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In Berlin fehlen hunderte Plätze in Frauenhäusern

Sieben Frauenhäuser hat Berlin aktuell und stellt damit nur die Hälfte der in der Istanbul Konvention vorgeschriebenen Schutzplätze bereit. 2023 soll ein achtes Frauenhaus dazukommen.

Frauenhäuser bieten Schutz, wenn Frauen akut von häuslicher Gewalt bedroht sind. Doch jeden Monat finden viele keinen Platz.


Berlin.  Sechs Monate ist es her, dass Zohra G. in Pankow auf offener Straße von ihrem Ehemann erstochen wurde. Anfang Oktober erstach ein Mann seine Frau in Hohenschönhausen, im September tötete ein 23-Jähriger eine 27-Jährige in der Wohnung, in der sie lebte, mit einer Axt. Auch wenn diese extremen Ausgänge am meisten Aufmerksamkeit erhalten, ist alles, was davor passiert – psychische, sexualisierte und körperliche Gewalt durch Partner oder Angehörige – tagtäglich präsent im Leben vieler Frauen.

Etwa ein Viertel aller Frauen in Deutschland erlebt in ihrem Leben mindestens einmal Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. In den letzten Jahren hat die Gewalt gegen Frauen laut Kriminalstatistik sogar noch zugenommen. Für viele von ihnen könnte ein Frauenhaus der möglicherweise lebensrettenden Ausweg sein. Um die 700 Anrufe im Monat erreichen die Hotline der Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen (BIG), die Hälfte davon mit dem Wunsch, in ein Frauenhaus zu gehen. Will eine Frau ins Frauenhaus, wird das von den BIG-Mitarbeiterinnen nicht in Frage gestellt. Zugleich ist dies die Voraussetzung: Auch wenn Sozialarbeitende oder Menschen aus dem Umfeld der Frau einen Umzug ins Frauenhaus für nötig halten, wird nur gehandelt, wenn die Betroffene das selbst möchte, heißt es bei der BIG.

In manchen Monaten können zwei Drittel von ihnen vermittelt werden, in anderen nur ein Drittel. „Die Mitarbeiterinnen der Hotline haben oft Angst, am nächsten Tag etwas über die Frauen, die nicht aufgenommen werden konnten, in der Zeitung zu lesen“, berichtet Kristin Fischer, Sprecherin der BIG. Die Anrufe sind anonym und es kann sein, dass Frauen mehrfach anrufen. Deswegen ist aus den Zahlen der Hotline nicht genau abzulesen, wie viele Frauen abgewiesen werden.


Achtes Berliner Frauenhaus soll im Frühjahr 2023 eröffnen

Auch die Senatsverwaltung gibt an, hierzu keine Daten zu haben, da diese von den Frauenhäusern nicht standardisiert erhoben würden. Für einzelne Projekte gibt es dennoch Zahlen. Das autonome Frauenhaus Hestia in Berlin bietet beispielsweise 60 Plätze. Allein im Oktober mussten sie dort laut eigenen Angaben 19 Frauen und 21 Kinder ablehnen, im ganzen Jahr 2021 waren es 230 Frauen und 182 Kinder. Denn was häufig vergessen wird: In Frauenhäusern leben insgesamt mehr Kinder als Frauen. Im Jahr 2021 waren es in Berlin laut Senatsverwaltung 656 Frauen und 707 Kinder.

Im Moment verfügt Berlin über sieben Frauenhäuser. Mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) als Träger soll im Frühjahr 2023 ein achtes hinzukommen. Neu an diesem Frauenhaus ist eine Clearingstelle mit einigen Notplätzen. An die können sich Schutz suchende Frauen rund um die Uhr wenden und von dort an ein Frauenhaus mit freien Plätzen vermittelt werden.

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Vertreterinnen der Frauenhäuser kritisierten das Konzept des Senats, das eine Zuteilung der Frauen zu den Frauenhäusern ausschließlich über die Clearingstelle vorsah, denn das würde die unbürokratische Aufnahme in die Frauenhäuser erschweren. Inzwischen steht fest, dass BIG die Trägerschaft für die Clearingstelle übernimmt und der Verein gibt an, sich in der Sache mit dem Senat geeinigt zu haben, sodass Frauen weiterhin direkten Zugang zu Frauenhausplätzen haben.

Auch ein neuntes Haus sei im Gespräch, so Fischer. Im Moment stehen in Berlin 422 Plätze in Frauenhäusern und 30 weitere in Notwohnungen zur Verfügung, die dem akuten Gewaltschutz dienen. „Das ist nur die Hälfte der von der Istanbul Konvention vorgeschriebenen Schutzplätze“, kritisiert die BIG-Sprecherin. Dementsprechend schwierig ist es, einen Frauenhausplatz in der Nähe zu finden. Das zeigt auch die bundesweite Frauenhaus-Statistik, die in dieser Woche von der Frauenhauskoordinierung e. V. veröffentlicht wurde, einem Zusammenschluss von Frauenhäusern der großen Wohlfahrtsverbände wie AWO, Caritas und Diakonie.

Bundesweiter Flickenteppich bei der Finanzierung von Frauenhäusern

Demnach werden Frauen immer häufiger in andere Bundesländer vermittelt. Doch der Flickenteppich aus Finanzierungsmodellen in Deutschland bringt bürokratische Hürden mit sich, die den akuten Gewaltschutz erschweren. Während in Berlin der Senat die Frauenhäuser finanziert, sind die Einrichtungen in anderen Bundesländern auf die Geldzuwendungen der Kommunen angewiesen und nehmen teilweise nur Frauen aus dem eigenen Landkreis auf. Oder aber es muss umständlich eine Kostenübernahme beantragt werden.

Dann wiederum gibt es Frauenhäuser, die über Sozialleistungen finanziert werden und alle Frauen, die keine Sozialhilfe empfangen, müssen ihren Gewaltschutz selbst bezahlen. In Deutschland übernehmen 26 Prozent der Frauen die Kosten für ihren Aufenthalt teilweise oder ganz. Doch auch in Berlin ist nicht alles Gold, was glänzt: „Um eine ausreichende Finanzierung muss mit dem Senat immer wieder gerungen werden“, sagt Elisabeth Oberthür, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Frauenhauskoordinierung.

Nur die Hälfte der Frauen in Frauenhäusern unternimmt rechtliche Schritte

Zuletzt haben die Fälle häuslicher Gewalt während der Pandemie zugenommen. Dennoch wurden 2021 183 Frauen weniger als im Vorjahr aufgenommen, heißt es in der Frauenhaus-Statistik. Das liege jedoch nicht an einem Rückgang der Gewalt. „Im Gegenteil“, sagt Oberthür, „die Kriminalstatistik und das Hilfetelefon zeigen, dass der Bedarf steigt.“ Und das, obwohl laut der Studie nur die Hälfte der Frauen in Frauenhäusern überhaupt zivil- oder strafrechtliche Schritte gegen den Täter einleitet. Deren Fälle werden nie in der Kriminalstatistik auftauchen.

Laut der bundesweiten Statistik gaben dennoch 41 Prozent der Frauen an, dass es wegen der häuslichen Gewalt bereits einen Polizeieinsatz gegeben habe und sogar 20 Prozent der Frauen kamen durch die Vermittlung der Polizei ins Frauenhaus. Dem gegenüber steht der sehr geringe Anteil polizeilicher Maßnahmen. Nur in 17 Prozent der Fälle erteilte die Polizei einen Platzverweis, führte eine Gefährderansprache durch oder nahm den Täter in Gewahrsam. Diese Diskrepanz sei „erklärungsbedürftig“, heißt es in der Studie.

Grund für den Rückgang seien vielmehr die wegen der Coronaschutzverordnungen reduzierten Plätze. Hinzu kommt, dass die Schutzsuchenden länger in den Frauenhäusern bleiben. „Es wird einfach immer schwieriger für die Frauen, eine für sie bezahlbare Wohnung zu finden“, sagt Oberthür. Laut der Studie sind die Bewohnerinnen von Frauenhäusern überdurchschnittlich von Armut betroffen. Manchmal ist finanzielle Abhängigkeit auch Teil des Missbrauchs durch den Partner.

Bedarfsgerechte Plätze fehlen

„Wir wissen, dass Frauen aller Schichten von Gewalt betroffen sind. Deswegen ist es auch eine Frage der Ressourcen und des persönlichen Netzwerks, ob eine Frau Schutz im Frauenhaus sucht“, erklärt Oberthür. Ihr ist es wichtig zu betonen, dass es sich bei häuslicher Gewalt um männliche Gewalt handele. In 76 Prozent der Fälle ist es der Ehemann oder Partner, in elf Prozent der Ex-Partner und in weiteren elf Prozent ein männlicher Familienangehöriger.

Die Istanbul Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland seit 2018 geltendes Recht. Will Berlin sie umsetzen, müssen nicht nur Hunderte neue Schutzplätze geschaffen werden. Die Konvention sieht auch vor, besondere Bedarfe der Frauen zu berücksichtigen. Laut Frauenhaus-Statistik hatten 19 Prozent der Frauen in den Frauenhäusern körperliche Beeinträchtigungen. Besonderer Bedarf kann aber auch ein Haustier oder eine besondere Gefährdung der Frau sein.

Betroffene von häuslicher Gewalt in Berlin können sich an die BIG-Hotline wenden: (030) 611 03 00



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