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Parteirebell: „Die SPD darf nicht nur Politik für Randgruppen machen" - WELT

Parteirebell „Die SPD darf nicht nur Politik für Randgruppen machen"

In der SPD brodelt es nach dem Jamaika-Aus. Einem Hamburger Abgeordneten platzt nun der Kragen, seine Aussagen polarisieren. Es ist nicht das erste Mal, dass der 35-Jährige seine Partei hart angreift.

Die Nachricht vom Jamaika-Aus im Bund ist erst wenige Stunden alt, da macht der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Hauke Wagner seinem Ärger öffentlich Luft. Allerdings nicht über das Verhalten der gescheiterten Sondierer, sondern über das seiner Partei - der SPD. „Gibt es jetzt immer noch so viele Anhänger der SPD-Personal- und Oppositionspolitik? In der Opposition das Profil schärfen und so'n Müll?! Blöd nur, wenn man dann nicht mehr handlungsfähig ist. Tja", schreibt Wagner auf Facebook und löst damit eine Welle der Empörung unter den Elb-Genossen aus. Wieder einmal.

Der Spross des langjährigen Bausenators Eugen Wagner kennt das Spiel. Er sei ein Paradebeispiel dafür, wie mit parteiinternen Kritikern umgegangen werde, sagt der 35-Jährige im Gespräch mit der WELT.

„Die SPD ist nicht in der Lage, die eigenen Erfolge zu verkaufen"

Seit der Bundestagswahl fragt sich der Nachwuchspolitiker täglich aufs Neue, ob er „noch im richtigen Laden unterwegs" ist. Blicke er sich in Europa um, sei es in den Niederlanden oder in Frankreich, rangierten die Sozialdemokraten unter zehn Prozent. Wagner: „Wenn wir Genossen hierzulande das weitermachen, was wir im Moment am besten können, nämlich uns selbst ein Bein stellen, fürchte ich, dass die deutsche Sozialdemokratie ebenfalls dort landet und sich ihr politisches Grab schaufelt."

Nichts, was die SPD derzeit mache, gehe in die richtige Richtung. Stattdessen suhle sich die Partei in Selbstgefälligkeit. Eine große Koalition sei nicht das Problem. „Das Problem ist, dass unsere Spitzengenossen in Berlin nicht in der Lage sind, unsere Erfolge zu verkaufen. Und wenn sie nicht gegen die Kanzlerin anstrahlen können, sollten sie ein Medientraining machen anstatt in die Opposition zu gehen", sagt der 35-Jährige.

Wagner gilt seit Jahren parteiintern als Querulant, Störenfried und Unruhestifter. Als ehemaliger Landesvorsitzender der Jusos strebte er den Posten 2013 auch im Bund an, unterlag jedoch der nach wie vor amtierenden Johanna Uekermann. Seit 2015 sitzt Wagner in der Bürgerschaft, ist zudem Vizekreischef der SPD in Wandsbek - hinter Andreas Dressel, SPD-Fraktionsvorsitzender im Stadtstaat und hoch gehandelter Kronprinz von Bürgermeister Scholz.

Wagner fordert Politik für eine andere Zielgruppe

Scheu, sich mit den arrivierten Genossen anzulegen, hat Wagner nicht. Regelmäßig versucht die Führungsriege, den selbstbewussten Rebellen zu zähmen. Er habe „ein gewisses politisches Talent", das „aber noch geschliffen werden" müsse, sagt ein Sozialdemokrat. Ein anderer: „Der Einzige, der Hauke Wagner gut findet, ist Hauke Wagner selbst." So sind die Querschüsse des 35-Jährigen wohl auch das Hindernis, das ihm die nächste Sprosse auf der Karriereleiter versperrt. Sein Ziel, die Genossen wachzurütteln, verliert er trotzdem nicht aus den Augen.

Die Grundidee der Sozialdemokratie ist aus seiner Sicht nicht die, „ausschließlich Themen für die Randgruppen und die Unterjochten zu machen. Es ging uns um einen Verteilungskampf in der Gesellschaft. Doch mittlerweile suchen wir nach immer neuen kleinen Gruppen, denen wir helfen wollen und verlieren dabei den normalen Arbeiter aus den Augen", betont Wagner. Dieser normale Arbeiter gehe heute nicht mehr in die Fabrik, sondern in die Filiale einer Sparkasse. Wagner: „Der findet sich bei der SPD nicht mehr wieder, weil er den Eindruck hat, dass sich die SPD nur noch um die Ehe für Alle und das Gender Pay Gap kümmert."

„Damit überfordert, auf die Realität zu reagieren"

In Hamburg hat die SPD in der ersten Legislaturperiode von Scholz die Kita- und Studiengebühren abgeschafft „und die Familien damit wirklich ernsthaft entlastet", nennt Wagner ein Beispiel für nachhaltige Politik. „Und was machen wir im Bund? Was hat uns im Wahlkampf thematisch dorthin positioniert, wo der normale Familienvater steht, der nicht schwul ist und keinen Migrationshintergrund hat? Von denen soll es ja welche geben."

So herrscht laut Wagner „eine große Ratlosigkeit und Verunsicherung" in seiner Partei. Er fügt hinzu: „Wir waren so glücklich, die Interpretation Opposition gefunden zu haben. Damit konnten offenbar die meisten von uns endlich etwas anfangen. Dann wurde auch noch die Landtagswahl in Niedersachsen gewonnen, und alles machte Sinn." In Wahrheit jedoch habe die SPD „keine Idee", wohin die Reise gehen solle. Wagner: „Wir sind damit überfordert, auf die Realität zu reagieren. Das nehme ich überall um mich herum in der Sozialdemokratie wahr."

Kritiker sagen, Wagner verhalte sich unsolidarisch

Der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete legt nach: „Wir diskutieren nicht, jeder Ansatz wird im Keime erstickt. Wenn Scholz Schulz anzählt, nennen wir das Basisdiskussion." Das sei doch aber Quatsch. „Ebenso, dass jemand wie ich, wenn er öffentlich Kritik an der Partei übt, massiv auf die Fresse bekommt."

Er verhalte sich unsolidarisch, höre er dann. Die Einstellung, dass Diskurs in einer sterbenden Partei schädlich sei, halte er jedoch für falsch. „Mit sehr viel romantischer Fantasie hoffen wir, dass wieder so ein Typ wie Brandt, Wehner, Schmidt oder Schröder vom Berg herabsteigt", betont Wagner.

Aus eigener Erfahrung wisse er aber: „Wenn jemand so kantig in dem ist, was er denkt und sagt, wird er nicht in diese Positionen kommen, in denen er die Partei mit Inhalten und Leben füllen kann." Er werde bereits vorher vom Funktionärskader heruntergedrückt und kaltgestellt.

Und was ist nun seine Lösung für die am Boden liegende SPD? Neuwahlen sind Wagner zufolge der falsche Weg. „Wählen, bis es passt, darf niemals unsere Haltung sein. Wir müssen uns unserer Verantwortung stellen und Gespräche in alle Richtung führen, damit eine Regierung aus diesem Wahlergebnis zustande kommt." 20 Prozent der Wähler in Deutschland sei seine Partei eine sozialdemokratische Politik schuldig.

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