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Warum Luxus manchmal Freiheit ist

Muss man sich Luxus leisten können? Warum provoziert Luxus? Wie definieren wir Luxus im 21. Jahrhundert? In der neuen Podcast-Folge von „Einmal alles, bitte!“ beschäftigt Gastgeberin Jasmin Shamsi die Frage, welche Sehnsucht hinter Luxus steckt


Julia Burmeister arbeitet seit zwei Jahren in der Abteilung Sales und Marketing im Hotel Vier Jahreszeiten. Ursprünglich wollte sie Grundschullehrerin werden, heute führt sie Kunden im Etuikleid durch das pompöse Ambiente des Grandhotels an der Binnenalster. Sie hat schon mit prominenten Gästen wie Nicole Kidman oder Sido an einem Tisch gesessen. An Glanz und Gloria gewöhne man sich mit der Zeit, erzählt sie. Schließlich treffe man hier auch nur auf Menschen mit ganz normalen Bedürfnissen. Aber das ist eben der Unterschied: Gäste und Mitarbeiter erfahren den Luxus des Hotels auf verschiedene Weise. Das Erleben von Luxus ist an eine bestimmte Haltung geknüpft. Und die finde ich psychologisch betrachtet ziemlich spannend.

Luxus als befreiender Gegenpol

Der deutsche Philosoph Lambert Wiesing hat dem Thema Luxus ein ganzes Buch gewidmet. Er schreibt: „In der Erfahrung von Luxus kommt es zu einem regelrechten Zwiespalt innerhalb der Person, der aber nicht so stark ausfallen darf, dass sich Gewissensbisse regen." Das Übertreten einer Grenze im Bereich vor dem schlechten Gewissen, so der Philosoph, das sei Luxus. Ich zitiere: „Denn derjenige, der Luxus erfährt, muss einen Maßstab für das Angemessene haben, aber muss auch mit diesem von ihm selbst anerkannten Maßstab brechen, um den Luxus als befreienden Gegenpol erfahren zu können. Deshalb wirkt Luxus auf Außenstehende oft so provozierend."* Diese widersprüchlichen Gefühle kennt vermutlich jeder von uns: Wir bewundern oder beneiden Menschen, die im Luxus leben beziehungsweise den Luxus er leben. Vielleicht sehnen wir uns insgeheim nach der Freiheit, die sich diese Menschen nehmen? Vor Kurzem erzählte der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre in einem Interview, dass er am liebsten Geld für teure Hotelzimmer ausgebe, wenn er keines mehr habe. Das ist unvernünftig und deshalb purer Luxus, den er sich leistet.

Luxus muss nichts kosten

In Pandemie- und Klimawandelzeiten üben wir uns in Verzicht: Mit Blick auf das Wohl der Gemeinschaft verzichten wir auf Feiern, auf kulturelle Events, auf Nähe, auf weite Reisen, auf Lebensmittel aus unsozialen und unökologischen Quellen, auf unfair produzierte Kleidung. Das ist auch richtig und gut, aber manchmal ertappe ich mich und andere dabei, dass man vielleicht ein bisschen zu korrekt sein möchte. Wenn man sich allerdings überlegt, was das Leben lebenswert macht, dann sind es oft Dinge, die wir nicht fürs Überleben brauchen: ein gutes Konzert, ein riesiger Blumenstrauß vor der Tür, der Gang auf ein marodes Hausdach für den besten Blick auf die Stadt, ein viel zu teurer Restaurantbesuch. „Der größte Luxus ist für mich, wenn ich in den Tag hineinleben kann, ohne einen Termin zu haben", entgegnet Hoteldirektor Ingo Peters auf die Frage, was er persönlich unter dem Begriff versteht. Luxus müsse nicht zwangsläufig etwas kosten, stellt er fest. „Ob wir ihn als solchen wahrnehmen, hat auch damit zu tun, wie der eigene Alltag aussieht. Für mich ist es zum Beispiel etwas ganz Normales, in einem Luxushotel zu wohnen." Etwas zu genießen, was man nicht jeden Tag hat, das ist für den gebürtigen Hamburger Luxus. Im Umkehrschluss bedeutet das: Luxus kann sich abnutzen. Ein Leben auf dem Ponyhof wäre auf Dauer ziemlich langweilig.


*Lambert Wiesing: Luxus, S. 149, Suhrkamp


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