Berlin. Fast alle Paare sind irgendwie mit sozialer Ungleichheit konfrontiert. Allein jede Hetero-Beziehung hat damit zu kämpfen, dass an Männer und Frauen unterschiedliche Erwartungen gestellt werden. Oder eine Partnerin ist von Rassismus betroffen und die andere kennt diese Erfahrung überhaupt nicht. Wie kann man in einer Liebesbeziehung mit diesen Ungleichheiten umgehen, ohne dass sie die Liebe zerstören? Wie stark sind Gefühle und Begehren schon von struktureller Ungleichheit geprägt? Und ist Liebe wirklich stärker als alles andere? Josephine Apraku stellt sich diese Fragen in „Kluft und Liebe“ und entwirft ein Konzept von Liebe als Praxis, das mit herkömmlichen Vorstellungen von Liebe bricht.
In Ihrem Buch geht es darum, wie Ungleichheit Liebesbeziehungen kaputt machen kann. Kann Liebe also nicht alles überwinden?
Nein, das kann sie nicht. Diese Vorstellung steht sogar dem eigentlichen Potenzial von Liebe im Weg. Wenn wir Liebe als gleichberechtigte Gegenseitigkeit verstehen, wenn wir wahrnehmen, dass Liebe nicht nur etwas ist, das wir vermeintlich fühlen, sondern auch etwas, das wir tun, dann bedeutet das, dass wir uns selbst reflektieren müssen. Dann hat Liebe vielleicht sogar Anteile von diesem überwindenden Potenzial. Aber solange wir nicht anerkennen, wie sehr Unterdrückung in zwischenmenschlichen Beziehungen und auch in Liebesbeziehungen wirkt, wird es schwierig.
Wie wirkt Unterdrückung in Liebesbeziehungen?
An vielen unterschiedlichen Stellen. Das habe ich im Buch nachgezeichnet. Beispielsweise die Frage, wen wir überhaupt kennen lernen. Unsere Gesellschaft ist sehr segregiert. Die Menschen, mit denen wir arbeiten, befreundet sind oder zur Schule gehen, ähneln sich oft sehr. Beim Dating ist die Studienlage was das betrifft ziemlich gut. Es konnte gezeigt werden, dass etwa Rassismus ein großer Faktor ist, wenn es darum geht, wer als attraktiv befunden und kontaktiert wird. Das gilt für Onlineportale genauso wie fürs echte Leben.
Sie beschreiben Liebe in Ihrem Buch als Praxis. Was heißt das genau?
Ich beziehe mich dabei auf M. Scott Peck, Erich Fromm und bell hooks. Außerdem ist das die Haltung von Menschen, die in der Paartherapie arbeiten und dabei eine kritische Perspektive auf Diskriminierung einnehmen. Liebe ist demnach nicht, wie sie in mythologischen Erzählungen beschrieben wird, dass wir von einem Pfeil getroffen werden und dann lieben wir. Sondern Liebe ist etwas, das wir selbst kultivieren, das wir selbst am Leben halten müssen und was auch Arbeit bedeutet.
In Ihrem Buch gibt es szenische, fiktive Passagen. Die Personen darin sind sehr reflektiert und kennen sich sehr gut mit Machtstrukturen und Diskriminierung aus. Ist das eine Voraussetzung, um mit Ungleichheit in Liebesbeziehungen umgehen zu können?
Nein. Ich glaube die Voraussetzung ist, überhaupt erst einmal wahrzunehmen, dass Machtstrukturen in Beziehungen wirken und auch eine gewisse Neugier, einen Umgang damit zu finden. Mir war wichtig, in meinem Buch zu zeigen, dass auch Menschen, die sich auf theoretischer Ebene gut mit diesen Themen auskennen, diese Konflikte ebenfalls verhandeln müssen. Sie bleiben da, aber die Art und Weise, wie sie verhandelt werden, verändert sich.
Haben Sie einen Tipp, wie man am besten mit sozialer Ungleichheit in Beziehungen umgeht?
Ich finde das Kapitel zu Emotionen sehr wichtig. Die Erkenntnis, dass die Art und Weise, wie ich fühle auch an Unterdrückung angeknüpft ist, geht der Lösung von Konflikten voraus. Wahrzunehmen, wie ich mich in Konflikten verhalte, wie ich Raum mit meinen Gefühlen einnehme. Unabhängig davon, ob etwa eine weiße, männlich sozialisierte Person mit einer schwarzen, weiblich sozialisierten Person zusammen ist oder andersherum, ist es wichtig, dass es einen gemeinsamen Strang gibt, dass es unsere geteilte Aufgabe ist, gegen Unterdrückung anzugehen und zu überlegen, was das eigentlich für unseren Konflikt als Paar bedeutet.
Sie sagen, diese Dinge sind Ihnen schon bei Ihrer ersten Liebesbeziehung aufgefallen. Was genau hat Sie dazu bewegt, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe gemerkt, dass ich in der Regel in Konstellationen war, in denen das Machtungleichgewicht auf meinen Schultern lastete und mein Gegenüber das nicht unbedingt wahrgenommen hat. Das führte dazu, dass ich im Grunde auch in Liebesbeziehungen politische Bildungsarbeit leistete.
Was macht das mit einem, diese Last auf den Schultern zu tragen?
Ich kann das nicht pauschal sagen. Nicht alle Menschen, die etwa Rassismus erfahren, wollen sich auch aktiv damit beschäftigen und nehmen das vielleicht auch in Liebesbeziehungen nicht zwingend wahr. Das ist sehr unterschiedlich. Aber ich kann für mich sagen, dass ich das als große Herausforderung erlebt habe. Diskriminierung ist allgemein ein Dauerstress für Betroffene, der überall stattfinden kann.
Sie schreiben, dass viele Konflikte in Liebesbeziehungen auf gesellschaftliche Machtstrukturen zurückgehen. Sind sie damit unlösbar?
Bei dieser Art von Konflikten versuchen wir gewissermaßen das Strukturelle zwischen zwei Menschen zu lösen. Aber wir können natürlich die Strukturen um uns herum zu zweit nicht komplett auflösen. Ich denke da zum Beispiel an Sorgearbeit, aber auch Rassismus. Was wir tun können, wenn wir zum Beispiel zur Familie eingeladen sind, ist, dass wir gemeinsam überlegen können, wie gehen wir mit den Menschen dort um. Aber wir können natürlich nicht alle Menschen um uns herum verändern – uns selbst hingegen schon.
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