aus einer bildungsfernen Langeweile entwickelte, einzig genährt aus einem dumpfen, rassistischem Hass. Und Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte im Münchener NSU-Prozess, schweigt. Warum sie nicht spricht, dafür interessieren sich in der Öffentlichkeit nur noch wenige. Unter den meisten deutschsprachigen Lesern, Hörern und Zuschauern kennt kaum noch jemand ihren Namen, abgesehen von einigen Fans aus der Szene der Neonazis und manche „besonderen" Medienkonsumenten, die (wie auch bei anderen Katastrophen und Unfällen) hinter fiktiven Auftraggeber und Urheber staatliche Stellen wähnen - aber wer würde es ihnen in Sachen NSU übelnehmen? Umso deutlicher spekulieren Medien und Prozessbeobachter über die wirklichen Gründe der schweigenden Beate Zschäpe. In dieser Situation aus Sicht der Angeklagten ein kluges Verhalten, jedoch belastender und schwieriger ist, als dies für Beteiligte und Zuschauer erscheint. So wird dieses selbstauferlegte Schweigen immer dann besonders schmerzhaft und hart empfunden, wenn es der eigenen Rechtfertigung, Richtigstellung und Verteidigung entgegensteht und eventuelle Entlastungen verhindert.
Diese stumme Rolle führt bei Beate Zschäpe angeblich zu psychosomatischen Beschwerden, wenn das an die Medien durchgestochene Gutachten des Psychologen Norbert Nedopil zutrifft. Nedopil spricht sich darin öffentlich aus, dass die Anwälte Heer, Stahl und Sturm ihre Prozessstrategie zugunsten der Gesundheit ihrer Mandantin aufgeben und Zschäpe vielmehr zum Reden ermuntern werden würde. Der Rechtsbeistand Zschäpes, eine dreiköpfige Truppe, der offenbar die eigene öffentliche Darstellung wichtiger ist als das Schicksal der Mandantin (soweit man zumindest das Mienenspiel der Beteiligten richtig deutet), arbeiten mit dieser Strategie - dass jedoch Zschäpe, die mit ihren Pflichtverteidigern an manchen Prozesstagen nicht einmal Blicke wechselt und ihre Verteidiger bereits austauschen wollte, sich aber trotzdem sich weiterhin deren Prozessstrategie unterordnet, ist anzuzweifeln.
Aber auch sonst steckt die Mordserie der weitgehend anonymen und fast gänzlich bekenntnislosen Serienmörder voller Merkwürdigkeiten und fragwürdiger Zufälle. In der Summe führen die zahlreichen Pannen zu einem Meer unbeantworteter Fragen und Unglaublichkeiten, die natürlich Verschwörungstheoretiker aller Art provozieren. Alleine die zahlreichen offenen Fragen zu Anwesenheit des Verfassungsschutzbeamten Temme an einem der Tatorte - ausgerechnet zur exakten Tatzeit - scheinen nicht ernsthaft beantwortet werden zu wollen. Der Verfassungsschutz schützt hier ganz spezielle Interessen - doch wenn die eigentlichen Aufgaben durch selbstgezogene Mauern und konspirativen Versteckspielen verhindert werden, wird der Sinn dieser Behörde völlig zu Recht infrage gestellt. Sicher ist sich Temme nur bei seiner Unschuldsversicherung: So hat er sich zufällig und natürlich rein privat im Internetcafé des Mordopfers Halit Yozgat aufgehalten und will von der Tat überhaupt nichts mitbekommen haben. Das Gegenteil müsste ihm schon nachgewiesen werden - andererseits gibt es natürlich auch die dümmsten Zufälle. Das einzige, was in diesem fragwürdigen Komplex für den Ex-Verfassungsschützer Temme spricht: Er wies nach, sich nicht zum ersten Mal in diesem Lokal aufgehalten zu haben, privat. Ein unangenehmer Nachgeschmack bleibt dennoch. Komisch auch die Sache mit der Tatwaffe: Bereits einen Tag nach dem Mord im Internetcafé soll Temme gewusst und davon gesprochen haben, dass die Tatwaffe eine Ceska war - das konnte zu diesem Zeitpunkt allerdings nur die Ermittler gewusst haben. Und die Täter. Könnte es also sein, dass Temme wusste oder ahnte, was in diesem Internetcafé passieren sollte? Antworten darauf könnten vielleicht Temmes Quellen in die Kasseler Neonaziszene liefern, wie zum Beispiel Benjamin G., der kurz vor der Tat rund zehn Minuten mit Temme telefonierte. Doch das Hessische Innenministerium mauert in dieser Angelegenheit, will verständlicherweise keine V-Leute im öffentlichen Prozess freigeben und damit verbrennen. Doch beschränken sich die Zweifel über den Verfassungsschutz nicht alleine auf Andreas Temme.
Ein, nicht nur in dieser Beziehung, höchst bedenkliches Licht auf Motivation und Praxis von Verfassungsschutzbehörden wirft dabei besonders die Aussage ehemaliger Verfassungsschützer, die im Dunstkreis des NSU stets aktiv und angeblich die Lokalisation der drei Untergetauchten als "Generalauftrag" verstanden haben wollen. So soll der zwischen 1998 und 2001 im Referat "Beschaffung Rechtsextremismus" des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen tätige Norbert W. (67) versucht haben, intensiv die Eltern des damals flüchtigen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt zu kontaktieren. Dabei soll den Böhnhardts Strafminderung für ihren Sohn angeboten worden sein, was tatsächlich jedoch nicht der Wahrheit entsprach: "Sind angelogen worden vom ersten Gespräch bis zum letzten. Wie in anderen Fällen auch", so Norbert W., der sich aus Gewissensgründen schließlich wieder bis zu seiner Pensionierung zum Landeskriminalamt versetzten ließ. Norbert W. monierte ebenfalls die ständige Einbeziehung von Polizeikräften in die praktischen Tätigkeiten der Verfassungsschutzmitarbeiter - was für sich bereits gegen alle Gesetze und Vorschriften verstößt, innerhalb dieses Prozesses offenbar kaum für eine Fußnote sorgt. Norbert W. sprach auch von seinem Verdacht, die Polizei hätte vielleicht ihre die schützenden Hände über die Untergetauchten gehalten - doch für kritische Beobachter schien es allerdings genau umgekehrt gewesen zu sein. Entweder wird nun endlich die Führung der deutschen Verfassungsschutzbehörden Auftrag, Sinn und Zweck ihrer Behörden komplett neu überdenken, oder dem Land droht eine ernsthafte Staatskrise. Vermutlich wird dann aber eher Andreas Temme als billiger Bauer geopfert werden - schließlich wird er die Sache in Kassel in irgendeiner Form verbockt haben; eine Einschätzung, die jedoch zu sehr in das Reich der Verschwörungstheorien hereinreicht.
Apropos Verschwörungstheorien: Fast schon verdächtig genau zwei Jahre nach Beginn des Münchener NSU-Prozesses präsentiert die Bundesanwaltschaft endlich einen wirksamen Schlag gegen den Rechtsterrorismus. Noch bevor es zu einem Schaden kam, konnten die Rädelsführer einer "Oldschool Society (OSS)" festgenommen werden. Bei den anschließenden Durchsuchungen der Wohn- und Geschäftsräume der Aktivisten konnten zwar keine scharfen Waffen, dafür aber sog. "Polenböller" sichergestellt werden. Mit diesen modifizierten Feuerwerkskörpern wären Anschläge machbar, die Sach- und Personenschäden verursacht hätten. Offenbar planten die Terroraktivisten am kommenden Wochenende, konkrete Planungen für entsprechende "Aktionen" durchzuführen. Innenminister Lothar de Maizière betont stolz, einen zweiten NSU verhindert zu haben. Doch bereits einen Tag nach dem Ermittlungserfolg hinterfragen manche Medien, ob die vermeintliche Terrortruppe tatsächlich so gefährlich war, wie der Bundesanwalt vorgibt. Die intellektuell eher schlichte Bande war überwiegend durch soziale Medien im Internet vernetzt und organisiert und ging dabei mehr öffentlich als konspirativ vor. So stellten sich die Mitglieder und Unterstützer der "Oldschool Society" in einem Werbevideo auf YouTube, namentlich und kenntlich, vor - bevor nicht einmal ein einziger Feind der "OSS" nur beleidigt wurde. Nach Erkenntnissen des Generalbundesanwalts hatte die mehrköpfige Gang allerdings ernsthaft vor, Anschläge mit Nagelbomben zu verüben, die Planung soll sich bereits in einer fortgeschrittenen, ernsthaften Phase befunden haben. Dennoch bleibt ein kleiner Geschmack; vielleicht war ja die Öffentlichkeitswirkung dieses Ermittlungserfolges größer als die tatsächliche Gefährlichkeit dieser "Oldschool Society", zumal sich die Sicherheitsbehörden ganz sicher waren, dass sich keine Nachfolger der NSU im Untergrund aufgestellt haben, dass es keine weiteren Rechtsterroristen gab. Davon war jedenfalls vor Wochen noch die Rede. Die These, dass es sich beim NSU um ein nach außen abgeschirmtes Trio handelte, ist nicht mehr zu halten. Deutschlandweit wird es ein Unterstützernetzwerk gegeben haben, dass bis jetzt nur sehr rudimentär aufgedeckt wurde.
Dabei wundert es dann nicht, dass selbst diejenigen den deutschen Nachrichtendiensten Untätig, Blindheit oder schlicht Dummheit vorwerfen, die an anderen Stellen auf eine komplette Auflösung von Geheimdiensten plädieren. Denjenigen sei aber versichert, dass ein "weniger" der Polizei- und Nachrichtendienste gleichzeitig immer mehr Lücken und Möglichkeiten für rechts-, linksgerichtete oder sonstige Terrorgruppen bietet. Zu abschließenden Einschätzungen kann es aber erst kommen, wenn im Fall NSU auch noch das letzte Urteil gesprochen wurde. Doch wann ist es soweit? Nach zwei Jahren fühlt es sich zumindest so an, als würde der Prozess höchstens vor der Halbzeit stehen. Zweifelhaft, ob Beate Zschäpe irgendwann mal ihre Strategie aufgeben wird, und zu sprechen anfängt. Fraglich wäre dann auch, ob die Worte aus ihrem Mund dann auch wirklich der Wahrheitsfindung dienen würden. Bisher, so ehrlich sollte jeder Beobachter sein, ist es lediglich wenig Eindeutiges, was gegen die Angeklagte Beate Zschäpe vorliegt. Und Zschäpes Verteidigerteam, da scheint sich auch jeder sicher, besteht nicht aus Amateuren - da wird also nur wenig übrigbleiben.
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