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Auf einen Tagestrip nach Warnemünde

Manchmal, da laufe ich über den Asphalt der Weinmeisterstraße, der Schönleinleinstraße oder des Herrmannplatzes und alles wird plötzlich zu viel. Die Menschen zu nah, die Luft zu stickig, die Stadt zu eng. Als mir letzten Montag dann selbst der Flat White zu schaumig und das Flugfeld zu sonnig wurde, wusste ich, dass ich a) übertreibe und b) mal einen Tag Abstand von Berlin nötig habe. Nach einer Stunde ausgiebiger Internetrecherche, Distanzberechnungen auf Google Maps und positiver Verwunderung über die Angebote der deutschen Bahn, beschloss ich, ans Meer zu fahren.

Fünf Tage und knappe drei Stunden Regionalexpressfahrt später, erreiche ich bei steifer Brise und strahlendem Sonnenschein zusammen mit etwa 150 anderen Urlaubswilligen den Bahnhof des Ostseebads Warnemünde. Schon wieder Menschenmassen, denke ich mir kurz, als ich vorbei an „Futterkutter" und „Fischerklause" am Kanal entlang laufe. In einer Backstube kurz vor der Strandpromenade gönne ich mir einen Kaffee Creme und muss lächeln, als ich statt Hafermilch und Rohrohrzucker, Kaffeesahne und weiße Würfel neben den To-go-Becher-Deckeln finde.

In Warnemünde wollen die Menschen ungefähr so gerne hip sein, wie die Möwen an der Strandpromenade zurückhaltend sind. Gar nicht. Ein touristisches Städtchen mit nordisch aussehenden Fachwerkhäusern, vielen Rentnern und Familien und noch mehr weißen Dreiviertelhosen. Die Menschen um mich herum sprechen Dialekte, die meinen süddeutschen Ohren fremd sind und tragen die Looks der 90er höchstens dann, wenn sie sie seit den 90ern tragen.

In Warnemünde wollen die Menschen ungefähr so gerne hip sein, wie die Möwen an der Strandpromenade zurückhaltend sind.

Über eine kleine Düne, von der aus man im richtigen Winkel ein perfektes Bierwerbungsfoto schießen kann, führt der Weg zum kilometerlangen Sandstrand. Vom Sand sieht man im Stadtbereich vor lauter Beachclubs und Strandkörben allerdings nicht ganz so viel. Letztgenannte sind zumindest bunt und sehen hübsch aus. Ich laufe etwa dreißig Minuten Richtung Westen, vorbei an dünner werdenden Korbreihen und braungebrannten Altherrenpenissen. Kurz, ganz kurz denke ich über die FKK-Geschichte der ehemaligen DDR nach. Vereinzelt liegen kleine Quallen im Sand, was meinen Plan, mich gleich in die 18 Grad kalten Fluten zu stürzen, noch ein bisschen abenteuerlicher erscheinen lässt.

Wenig später liege ich nass und glücklich für 2 Euro auf blauweißen Polstern und betrachte die kleinen Wolken, die in Windeseile über mir vorbeiziehen. Das Gegenteil zur grauen Glocke, die so oft über der Hauptstadt hängt und für mich das Sinnbild für meinen Kopfzustand. Der Wind weht mich an der Ostsee nicht nur um, sondern mir gefühlt einmal durch den Kopf durch.

Meine Zeit in Warnemünde habe ich vor allem spazierend, lesend, denkend und badend am Strand verbracht, kann aber von folgenden, sich mir im Augenwinkel gebotenen Alternativaktivitäten berichten: Anscheinend kann man hier Windsurfstunden nehmen, Beachvolleyball spielen, angeln, und viele Sprungbilder seiner Freunde vor Meereshintergrund aufnehmen. Außerdem lädt ein gestreifter Leuchtturm zur Besteigung ein. Fußfaule Urlauber können vom Steg aus Hafenfahrten unternehmen, Hafenfahrtunternehmern zuwinken oder größeren Schiffen hinterherschauen, wie zum Beispiel der Aida.

Der Wind weht mich an der Ostsee nicht nur um, sondern mir gefühlt einmal durch den Kopf durch.

Als ich um 22.30 Uhr wieder am Berliner Hauptbahnhof ankomme, habe ich geordnete Gedanken, Sonnenbrand und große Lust auf Gösser. Ich freue mich, in einer Stadt zu wohnen, von der aus man einen Tagesausflug an die Ostsee machen kann, wasche mir die Algenreste aus den Haaren und stürze mich in die Kreuzköllner Nacht.

Hinkommen: mit den „Ostsee-Express"-Tickets der deutschen Bahn kann man für 36 Euro ohne Zugbindung in einem Zeitraum von einem bis fünfzehn Tagen nach Warnemünde und zurück reisen.


Essen: Dänisches Softeis und deutsche Fischbrötchen.

Mitbringen: das Buch, das seit Monaten auf dem Nachttisch liegt, sowie viele 50 Cent-Stücke für die öffentlichen Toiletten.

Beste Instamotive: kleine Düne, bunte Strandkorbkolonien, deine nackten Füße im Ostseewasser, du und deine vom Wind zerzausten Haare.

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