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Koalition: Olaf Scholz hat jedes grüne Flämmchen ausgeblasen - WELT

Ein Jahr nach der Bürgerschaftswahl ist die Bilanz der Grünen und ihrer Senatoren im Hamburger Senat dürftig. Zusammengefasst: Zwischen Kaffeekapseln und Homoampel. Eine Analyse.

Es geschah vor ein paar Tagen, da blitzte tatsächlich so etwas wie Uneinigkeit in Hamburgs rot-grünem Senat auf. Kurz zuvor hatte die große Koalition in Berlin das Asylpaket II beschlossen. Und während Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) das Papier lobte, kochte die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) vor Wut.

Ein Jahr nach der Bürgerschaftswahl hätte das der Moment sein können, in dem die Grünen endlich die Bühne betreten. Sie hätten eine Debatte mit der SPD über die Aussetzung des Familiennachzugs anstoßen können. Sie hätten Scholz, zugleich SPD-Bundesvize, inhaltlich fordern können. Allein, das Unwetter blieb aus. So überraschend sich der Dissens ereignete, so schnell war er wieder verschwunden. In irgendeinem der 647 Zimmer des Rathauses. Symptomatisch für den Zustand der Grünen. Dem kleinen Koalitionspartner fehlt ein Thema und eine Figur mit eigenem Profil. Denn weder ist es Fegebank noch ihren Senatsmitstreitern Jens Kerstan (Umwelt) und Till Steffen (Justiz) gelungen, grüne Akzente zu setzen.

Licht und Schatten der bisherigen Regierungsbeteiligungen

Scholz, das ausdefinierte und selbstbewusste Politikschwergewicht, hat jedes grüne Flämmchen ausgeblasen, noch ehe es zur Flamme wurde. Mühelos. Denn die Grünen wehren sich kaum. Dabei hätten sie nach den traumatischen Erfahrungen aus früheren Koalitionen in der Hansestadt allen Grund dazu. Auf die Erstauflage von Rot-Grün 1997 bis 2001 unter Ortwin Runde (SPD) angesprochen, schnellt die grüne Herzfrequenz noch heute auf beängstigende Höhen. Schon damals kam die Ökopartei aus dem Krötenschlucken nicht heraus - angefangen von der Vertiefung der Elbe über die Bindung der HafenCity an den Bau des Containerterminals Altenwerder bis zur Einführung der Brechmitteleinsätze. Zwar hielt das Bündnis über die volle Legislatur, hinterließ jedoch bis heute Wunden.

Mutig hingegen stürzte sich die neue Generation der Partei 2008 in das erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene. Obwohl die Partner aus entgegengesetzten politischen Himmelsrichtungen aufeinander zuschritten, schien die Liaison mit Ole von Beust (CDU) zunächst von Glück beseelt zu sein. Die Grünen akzeptierten zähneknirschend den Bau des Kohlekraftwerks Moorburg, die Christdemokraten ließen sich zur sechsjährigen Primarschule verbiegen.

Auch wenn der politische Erfolg ausblieb, weil 2010 erst ein Referendum die Schulreform kippte und wenig später die Koalition, so unterschied sich das Auftreten der Grünen seinerzeit von dem jetzigen fundamental: Die Partei um ihre damaligen Köpfe Christa Goetsch und Anja Hajduk hatte mit der Primarschule das sichtbare Thema, das sie in der öffentlichen Wahrnehmung fest verankerte. Und Beust überließ ihnen dieses Feld, wenngleich er damit seine eigene Partei in eine bis heute anhaltende Selbstfindungsphase manövrierte.

Inhalte gleich in Koalitionsverhandlungen aufgegeben

Die Grünen 2016 sind von einem Identität stiftenden Thema weit entfernt. Und wer von ihnen genau hingehört hätte, dem wäre schon am Abend der Bürgerschaftswahl im Februar 2015 das Lachen im Halse stecken geblieben. Denn bereits nach den ersten Hochrechnungen kappte „König Olaf" die Flügel der grünen Hochflieger süffisant schmunzelnd auf Spatzenformat: „Ich bin sicher, dass es bei den Grünen genügend vernünftige Leute gibt, die wissen, dass man ein Wahlergebnis nicht umdrehen kann."

Im Klartext bedeutet es das, was der Bürgermeister seither praktiziert: Die Grünen sollen wissen, wo ihr Platz ist - nämlich hinter ihm, weit hinter ihm. Nüchtern betrachtet gibt ihm das Wahlergebnis bei 45,6 Prozent für die SPD und 12,3 Prozent für die Grünen recht. Prozentwelten sind das.

Vielleicht haben die Grünen deshalb viele ihrer noch im Wahlprogramm geforderten Inhalte gleich in den Koalitionsverhandlungen aufgegeben. Das wochenlange Geschacher um Politik und Posten hat Kraft gekostet. Ebenso das Respektverschaffen im Senat - im Angesicht des omnipräsenten Hausherrn. Und nicht zuletzt die Dämpfung der hohen Erwartungen der eigenen Basis, die gerne aufbegehrt, wenn „die da oben" von der in zig Stuhlkreisen ausdiskutierten Linie abweichen. So hat Scholz dem kleinen Koalitionspartner lediglich jene Tröge überlassen, aus denen er selbst nicht zu speisen wünscht: Justiz, Umwelt, Wissenschaft.

Die Bilanz der grünen Senatoren

Da zeigt sich Justizsenator Steffen redlich, aber bislang vergeblich bemüht, die zermürbten und hoffnungslos überlasteten Richter und Staatsanwälte wieder aufzupäppeln. Deren Misere erkannte er allerdings erst, als sie ihm im Sommer 2015 durch die eiskalte Abrechnung des damaligen Generalstaatsanwalts Lutz von Selle direkt vor die Füße fiel. Dabei war er bereits unter Schwarz-Grün der verantwortliche Senator. Auch muss Steffen den gesamten Strafvollzug der Stadt aufgrund des zunehmenden Leerstands in den Gefängnissen verdichten. Teil der Reform ist, das Jugendgefängnis auf der Elbinsel Hahnöfersand zu schließen und außerhalb Hamburgs anzusiedeln. Nur könnte ausgerechnet dieser Schritt die erfolgreiche Resozialisierung der heranwachsenden Straftäter gefährden, weil die Frequenz der Familienbesuche wegen der räumlichen Distanz abnehmen und wertvolle soziale Beziehungen unterbrochen werden.

Umweltsenator Kerstan hat das Urthema der Grünen ergattert. Eine Steilvorlage, wie sie sich aus Sicht der Ökopartei nicht besser hätte ergeben können: Ein grüner Umweltsenator, der der Hansestadt seinen Stempel aufdrückt. Nachhaltig. Ökologisch. Das Ergebnis: Kerstan schaffte in den Behörden die wegen ihrer Aluhüllen viel Müll produzierenden Kaffeekapseln ab, das klimaschädliche Steinkohlekraftwerk Wedel läuft aber weiter. „Kohle-Kerstan", wie er nun bisweilen genannt wird, wollte das umstrittene Heizkraftwerk zwar am liebsten abstellen, musste aber kleinlaut verkünden, dass es zur Überbrückung am Netz bleibt.

Statt Abriss wird der marode Meiler - von Gegnern als Dreckschleuder bezeichnet - nun für satte 83 Millionen Euro saniert. Zudem hat Kerstan einen Klimaplan vorgelegt, mit dem die einstige Umwelthauptstadt Europas bis 2020 zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid vermeiden will. Bis 2030 soll der Kohlendioxid-Ausstoß im Vergleich zu 1990 halbiert werden. Klingt gut. Aber damit wurde das bislang geltende 40-Prozent-Kohlendioxid-Einsparziel bis 2020 kurzerhand um zehn Jahre nach hinten geschoben und ein neues 50-Prozent-Ziel ausgerufen.

Euphorische Einweihung von Hamburgs erster Homoampel

Und schließlich Katharina Fegebank, Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin - kurz BGM2 - in Personalunion. Sie ist viel damit beschäftigt, bei Empfängen in die Kamera zu lächeln, eifrig Hände zu schütteln und munter mit den Gästen zu plaudern. Das mag zu den unvermeidlichen Pflichten als BGM2 gehören - insbesondere, wenn sie im Gegensatz zum BGM1 die Fähigkeit zu offenen Emotionen besitzt. Nur bewirkt es nicht das, was sie anstrebt: wahrnehmbare Entwicklungen in ihrem Ressort, auf das gerade wegen des schwächelnden Hafens mehr denn je geschaut wird.

Seit Jahren predigen Granden der Stadt - Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) sowie die ehemaligen Senatoren Wolfgang Peiner (CDU) und Wilfried Maier (Grüne) -, Hamburg zu einer Wissenschaftsmetropole auszubauen. Warum geht Fegebank für dieses zukunftsträchtige Thema nicht stärker in die Offensive? Viel mehr als zum Vertrauensaufbau innerhalb der kapriziösen Hochschullandschaft gedachte Gespräche sind nicht öffentlich geworden.

Wahrnehmbar war hingegen Fegebanks euphorische Einweihung von Hamburgs erster Homoampel mit schwulen und lesbischen händchenhaltenden Pärchen. Als einzig sichtbares Ergebnis ist das zu wenig. Hatte sie sich in den Jahren zuvor nicht das Image der kampfeslustigen Landeschefin aufgebaut und den Sprung auf das dünne Eis der Bundespartei wagen wollen? Doch Parteifreunde wie Robert Habeck in Schleswig-Holstein, Tarek Al-Wazir in Hessen und Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg sind ihr nicht nur weit voraus. Sie beherrschen das medienwirksame Spiel aus Landes- und Bundespolitik geschickter. Dabei stehen die Chancen, die blutleeren Grünen im Bund wiederzubeleben, derzeit gut.

Regierungsbeteiligung allein reicht nicht

Wofür haben Hamburgs Wähler also ihr Kreuz bei Grün gemacht? War die gescheiterte Olympia-Vision noch ungeeignet, den Weg des Bürgermeisters öffentlich infrage zu stellen, ist die anhaltende Flüchtlingsdebatte dafür prädestiniert. Aber wo sind die Grünen, wenn es um dereinst urgrüne Themen wie den Schutz von Kindern, Frauen, Homosexuellen oder Andersgläubigen in Flüchtlingsunterkünften geht?

Wo ist die Ökopartei, wenn es um umsetzbare Vorschläge für eine erfolgreiche Integration geht? Auf der Wahlparty im Februar vergangenen Jahres brüllte Kerstan noch in die Mikrofone, jetzt „die Stadt rocken" zu wollen. Es ist an der Zeit, damit zu beginnen. Allein die Segnungen der Regierungsbeteiligung zu genießen, ist noch keine Form von politischer Gestaltung. Hamburgs Grüne müssen sich entscheiden, wofür sie stehen. Wollen sie weiter an Scholz' Gängelband zappeln oder für eigene Themen kämpfen?

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