Eckernförde | Zwei Selbstmordattentate hat der 34-jährige Mohammed Abotaleb aus dem Jemen überlebt. Zwischen ihm und den Sprengsätzen war nur eine Wand. Sie ist zum Glück stehen geblieben, als sich ein junger Mann auf der anderen Seite in die Luft sprengte. Danach war für den dreifachen Vater klar: „Das ist kein Zuhause für mich und meine Familie". Er machte sich auf den Weg nach Deutschland.
Im Jemen kommt es immer wieder zu Anschlägen durch das Terrornetzwerk Al Qaida und dem Islamischen Staat (IS). Durch den Rücktritt von Staatspräsident und Regierung am 22. Januar 2015 sind die staatlichen Institutionen landesweit nur noch eingeschränkt funktionsfähig. Die deutsche Botschaft in Sanaa ist geschlossen.
Seit Januar lebt Mohammed Abotaleb in Eckernförde. Als gelernter Reiseveranstalter und studierter Volkswirt hatte er geschäftlich schon öfter in Deutschland zu tun. Ein Visum zu bekommen, war für ihn daher kein großes Problem. Nur für seine jüngste Tochter - gerade eineinhalb Jahre alt - fehlen noch immer die Papiere. Seit elf Monaten wartet er darauf, dass seine Frau und seine drei Töchter nachkommen dürfen. Doch solange sein Asylantrag nicht genehmigt ist, hat die Familie keine Chance, sich wiederzusehen. Und bis Abotaleb Rückmeldung erhält, kann es noch lange dauern, weiß er. Denn erst in diesem Monat hat der Jemenit einen Termin bekommen, um seinen Antrag zu stellen.
„Meine kleine Tochter wird mich nicht wiedererkennen, wenn wir uns treffen. Dafür waren wir schon zu lange getrennt", erzählt der Familienvater traurig. Jeden Tag vermisse er sie unendlich. Das Handy sei die einzige Möglichkeit, mit ihnen Kontakt zu halten. Er betont, wie wichtig es für Flüchtlinge sei, ein Smartphone zu besitzen. Denn ohne dies, würde er nicht einmal wissen, ob Frau und Kinder noch am Leben sind.
„Jedes Mal, wenn ich das Haus verließ, musste ich mich von meiner Frau und meinen Kindern verabschieden"Aus dem Jemen musste Mohammed Abotaleb fliehen, weil sein Familienname auf der sogenannten „Wanted-List" des Islamischen Staates (IS) stand. „Weil wir Schiiten sind", erklärt er. In den Augen des IS würden sie vom „wahren Islam" abweichen. Sie seien deshalb Ungläubige und müssten alle ermordet werden. Zahlreiche Freunde und Familienangehörige des 34-Jährigen haben ihr Leben in den vergangenen Jahren durch Anschläge verloren. „Jedes Mal, wenn ich das Haus verließ, musste ich mich von meiner Frau und meinen Kindern verabschieden. Ich wusste nie, ob ich zurückehren würde. Mit dieser Angst zu leben, ist schrecklich", erzählt er.
Auch in Eckernförde werde er immer wieder von den Erinnerungen an grausame Bilder eingeholt. Er habe bis heute Albträume, berichtet er. Diese werden ihn wohl sein Leben lang verfolgen. Doch Abotaleb ist zuversichtlich, er blickt seiner Zukunft positiv entgegen. Seine Deutschkenntnisse sind dank seiner jahrelangen Arbeit als Reiseveranstalter sehr gut. Im ganzen Bundesgebiet hat er Freunde - auch in Eckernförde. Er konnte hier zunächst bei einer Bekannten unterkommen und musste so nicht in der Erstaufnahme in Neumünster leben.
Inzwischen hat er sogar einen festen Job. Seit Mai arbeitet er als Integrationslotse für Pro Regio und den Verein Umwelt, Technik und Soziales (UTS). Mohammed Abotaleb hilft jetzt anderen Asylbewerbern, in Eckernförde Fuß zu fassen. „Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Ich wollte nicht von Sozialhilfe leben. Ich bin so froh, dass ich wieder etwas tun kann und mein eigenes Geld verdiene." Er empfängt die Neuankömmlinge in der Stadt, zeigt ihnen die Unterkunft, hilft bei der Kontoeröffnung und unterstützt als Dolmetscher bei Besuchen beim Amt.
Die Arbeit mache ihm Spaß, er könne sich vorstellen, dies zu seinem neuen Beruf zu machen. Denn ob er jemals in den Jemen zurückkehren möchte, wisse er nicht. Zu viele schreckliche Erfahrungen verbindet er mit der Heimat. In Eckernförde fühle er sich dagegen sicher und wohl: „Ich mag die Stadt und die Menschen. Ich hoffe sehr, dass ich mir mit meiner Familie etwas aufbauen kann."
von Jana Walther erstellt am 06.Jul.2016 | 07:03 Uhr